Ich habe noch mein Kommunionbild. Jetzt ist es sogar im Internet zu besichtigen, Leugnen ist also zwecklos. Sie sehen, wie verkrümmt, ja frivol ich dastehe, als würde ich im nächsten Moment lostanzen, wie in einem Broadway-Musical. Am streng lotrecht fal­len­den Vorhang im Hintergrund kann man erkennen, wie schief ich die Kommunionkerze halte. Ich kann mich noch erinnern, wie der Photograph mit bewundernswerter Geduld versucht hat, sowohl mich als auch die Kerze in korrekt lotrechte Position zu bringen. Wenn es ihm gelungen war, ist er zur Kamera geeilt, den Auslöser zu drücken. Ein kurzer Blick in den Sucher... und er hat nicht abgedrückt. Es ist ihm nicht gelungen, mich für auch nur wenige Sekunden gerade zu biegen, er mußte dann das Bild nehmen, auf dem die Kerze und ich noch am wenigsten schief standen.

Damit wir uns recht verstehen: Ich liebe die Geometrie, ich schätze den rechten Winkel hoch, aber nur auf dem Rechenblock, nicht im wirklichen Leben. Bei der Erstkommunion habe ich es noch geschafft, dem Terror des Rechten Winkels zu entgehen, bei der Firmung zwei Jahre später hat es mich dann aber doch erwischt.

Ich erschrecke noch heute, wenn ich mein Firmbild sehe und ich erschrecke noch mehr, wenn ich Kommunion- und Firmbild gegenüberstelle. Was für ein unbändiger, fröh­licher Bub in dem einen Bild und was für ein Schrat im anderen. Mein eigener Opa hat damals lebenslustiger auf seine Mitmenschen gewirkt als ich hier. Ich schaue aus, als wäre ich bemüht, überhaupt keine körpersprachlichen Signale auszusenden: "Überseht mich einfach!"

Gott, was hatte ich an diesem Tag aber auch aus­zu­ste­hen. Das ging mit dem Anziehen des Guten Anzugs los, das entsetzliche Schmieserl dann. Noch heute drücke ich mich vor dem Anlegen des Guten Anzugs, wann immer es möglich ist. Gottlob ist es oft möglich, nur bei Beerdigungen und Hochzeiten kommst du dem Anzugterror kaum noch aus.

Beim Betrachten meines Firmbildes meinte bei anderer Gelegenheit jemand: "Mit den weißen Schuhen erscheinst Du modisch derart weit vorne, dass es nur so scheppert." Noch heute zucke ich verstimmt zusammen, wenn mich jemand "modisch gekleidet" oder "schick" schilt. Okay, inzwischen habe ich es geschafft, daß kaum jemand mehr auf die Idee kommt, dergleichen Urteile über mich zu sprechen.

Um zu guter Letzt doch noch auf die theologischen Gesichtspunkte der Firmung zu kommen:

Die Firmungszeremonie dauerte etwa drei Stunden (kein Witz), man hatte - damit die Feier nicht gestört würde - die Kirchentüren verschlossen (auch kein Witz) und kündigte dies auch zu Beginn der Feierlichkeiten an. Ich weiß nicht, wie das bei anderen ist, bei mir führt das auch nur indirekte Andeuten möglichen Harndrangs zum sofortigen Einschießen des Harnes in den Harnleiter. "Am Harne hängt, zum Harne drängt doch alles", meint der Altmeister.

Wenige Minuten nach Beginn der Zeremonie verspürte ich das Bedürfnis zu urinieren, ein Bedürfnis, das im Laufe der drei Stunden nicht milder wurde, sondern stärker und stärker und mich verhinderte, an Gott zu denken. Wiewohl ich damals ein frommer Junge war, war all mein Denken in diesen drei Stunden auf Penis, Harnleiter und Blase gerichtet und jegliche Konzentration galt dem Bemühen, den Schließmuskel dicht zu halten. Jetzt nur nicht, mitten in der Kirche und mitten in der Firmung einbrunzen! Der anschließende Besuch des Pissoirs und das Abschlagen des überreichlich gewordenen Wassers war einer der schönsten Momente meines Lebens und ist es bis heute geblieben.

Am Nachmittag besuchte ich mit meinem Firmgöd, dem Ramerscheid, diverse Wirtshäuser zwischen Wurmannsquick und Eggenfelden. Ich kannte weder die Wirtschaften noch die Männer, die dort hockten, wohl aber kannte diese mein Firmgöd, der dort in gemütlicher Runde jeweils reichlich Bier zu sich nahm. Von Straßenverkehr und Alkohol wußte ich damals noch nicht viel, noch kannte ich den Zusammenhang zwischen Alkoholisierung und Fahrtüchtigkeit, so daß mir wenigstens die Angst bei den Fahrten erspart blieb.

Daß der Ramerscheid gar nicht Ramerscheid hieß erfuhr ich erst auf seiner Beerdigung, wenige Jahre später. Auf dem Land in Niederbayern ist es nämlich - immer noch, wie mir versichert wurde - üblich, einen Bauern nicht mit dem Familiennamen zu bezeichnen, sondern mit dem Flurnamen seines Hofes. Hättest du in Hebertsfelden gefragt, wo denn der Herr Hopper wohne, so hättest du ratloses Schulterzucken geerntet, wenn du nicht zufällig den Postboten oder den Standesbeamten der Gemeinde gefragt hättest.

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