Als ich noch der Waldbauernbub war, habe ich Einführungen in die Psychoanalyse gelesen, weil ich mich an Freud selbst noch nicht herangetraut habe. Damals habe ich auch begonnen, mich für den Marxismus zu interessieren und ich habe Einführungen in den Marxismus gelesen, weil ich mich an Marx und Engels nicht herangetraut habe. In beiden Fällen habe ich die Erfahrung gemacht, daß diese sogenannten Einführungen wesentlich komplizierter waren als die Originalwerke. Der Anti-Dühring von Friedrich Engels gehört noch heute zu meinen Lieblingsbüchern. Und Freud hat ein Deutsch geschrieben, so klar, so elegant und dabei einfach, daß du weinen möchtest vor Freude. Es gibt heute einen "Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa". Der Preis wird nicht verliehen für hervorragende wissenschaftliche Forschungen, sondern für die sprachliche Gestaltung wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Einstein hat seinen Aufsatz "Zur Elektrodynamik bewegter Körper" (das ist die Originalarbeit von 1905 zur Speziellen Relativitätstheorie) so geschrieben, daß du ihm folgen kannst (okay, bei der Mathematik beißt es dann aus, die beherrscht du entweder oder du beherrscht sie nicht). Das war ein Aufsatz für Fachkollegen, kein populärwissenschaftlicher Text. Der Text ist kompliziert, aber er ist nicht komplizierter als unbedingt notwendig.

François-Marie Arouet (1) hat mal geschrieben: "Ein Text, der einer Erklärung bedarf ist die Erklärung nicht wert."

Ich hab mal statt einer Einführung eine Ausführung geschrieben.

(1) Als Arouet - mehr als hundert Jahre vor Erfindung des Autos - die Autobatterie erfunden hatte, verlieh ihm die Academie franzé den Ehrentitel Voltaire.

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