Graue Wahrheit und Moralischer Absolutismus

Es ist jetzt schon wieder einige Zeit her, dass durch die Medien mitgeteilt wurde, der IS wurde endlich aus Palmyra vertrieben. Eine der wenigen Meldungen, die mich wirklich zum Jubeln gebracht hat. Dieses wertvolle Kulturerbe, das wichtiger ist als jeder Beteiligte an diesem Kriegszug, ist endlich wieder von diesen Schlächtern befreit. ENDLICH haben die Anstrengungen von Obama, der EU und der Internationalen Staatengemeinschaft Früchte getragen und der IS konnte dazu gebracht werden, einzusehen, dass Palmyra ein wichtiger Ort für die kulturelle Menschheitsgeschichte ist.

NOT.

Laut Medien wurde es durch das Eingreifen der syrischen Regierungstruppen und russischer Bomber geschafft, also kriegerischer Akte. Nicht durch Wegreden. Leider. Ist aber so. Aber darum soll es gar nicht weiter gehen, sondern eher um die Akteure, über die jetzt wohl einfach beiläufig hinweggelesen wurde. „Russische Bomber“ impliziert, dass sich das Putin auf die Fahne schreiben darf. Derselbe Putin, der gern mal als übler Diktator gesehen wird und durch die öffentliche Meinung gehetzt wird. Darf ich ihm jetzt zujubeln, dafür, dass er Palmyra gerettet hat? Auch wenn er sonst ein – nach westlichem Maßstab – undemokratisches Oaschloch sein soll?

Aber Putin ist ja eh noch die harmlosere Gestalt, da es durchaus auch öffentliche Befürworter für ihn gibt – also etwas gutheißen, was er tut, empört nur eine Hälfte der Bevölkerung. Die andere nickt zustimmend. Wie ist das nun mit den syrischen Regierungstruppen? Wissen wir noch alle, zu wem die gehören? Zu Baschar al-Assad. Jetzt wird es schon schwieriger. Was tun? Assad ist ja geächtet, ein grausames Monster, das Böse in Reinkultur. Was soll man jetzt bloß machen, wenn man zutiefstes Bashar Bashen betrieb die letzten Jahren und er jetzt auf einmal etwas wirklich, wirklich Gutes geleistet hat? Man könnte es einfach in das geduldige Mäntelchen des Schweigens hüllen bis es alle Welt vergessen hat, aber würde das dem Ereignis gerecht werden. Nein. Aber die meisten haben wohl eine innere Hemmschwelle Assad und Putin auf einmal zu loben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Übrigens Lob: Wer die US-amerikanischen Vorwahlen verfolgt, findet einen großen Teil der dortigen Bevölkerung vollen Lobes und Hingabe für Haudraufneopolitiker Donald Trump. Er brüstet sich recht unverhohlen mit Ideen und Vokabular, die heutzutage ihres Gleichen sucht und nur schwer findet und wird bejubelt, während eine offensichtlich in der Minderheit befindliche Gruppe mit größtem Bedenken zusehen muss, was im Land der unbegrenzten Möglichkeiten grad politisch abgeht. Und der Rest der Welt schaut däumchendrehend zu wie die Amis hier eine Person als womöglich nächsten Mächtigsten Mann der Welt auserkiesen, der keine feine Klinge führt - sie nicht einmal führen will - auch kein stumpfes Fleischerbeil, sondern einen billigen Alulöffel, und mit diesem in bester „Jetzt erst recht!“ Manier schneiden will, nur um ihn dann erbost in die Ecke zu werfen, wenn es nicht so geht, wie er es sich vorgestellt hat.

Sowas gabs schon häufiger, mit dezent anderer Detailierung vielleicht, aber dennoch wiederholen sich die Muster. Vielleicht grölen jetzt wieder schlichte Schwarzweißdenker: Aber wir haben doch aus der Vergangenheit gelernt, wie ist möglich, dass offensichtlich doch sein kann, was nicht sein darf?! Nun, ich bin kein Trumpbefürworter, aber ich finde auch einige Dinge, der er von sich gibt, einfach schlüssig und gut. Man sollte da eher die glühenden Trumpisten fragen, derer es auch diesseits des Atlantiks etliche gibt. Und seine Verfechter sollten einen Moment in sich gehen, sich an der Nase nehmen, und zugeben, dass sie eventuell mit denselben Argumenten, die heute für Trump sprechen, in den 30ern des letzten Jahrhunderts auch einem gewissen Adolf H. zugejubelt hätten. Auch wenn sie keine überzeugten Ultrarechten oder Radikalnationalisten oder Identitären oder ähnliches sind. Und wieso auch nicht? Sowas muss man immer in Anbetracht der Umstände und der Zeit sehen. Wenn heute die ganze Welt kollektiv Hitler verurteilt, womöglich wird in einem weiteren halben Jahrhundert auch die allgemeine öffentliche Meinung sein, dass es unverständlich und unverantwortlich gewesen sein wird, für Trump gewesen zu sein. Jeder hätte dessen üble Machenschaften durchschauen und aktiv Widerstand leisten müssen. Ansonsten wird man sich seiner Verbrechen mitschuldig gemacht haben, wo doch offensichtlich gewesen sein muss, was er war. Oder es passiert das Gegenteil und er bekommt den Friedensnobelpreis für seine nonchalante, eigenwillige, aber erfolgreiche Art, Probleme anzupacken und zu lösen. Nur die Geschichte wird es weisen und die schreibt ja bekanntlich der Gewinner.

