Wie das Regietheater in die Welt kam und warum es blieb

Was war das damals ein Theater um das sog. "Regietheater". Damals, das war in den siebziger Jahren und Regietheater ist, wenn Stücke aus dem klassischen Repertoire anders inszeniert werden, als der normale Theaterbesucher dies erwartet.

· Die Stücke werden, teilweise recht drastisch gekürzt, an anderer Stelle werden neue, vom Regisseur erfundene Szenen, Balletteinlagen, Gesangsdarbietungen etc. eingefügt.

· Die Handlung wird an einen anderen Ort verlegt, gern auch in eine andere Zeit (häufig die Gegenwart oder die jüngere Vergangenheit).

· Die Schauspieler treten immer wieder mal nackt oder fast nackt auf, Kopulationen werden auf offener Bühne simuliert oder es werden drastische Brutalitäten zelebriert, die im Stück selbst entweder gar nicht vorkommen oder von denen nur berichtet wird.

Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, Werke aus alter Zeit neu zu deuten. Das heutige Publikum habe einen anderen Erfahrungshorizont als das Publikum der Uraufführung. Das moderne Publikum müsse also anders angesprochen werden, um denselben Effekt zu erzielen, die oben beschriebenen Stilmittel seien demnach erforderlich.

Nach den heftigen Feuilletonschlachten um das Regietheater hat man sich arrangiert. Die einen haben das Regietheater schätzen gelernt, die anderen sind auf nicht so renommierte Theater ausgewichen, in denen Shakespeare so gespielt wird, daß man den Eindruck hat, ein Stück von Shakespeare zu sehen.

Bis der Romancier Daniel Kehlmann neuen Wind in das fast schon erloschene Feuer blies.

Die Reaktion auf Kehlmanns Kritik am Regietheater war heftig. Der Salzburger Schauspieldirektor Thomas Oberender grub aus gegebenem Anlaß den uralten Kalauer aus, es sei schließ­lich jedes Theater zwangsläufig Regietheater. Jeder weiß zwar, daß der Begriff Regietheater gemeinhin enger verstanden wird als im Sinne von "Regie im Theater", aber das macht nichts. Man tut so, als wüßte man es nicht und erntet so einige wohlfeile Lacher von eher schlichteren Gemütern.

In einer Internet-Diskussion erzürnte sich gar einer: "Angesichts des Todes von Jürgen Gosch, Peter Zadek und Pina Bausch finde ich die Diskussion um das Regietheater beschämend..." Gott ja, die Großen Toten. Aber... Nur weil jemand gestorben ist, soll Diskussionsverbot herrschen? Für wie lange? Und wenn die Frist um ist, stirbt womöglich der Nächste. Braucht man tatsächlich Särge, um Barrikaden zu errichten?

Historisch akkurate Inszenierung und Werktreue

Kehlmann hatte in seiner Rede bei den Salzburger Festspielen 2009 davon gesprochen, es sei "eher möglich, unwidersprochen den reinsten Wahnwitz zu behaupten (...) als leise und schüchtern auszusprechen, daß die historisch akkurate Inszenierung eines Theaterstücks einfach nur eine ästhetische Entscheidung ist, nicht besser und nicht schlechter als die Verfremdung, auf keinen Fall aber ein per se reaktionäres Unterfangen."

Der Dichter hätte seine Worte bedachtsamer wählen sollen. Man stürzte sich nämlich auf das Wort von der "historisch akkuraten Inszenierung" und trieb derben Scherz mit ihm, dem Wort. Als Gegenpol zum Regietheater definierte man das museale Theater - Shakespeare nur so, wie man es im Globe Theatre einst sah: Bei Tageslicht, ohne Beleuchtungseffekte, Hamlet in Strumpfhosen, Frauenrollen von Männern gespielt etc. pp. - So ein Versuch ist lächerlich, wird man sagen, und mit Recht.

Als ob es darum ginge.

Es geht vielmehr darum, daß Shakespeare mit seinem "Hamlet" einen Text hinterlassen hat, die Vorlage für ein aufzuführendes Theaterstück. Diesen Text kann ich entweder lesen, mir das Stück also selbst im Hirn inszenieren oder ich kann es mir im Theater anschauen. Wenn ich mir ein Stück von Shakespeare, das ich zuvor noch nicht gelesen habe, im Theater ansehe, dann möchte ich - aber vielleicht bin ich auch nur reaktionär - nach dem Verlassen des Theaters eine ziemlich gute Vorstellung davon haben, was Shakespeare eigentlich geschrieben hat.

