Zehn A4 Seiten umfassen allein die Überschriften zu den Corona-Gesetzen und -Verordnungen. Wie viele davon sind verfassungskonform? Hat sich die Verfassung in der Krise bewährt?

Alle Verordnungen und Bundesgesetze seit dem Shutdown sind abrufbar auf oesterreich.gv.at. Das Portal bietet zu jeder neuen Bestimmung einen Link zum Originaltext. Die Übersicht beginnt bereits mit einer Verordnung betreffend die Betriebsbeschränkung vom 28. Februar und endet (Stand 29. Mai) mit einer Verordnung „mit der die Verordnung, mit der zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 besondere Vorkehrungen in Strafsachen getroffen werden, geändert wird“. Die Verordnung zur Verordnung zeigt, was Anlassgesetzgebung bedeutet: gestern verordnet, heute wieder aufgehoben.

Wer die Politik nur oberflächlich verfolgt, kann feststellen, dass unsere Demokratie schwächelt. Wer aktiv in einer Bewegung der Zivilgesellschaft mitarbeitet, muss feststellen, dass auf den Fundamenten unserer Verfassung Wände errichtet wurden, die das parteipolitische Establishment vor dem Volk schützen. Ein Beispiel ist das Parteiengesetz, mit dem sich die bestehenden Parteien ihre Pfründe sichern während es für neue Parteien immer schwieriger wird, einen Fuß in das System zu bekommen.

"Gegen Gesetze und/oder Verordnungen zur Eindämmung des Corona-Virus liegen dem VfGH bisher rund 70 Anträge vor", berichtet die Wiener Zeitung am 8.6.2020. Wie immer man die einzelnen Verordnungen und Gesetze zur Bewältigung der Corona-Krise beurteilen mag, verfassungskonform oder nicht, ist sekundär.

Primär ist die Frage, auf welchem Prinzip basiert diese Gesetzgebung. Und die Antwort lautet: auf dem Legalitätsprinzip. In der Praxis, die wir nun drei Monate verfolgen konnten, schaut das so aus: die Regierung entscheidet sich für eine Maßnahme und die Parlamentsjuristen schütteln in kürzester Zeit die dazu passenden Gesetze aus dem Ärmel. So wird das Legalitätsprinzip zum Selbstzweck. Bestenfalls. Schlimmstenfalls ist das eine widerrechtliche Selbstermächtigung der Regierung, die sich von der Selbstermächtigung des ungarischen Regierungschefs nur marginal, nicht prinzipiell unterscheidet.

So wird deutlich: die Verfassung darf kein Selbstzweck sein und lediglich der Legitimation der Regierungspolitik dienen, sondern muss imstande sein die Entwicklung der Demokratie zu fördern. Insbesondere in Krisenzeiten! Diesem Anspruch wird die bestehende Verfassung Österreichs nicht gerecht. Und wenn es nach den Parteien dieses Landes geht, egal ob in Regierung oder Opposition, so soll sich daran auch in näherer Zukunft nichts ändern. So schreibt die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (in einer Mail an den Autor dieses Kommentars):

„In Hinblick auf einzelne Bestimmungen wiederum wird auch die aktuelle Situation freilich Anlass zur Debatte über Änderung, Anpassungen an neue technische Möglichkeiten und Bedürfnisse geben. Solche Änderungen, gerade auf verfassungsrechtlicher Ebene sollten jedoch gewissenhaft abgewogen werden und daher erst nach Bewältigung der aktuellen Herausforderungen allenfalls umgesetzt werden. Bedarf für eine Gesamtreform der österreichischen Bundes-Verfassung besteht daher nicht.“

Auch wenn ich im Zeitgeist der aktuellen Krise viele Ähnlichkeiten mit dem Ende der Monarchie sehe, so will ich damit nicht „die letzten Tage der Menschheit“ beschwören. Doch es bleibt mehr als ein schaler Nachgeschmack, wenn die Systemträger die erkennbaren Schwächend unserer Parteiendemokratie völlig ignorieren und Diskussionen über die Ursachen dieses Zustandes verweigern.

Auszug aus einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung, 18.6.2020

Ernst Zdrahal, Die letzten Tage der Menschheit, 67x78 cm www.thurnhofer.cc

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Don Quijote

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