Es gab da übrigens ein witziges Video, in dem Hitlerzitate 1:1 genommen wurden und gesagt wurde, sie seien Trumpsche Aussagen. Zunächst waren alle dafür. Als herauskam, wer der tatsächliche Urheber gewesen war, waren plötzlich alle dagegen. Na was jetzt, sind die Aussagen nun gut oder nicht?! Fähnchen im Wind ist noch zu harmlos für solche opportunistischen Meinungs-Mit-dem-Strom-Schwimmer. Dazu ein gutes Zitat einer interviewten Person der Humans of New York:

„I can't stand moral absolutism. You know, there's always that guy who wants to point out that Martin Luther King cheated on his wife - as if he obviously couldn't have been a great person if he did something like that. Or someone will bring out an inspirational quote, and get you to agree, and then inform you that Hitler said it. As if a good thought couldn't come from Hitler.“

Wo wir schon bei Zitaten und ihren Urhebern sind. „Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ Heute gern kurzzitiert als: „Aba man wird ja noch sagen dürfen, dass…“ woraufhin die öffentliche Meinung schon automatisiert hinschnappt und knurrt: „Nein, Intoleranz und Rassismus sind keine Meinungen“. Eine Horde rechter selbsternannten Wutbürger, Finger-in-die-Wunden-Leger und Unangepasster. Vermutlich stammt der Satz ursprünglich von irgendeinem vom Schlage Le Pens, Wilders oder ähnlichem Gesocks.

Im Gegensatz dazu haben wir den Satz: „Um herauszufinden, wer die wahren Herrscher der Gesellschaft sind, musst du dich nur fragen: Wer ist es, den ich nicht kritisieren darf?“ Das stammt vom aufgeklärten Denker Voltaire, der damit vor einer drohende Diktatur warnen wollte und auch heute gerne von allen akzeptiert und abgesegnet zitiert wird, wenn der Überwachungsstaat uns allen etwas zu stark auf die Finger schaut.

Es gibt Leute, die beidem gut zustimmen können oder beides ablehnen. Aber wer von den geneigten Lesern kann Voltaire zustimmen, aber dem darüber nicht, obwohl beide Aussagen ähnliche Inhalte vorweisen, nur weil das erste Zitat rechten Ursprungs ist? Dieser jemand sollte sich ebenfalls an der Nase nehmen.

Ich darf übrigens auflösen und sagen ich habe Sie auch ein wenig an der Nase genommen und daran herumgeführt.

Das erste Zitat stammt eigentlich von Eric Arthur Blair. Kennen Sie nicht? Irgendein rechter Hetzer womöglich. Nicht ganz. Das ist der echte Name von George Orwell und der Satz prangt auf der ersten Seite von Farm der Tiere. Orwell war übrigens Zeit seines Lebens glühender demokratischer Sozialist und verachtete totalitäre System, wie etwa auch die Sowjetunion, gegen die Animal Farm geschrieben wurde. Schmäh olé.

Das zweite Zitat wiederrum stammt auch nicht von Voltaire. Sorry. Was dem aber auch alles zugeschrieben wird, was gut, nachvollziehbar und richtig klingt. Kommt aber eigentlich von Kevin Alfred Strom. Sagt Ihnen auch nichts? Na gut, ich kannte ihn auch nicht, bevor ich recherchiert habe. Der gute Strom ist Gründer der amerikanischen Vereinigung National Vanguard und vormaliges Mitglied bei der National Alliance. Der Witz an der Sache ist, das sind beides nationalsozialistische Gruppierungen, die sich vor allem auf den Gebieten der White Supremacy hervortun und halt sonst die klassischen Nazianzeichen zeigen: Holocaustleugnung, Antisemitismus, usw, usf…

Müssen sich noch mehr Leute an der Nase nehmen, da sie gerade herausfanden, dass sie doch mehr Fähnchen im Wind sind, als ihnen bewusst war und lieb ist?

Das Leben ist nun mal leider nicht schwarz und weiß, ebenso wie die Politik, Meinungen,… auch wenn wir uns die Welt gern einfachheitshalber so vorstellen. Gut und böse sind auch nicht so absolut wie wir gerne hätten und welche Aussagen und Ansichten wie gewertet werden, hängt stark von der gerade herrschenden öffentlichen Meinung ab, was wie zu sein hat. Und… Meinungen sind halt doch nicht so frei wie wir sie gerne hätten.

O tempora, o mores...

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