Hört der kundig Mißtrauische hier nicht den Ruf nach Werktreue heraus? Nach einer Werktreue, die es - wir sind heute sehr spitzfindig - gar nicht geben kann, da man doch in aller Regel gar nicht weiß, wie der Autor sein Stück aufgeführt haben wollte, je älter das Stück, umso weniger.

Nun, dies zu wissen ist auch gar nicht nötig. Was ein Regisseur für eine Inszenierung braucht, das ist - neben etwas Hintergrundwissen über den dargestellten Stoff und den Autor - der Text des Stückes. Diesen Text soll der Regisseur auf die Bühne bringen und in ein Theaterstück verwandeln. Wenn er sich dabei eng an den Text (inkl. der Regieanweisungen) hält, ist sein Spielraum immer noch sehr groß. Das Bühnenbild kann fitzelgetreu nach Illusion streben, es kann nur karg andeuten oder gar ganz fehlen, die Schauspieler können opulente historische Gewänder tragen oder Jeans, sie können den Text pathetisch tremolieren, können wild oder sparsam gestikulieren. Der Zeitgeschmack kommt hier zum Tragen. Ein Schauspieler, der den Hamlet-Monolog so spräche, wie ihn der einst gefeierte Alexander Moissi gesprochen hat, wird heute keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Ja, gut, außer er heißt Kinski, Klaus.

Aktualisierung - Regieeinfälle

Aber, wendet man ein, es geht hier doch um alte Stücke, die womöglich in noch viel älterer Zeit spielen. Wir müssen zu diesen alten Stücken neue Zugänge finden, wir müssen die zu Monumenten erstarrten Klassiker zerlegen und neu zusammensetzen, damit wir uns und unsere Welt in diesen Stücken wiedererkennen können. Ohne eine zeitgemäße Interpretation würden viele Werke langweilig und unverständlich bleiben.

Also, ich weiß nicht. Wenn ein Theaterstück, so wie es im Textbuch auf uns gekommen ist, nur noch zum Gähnen reizt, dann sollte man es vielleicht doch lieber im Regal stehen lassen, zum gelegentlichen Gebrauch durch Studenten, die sich das antun müssen, um einen akademischen Abschluß zu erwerben.

Merkwürdigerweise aber habe ich beim Lesen vieler alter Stücke so gar nicht den Eindruck, als wehte mir der Staub der Jahrhunderte entgegen. Und bei denen, die ich nach quälender Lektüre schließlich wieder zugeklappt habe, wäre ich nie auf die Idee gekommen, man sollte sie aktualisieren. Mögen spätere Generationen - vielleicht - wieder einen Zugang zu ihnen finden.

Wieso, frage ich mich, hält man gerade Theaterautoren für dermaßen bescheuert, daß man ihre Werke ständig aktualisieren muß, während Romane, Gedichte oder Novellen ganz selbstverständlich original gelesen werden. Zumindest die besseren unter diesen literarischen Werken findet man auch heute noch ausgesprochen aktuell und interessant. Muß der "Simplicius Simplicissimus" wirklich seine Abenteuer im Zweiten Weltkrieg erleben, damit er mir noch was sagt?

Damit eines klar ist: Ich habe nicht wirklich und grundsätzlich etwas gegen angedeutetes oder echtes Ficken auf offener Bühne, das hat man im "Salambo" auf der Reeperbahn schon in den sechziger Jahren gemacht, wenn ich recht informiert bin. Ich habe auch nichts gegen Striptease, Blutverspritzen, Kotzen etc. auf der Bühne, selbst eine Kombination von all dem tätert mich nicht wirklich vom Stockerl hauen. Man brüht ab im Lauf der Jahre.

