Dass ich begeisterter Tramper bin, ist eingefisch+fleischten Lesern hier schon bekannt. In den letzten Jahren habe ich zehntausende Kilometer auf drei Kontinenten per „Autostopp“ zurückgelegt, habe Ozeane per Anhalter überquert und sogar ein Büchlein über das Trampen geschrieben.

Und doch gibt es immer wieder Einzelheiten und Facetten des Trampens, die mir erst jetzt bewusst werden. Gerade komme ich zurück von einer Tour per Anhalter durch Skandinavien. In der letzten Woche bin ich von Hamburg über Kopenhagen, Malmö, Göteborg und Oslo nach Bergen in Norwegen getrampt.

Am Ende einer solchen Reise schwirrt mir immer der Kopf: Er ist wohl dabei, die ganzen neuen Eindrücke zu verarbeiten. Einer dieser Gedanken, der mich nicht loslassen will, seit ich mich gestern in dem Städtchen Odda in Westnorwegen in einem Buswartehäuschen für ein paar Stunden schlafen gelegt habe, ist dieser: Das Trampen ist die Königsdisziplin des Reisens!

„Die Welt ist ein Buch, und wer nicht reist, liest davon nicht eine einzige Seite.“ sagte schon Augustinus Aurelius, seines Zeichens immerhin Philosopf und Heiliger. Wenn der Mann Recht hatte, dann muss das Trampen in diesem Buch das letzte Kapitel sein, das Fazit sozusagen.

Trampen ist mit Abstand die intensivste Art zu Reisen, die ich kenne. Mein Gemütszustand veränderte sich in den letzten Tagen sprunghaft und minütlich. Meine Gedanken schwankten nur so hin und her zwischen den Extremen: Von „Ich liebe diese Schweden, es ist so toll, wie hilfsbereit die alle sind“ bis zu „Das grenzt an unterlassener Hilfeleistung, was sind das bloß alles für Arschlöcher“, war alles dabei.

Einmal stand ich irgendwo mitten im norwegischen Mittelgebirge und wartete stundenlang auf ein Auto, das mich mitnimmt. Hier lag noch einen Meter Schnee und es war saukalt, es wurde langsam dunkel und ich fror. Für eine Nacht draußen bei diesen Wetterkonditionen war ich nicht vorbereitet und ich machte mir Sorgen, wie ich die Nacht verbringen sollte.

Da kam ein grüner, alter und heruntergekommener Nissan von der Seite, in die ich eigentlich fahren wollte. Der Typ hielt an und sagte: „Ich bin schon vor drei Stunden an dir vorbeigefahren. Du kannst hier nicht stehen bleiben!“. Er lud mich ins Auto und fuhr mich in die nächste Stadt – obwohl er gar nicht dahin wollte. Er wollte mir nur einen Gefallen tun.

Heute morgen bin ich bei einer alten Frau mitgefahren, die auf dem Weg zum Gottesdienst war. Sie machte sich große Sorgen um mich und meinte, das kann eigentlich nicht gutgehen. Zum Abschied drückte sie mir eine Knoblauchknolle in die Hand: „Ich hoffe, dass sie dich beschützen wird!“.

Mein nächster Fahrer war ein Soldat in einer norwegischen Spezialeinheit und er berichtete mir von Einsatztaktiken der NATO in Afghanistan. Zwei so unterschiedliche Menschen innerhalb von einer Stunde zu erleben, das passiert einem nur beim Reisen per Anhalter.

Und beim Trampen lernt man Menschen intensiv kennen: Man trinkt nicht kurz einen Kaffee oder ein Bier miteinander, sondern man sitzt – oft über Stunden – nebeneinander im Auto und es gibt keine andere Ablenkung als das Gespräch mit dem Reisepartner.

In Schweden nahm mich erst ein Chileno mit, mit dem ich auf Spanisch kommunizierte. Mein nächster Lift war ein Bulgare, der seit zehn Jahren in Norwegen lebt – hier musste ich auf meine paar Brocken norwegisch zurückgreifen und war wieder mal erstaunt, wie tiefgründig eine Unterhaltung werden kann, obwohl man nur einen sehr geringen Wortschatz zur Verfügung hat.

„Reisen bildet“ - das sagte, glaube ich, kein großer Philosoph, sondern der Volksmund, der ja vielleicht sogar noch öfter Recht hat. In den letzten Tagen habe ich mich in Geduld und Spontanität geübt, ich habe meine Menschenkenntnis verbessert, Fremdsprachen trainiert und nebenbei an den verschiedenen Softskills gearbeitet.

Ich glaube, dass mich jede meiner Reisen per Anhalter persönlich und als Mensch einen großen Schritt vorangebracht hat.

Ihr solltet das auch mal probieren!

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Johanna Vedral

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