Dieser Tage wurde ich als Nicht-Hessin geoutet. Weil ich Äppelwoi und Handkäs nicht angemessen schätze.

Schon wahr (aufmerksame Leser wissen das), ich bin eine "Reingeschmeckte". So nannten sie das in den drei Jahren im Schwäbischen. Wo die Tante meines Mannes, die dort bereits Jahrzehnte lang lebte, mir bestätigen konnte: Im Schwäbischen gehört man ohne schwäbische Großmutter nie wirklich dazu. Was nicht allein eine Sache der Sprache ist. ("Wir können alles außer Hochdeutsch.";) Die Tante nämlich schwäbelte nach all den vielen Jahren ganz trefflich und wurde doch immer wieder mal gefragt: "Göll, Sie sand aber net von da?"

Ich versuchte es also gar nicht erst, da hin zu gehören. Und lange waren wir ja auch nicht da.

Bei den Hessen ist es etwas anderes. Sie können, schon rein historisch, ganz gut mit den Thüringern und sind überhaupt um einiges offener.

Soweit zu uns Deutschen.

Gerade eben sah ich eine junge Frau, deren Vita noch um einiges komplizierter ist: Aufgewachsen in England, mit ghanaischen Wurzeln, lebt sie jetzt in Berlin. Und hat im letzten Jahr den Bachmann-Preis gewonnen. Zweifellos ist sie zumindest hochbegabt, was Sprachen angeht, denn manche Schacklin kann sich von der Ausdruckskraft dieser Schreiberin etwas abschauen.

Sie berichtete, nach ihrem Gefühl für Heimat befragt, dass es immerhin erstaunlich sei, wie unterschiedlich doch die Wahrnehmung ist: An Grenzen würde sie öfter als ihre britische (weiße) Freundin nach ihrem Pass gefragt, obwohl sie beide einen britischen hätten. Das machte sie etwas weniger zu einer Britin als sie es laut Pass sei. In Ghana würde sie ganz und gar nicht als "Dortige" wahrgenommen, weil jeder dort sähe, dass sie anders geht und spricht und gekleidet ist als Einheimische. In Deutschland jedoch würde ihr die Sprache sehr helfen; alles andere wäre so wie in England. Nur, dass man sie öfter fragt, woher sie kommt. Aus England, antwortet sie dann, und wird fragend angesehen.

Wie also fühlt sich jemand, der von zu Hause fortgeht, aus welchen Gründen auch immer, wenn er anderswo ist? Findet er überhaupt irgendwo eine Heimat?

Und dann kommt mir in den Sinn, dass und wie viele, die einen "hiesigen" Pass haben, gar im Land geboren sind, sich dann doch gegen ihr "Heimatland" wenden, mit Autos Mitmenschen überfahren, mit Waffen solche angreifen. Und alles im Sinne einer Herkunft, die sie "nur" in den Genen haben, nicht jedoch kennen oder wirklich empfinden können. Weil sie ja von hier sind.

Was treibt die um?

Wurden sie einmal zu viel schief angeguckt, einmal zu viel nach ihrem Pass gefragt, wo der Nachbar ihn nicht zeigen musste, einmal zu viel in Ausbildung, Beruf, bei der Wohnungssuche benachteiligt?

Ist es wirklich nur dieses "Solang du in dir selber nicht zu Hause bist, bist du nirgendwo zu Haus?".

Oder ist da mehr?

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