Daß ein Theaterstück, das zunächst ja nur ein Text ist, für jede Aufführung interpretiert werden muß, versteht sich. Wenn da steht "Erwin geht ab", dann wird sich der Regisseur seine Gedanken machen müssen, wie er den Erwin abgehen läßt. Und wenn da steht "Erwin reißt seinen Mantel auf, deutet auf seinen erigierten Schwanz und kichert irr. Neun nackte Nymphen treten aus dem Wandschrank und tanzen wild. Die siebte Nymphe schraubt sich den Kopf ab und aus dem Halsstumpf spritzt ihr Blut und saut die Bühne voll. Angewidert geht Erwin ab", dann wird der Regisseur sich etwas einfallen lassen müssen, dies zu gestalten. Wenn dergleichen aber nicht im Text steht, dann geht Erwin halt einfach nur ab.

Zuviel verlangt? Langweilig? Verstaubt? Geht's denn ohne Bierzelt-Gaudi überhaupt nicht mehr?

Noch eine Anmerkung zur vielbelächelten Formulierung Kehlmanns, es solle der Regisseur der Diener des Autors sein. Was ich im Theater sehe, das sind die Schauspieler auf der Bühne. Was ich nicht sehe, ist zum einen der Autor und zum anderen der Regisseur. Wenn es eine gelungene Inszenierung ist, dann sollte mir eigentlich gar nicht bewußt werden, daß dafür neben den Schauspielern auch ein Regisseur und ein Autor verantwortlich sind. Deren Leistung ist einfach da. Hintergrund-Service.

Regietheater in Roman und Konzertsaal

Machen wir ein kleines Gedankenexperiment und übertragen wir die Forderung nach Aktualisierung alter Stücke probehalber auf andere Gebiete der Kunst, bei denen wir es ebenso mit alten, bisweilen sehr alten Werken zu tun haben.

Ein Roman etwa ist zu einer bestimmten Zeit geschrieben worden und spielt vielleicht in einer anderen. Wenn dieser Roman heute neu aufgelegt wird, dann wird er so herausebracht, wie er damals geschrieben wurde. Gut, wenn er schon etwas älter ist, wird die Rechtschreibung etwas angepaßt, aber damit hat sich's auch schon. Kein Herausgeber käme auf die Idee, er müßte den Roman, um ihn dem heutigen Publikum näherzubringen, aus der Zeit, in der er spielt, herausnehmen. Man vertraut darauf - und zu Recht - daß der heutige Leser, so er kein Narr ist, auch aus einer alten Geschichte heute noch gültige Bezüge herauslesen werde.

Aber stellen wir es uns einmal vor, ein Übersetzer habe den "Don Quijote" ins Deutsche zu übertragen und er ließe den Roman, auf daß er dem heutigen deutschen Publikum aktuell erscheine, im Mecklenburg-Vorpommern der neunziger Jahre spielen, füge überdies Texte moderner Autoren in den Roman, dazu Auszüge aus der BILD-Zeitung.

Hm.

Damit eines klar ist: Auf diese Weise kann ein äußerst spannender und interessanter Text entstehen, aber... Ja klar, der "Don Quijote" von Cervantes ist es nicht mehr. Es ist ein neues Kunstwerk entstanden, eher lose mit dem alten Text von damals verbunden. Im Buchgewerbe ist es selbstverständlicher Brauch, daß man dann auch nicht "Don Quijote von Miguel de Cervantes" draufschreibt, sondern etwa "Don-Quijote-Variationen von Hugo Blobbersich".

Ein ebenfalls reizvolles Gedankenspiel ist es, die Situation vom Theater weg in den Konzertsaal zu übertragen. Ein kreativer Dirigent etwa nähme sich ein Stück aus der Musikliteratur - sagen wir mal "Bilder einer Ausstellung" - und führte dieses Stück mit Schlagzeug, Synthesizer und E-Gitarre auf, kräftig mit Stil-Elementen aus der Rockmusik versetzt. Die feinsinnigen Musikfreunde (die häufig auch feinsinnige Theaterfreunde sind und ihr Regietheater zu schätzen wissen) würden aufjaulen, würde man ihnen dergleichen als zeitgemäße Aufführung des Stücks von Mussorgsky unterjubeln.

Nun wissen wir natürlich, daß Emerson, Lake and Palmer genau das oben Geschilderte mit dem Stück von Mussorgsky getan haben und großen Erfolg damit gehabt haben. Womit mein Argument widerlegt wäre?

Nein.

Der entscheidende Punkt dabei ist, daß ELP ihre Version des Stücks niemals als Aufführung eines Werkes von Mussorgsky ausgegeben haben. "Pictures at an Exhibition" wurde immer, von den Autoren und vom Publikum, als eigenständiges Kunstwerk gesehen, das sich lediglich in seinen Grundzügen an das Werk von Mussorgsky anlehnte.

Und weil wir gerade bei der Musik sind: Einen, wenn nicht den Vorläufer des Regietheaters findet man bereits in den fünfziger Jahren an einem Ort, der eigentlich so ziemlich das Konservativste sein müßte, was man sich nur vorstellen kann. Ich spreche vom Festspielhaus in Bayreuth. Seit Wieland Wagner hier eine neue Art der Wagner-Aufführung wagte, war Bayreuth immer für eine Überraschung gut. Auffallend dabei ist allerdings, daß sich diese radikale Art der Inszenierung immer nur auf Bühnenbild und Schauspielregie beschränkte. Die Musik blieb unangetastet, niemand hat sich hier je getraut, etwas wegzunehmen oder hinzuzufügen oder gar zu verfremden.

Etikettenschwindel

Wir sind damit an einem entscheidenden Punkt der Diskussion angelangt. Denn eines muß klar sein: Natürlich steht es jedem frei, sich in der Weltliteratur zu bedienen und vorhandene Stücke zu bearbeiten. Natürlich kann ich Shakespeares "Richard III." als heitere Komödie, als beschwingtes Musical gar, auf die Bühne bringen. Nur... Wenn ich das tue, dann habe ich nicht Shakespeare inszeniert, sondern ein neues Stück geschrieben und auf die Bühne gebracht. Ein korrekter Mensch müßte dann folglich aufs Plakat schreiben lassen "Richard III. von Hans Müller-Möhrenschneider, nach einer Idee von W. Shakespeare". Niemand, auch Daniel Kehlmann nicht, würde sich dann aufregen. Der Metzger macht es, die Gewerbeaufsicht im Nacken, dem Künstler vor: Wenn dort "Leberpastete" draufsteht, dann ist in aller Regel auch Leberpastete drin und nicht etwa Leberkäs. Auch einem Schauspielerscheucher stünde ein wenig Handwerker-Ethos nicht schlecht an, selbst wenn er die Gewerbeaufsicht nicht zu fürchten hat.

Ein bekannter Regisseur, der sich auch als Dramatiker versucht hat, hat mehrere Stücke verstorbener Kollegen bearbeitet und aufgeführt. Auf die Bühne gebracht hat er sie aber als seine Bearbeitungen von Stücken anderer. So penibel war Brecht, der ansonsten für seinen eher entspannten Umgang mit Urheberrechten bekannt war.

Vor etlichen Jahren, es war noch in Italien, hatte ich mich wieder mal, was ich eher selten mache, vor den Fernseher gesetzt und mal geschaut, was so läuft. Die privaten Sender überspring ich eh, so daß ich relativ bald durch war. Auf 3Sat lief gerade ein Theaterstück. 4 Typen wollten ein Mädchen anwanzen und diskutierten gerade, wer hingehen sollte. Die Schauspieler waren nicht schlecht, also blieb ich dabei. Nach einiger Zeit wurde klar, daß die 4 Typen dieselbe Person sind, halt in viererlei Gestalt. Dergleichen steck ich weg, als wenn's nix wäre.

Nach wiederum einiger Zeit kamen mir einige Textfetzen bekannt vor. Nanu, sagte ich mir, das müssen wohl Schillers "Räuber" sein. Ein Blick in den Videotext gab mir recht. Ein weiteres Weilchen schaute ich zu, die Schauspieler waren wirklich gut und ich bin ein geduldiger Mensch, dann schaltete ich um.

Aber, immerhin, ich will gerecht sein: Das Stück war angekündigt als "Die Räuber" nach Friedrich Schiller. Dann paßt's ja wieder. Obwohl die notorischen Kulturschmocks in den Feuilletons dann doch wieder wahrheitswidrig und entgegen dem ausdrücklichen Wunsch des Regisseurs schrieben: "Nicolas Stemann inszeniert Schillers Räuber in Salzburg."

Obwohl. Stemann selber hat sich dann in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung verplappert: "Und für Kehlmann habe ich noch einen Tipp: Sollte er im Laufe des Trubels, der nun auf seine Rede folgt, überraschend doch noch ein Interesse für Theater entwickeln, so kann er sich ja vielleicht mal meine Inszenierung von 'Die Räuber' anschauen."

Nobody is perfect.

Soviel zum Thema "Theater und Verbraucherschutz".

Ödipus als Heutiger

Wer allerdings bei einem zu fordernden Spiel mit offenen Karten nicht mitspielen würde, das ist der Kassenverwalter des Theaters. Machen wir uns nichts vor: Hans Müller-Möhrenschneider versteckt sich hinter Shakespeare, weil alle Shakespeare sehen wollen, kein Schwein aber sich für die Stücke von Hans Müller-Möhrenschneider interessiert.

Auf den Punkt gebracht: Das wirklich Ärgerliche am Regietheater ist nicht der Stil der Aufführungen, sondern der eitle Etikettenschwindel, der damit verbunden ist.

Obwohl... Ich nehme die Hälfte der obigen Aussage wieder zurück. Doch, auch die Regieeinfälle so mancher Aufführungen sind ärgerlich, besser: eher kindisch. Ich meine jetzt die Marotte, alte Stücke in der modernen Zeit spielen zu lassen. Wenn ich einen alten König in einen dunklen Anzug mit Krawatte stecke, dann verändere ich ihn radikal. Dann ist er kein alter König mehr, sondern ein neuzeitlicher Präsident oder Wirtschaftsboß oder was. Dann aber paßt der Text nicht mehr, den ihm der Klassiker zu sprechen vorgibt. Und mit "Text" meine ich nicht nur den Sprachduktus, sondern auch den Inhalt dessen, was er sagt. Ein Chef des 21. Jahrhunderts hat andere Ideen im Kopf als ein Chef des 10. Jahrhunderts. Wenn er etwas verschleiern will, etwas rechtfertigen will, greift er auf andere Verschleierungs- oder Rechtfertigungsmuster zurück. Vieles vom Vergangenen bleibt, manches aber nicht.

Viele Geschichten funktionieren nur in der Zeit, in der sie spielen. Man nehme nur den "König Ödipus" von Sophokles, dessen Geschichte nur in archaischer Zeit läuft, überall sonst ist sie lächerlich. Die Geschichte käme nämlich gar nicht ins Laufen ohne

· die tiefe, existentielle Orakelgläubigkeit, die ohne Scheu vor aller Welt präsentiert wird

· die engste Verbindung zwischen allgemeiner politischer Machtgeschichte und Familiengeschichte

· die Angst vor der durchaus wahrscheinlich und plausibel erscheinenden Ermordung durch den eigenen, noch ungeborenen Sohn

· die straflose, noch nicht mal verpönte Möglichkeit, den neugeborenen Sohn umbringen zu lassen

· die Selbstverständlichkeit, mit der Iokaste als Siegespreis demjenigen winkt, der die Sphinx besiegt.

Ursachenforschung

Es bleibt die Frage, warum das Theater glaubt, nur mit immer neuen Regie-Einfälle über die Runden zu kommen. Ich habe den bösen Verdacht, es liegt daran, daß relativ wenige Leute regelmäßig ins Theater gehen. Theater ist immer noch - und ganz anders als das Kino ‑ eine Sache für eine eher kleine Schicht von Leuten. Diese Leute aber sind nach einigen Jahren mit den gängigen Repertoirestücken durch, so viele sind das gar nicht. Sie kennen sie, haben sie schon mehrmals gesehen, vielleicht auch irgendwann in der Schule oder sonstwann gelesen. Immer die gleichen Leute schauen sich also die immergleichen Stücke an, was auf Dauer langweilig wird. Will man dieses kostbare Publikumsmaterial im Theater halten - und man muß sie im Theater halten, denn sie sind als Abonnement-Kunden das wirtschaftliche Rückgrat eines Theaters - dann muß man in die nur zu bekannten Stücke ein bisserl 1 Show hineininszenieren.

Ins Kino gehen die Leute nicht wegen des Drehbuch-Schreibers, sondern wegen des Regisseurs oder wegen der Schauspieler. Im Theater dagegen spielt - zumindest wenn es sich um alte Stücke handelt - der Autor die entscheidende Rolle. Der Regisseur steht eher im zweiten Glied, oder sollte es doch sein.

Es sei denn, er mopst sich durch Regie-Theater vor.

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