Der Bessermensch - ein Sieg der Ideologie über die Vernunft

Es war in der DDR. Ich war 14 und fing nicht nur an, mich für Mädchen zu interessieren, sondern auch eigenständig zu denken. Bis dahin hatte ich brav das geglaubt, was die Lehrer mir eingetrichtert hatten. Doch irgendwann, wenn man die Kindheit hinter sich lässt, fängt man an, die Welt zu hinterfragen. Sollte man zumindest. Und so fragte ich mich, warum in der DDR der Mangel regierte, aber im Westen offensichtlich nie, warum das DDR-Fernsehen so öde und das Westfernsehen so bunt war, warum man in der DDR nicht ein Schwert zu einer Pflugschaar schmieden, im Westen aber "Soldaten sind Mörder" sagen konnte. Seitdem war ich nicht nur für die DDR und den Sozialismus verloren, sondern hatte mir auch eine heftige Allergie eingefangen. Eine Allergie gegenüber Ideologien jeder Art.

Mit der Wende und der deutschen Einheit schien Besserung in Sicht. In der DDR hatte ich mir immer wieder gesagt, dass ein System nicht überdauern kann, das die Realität ausblendet und Realpolitik durch Ideologie ersetzt. Der Zusammenbruch des Sozialismus war da Bestätigung. Umso erstaunter war ich, dass es immer noch Menschen gab, die weiter an ihn glaubten und sein Scheitern für einen Betriebsunfall der Geschichte hielten. Was mir zeigte, es gibt auch Zeitgenossen, deren Reflexionsvermögen sich auf einem vorpubertären Stand konserviert.

Zur Zeit macht mir die Allergie wieder gewaltig zu schaffen, denn ich nehme zur Kenntnis, dass offensichtlich erneut Ideologien über Realitätssinn triumphieren. Die Flüchtlingskrise lässt diese Entwicklung für alle, die noch denken können und wollen, besonders deutlich zutage treten. Doch auch in vielen anderen Bereichen haben Ideologen längst wieder das Sagen. Es ist ein neuer Wahnsinn, der die deutsche politische Klasse mit den Jahren scheinbar schleichend überkommen hat und nicht nur sie, auch die etablierten Medien. Es ist die Diktatur der deutschen Bessermenschen, die uns heimsucht. Bessermenschen? Nun, ich will zum einen - politisch korrekt - nicht ein Wort benutzen, das gerade zum Unwort des Jahres erklärt wurde, zum anderen wäre Gutmensch auch viel zu harmlos für das, was ich kritisiere. Nein, wir haben es inzwischen mit seiner Steigerung, dem Bessermenschen zu tun.

Was dieser uns bietet, ist erschreckend wie amüsant zugleich. Er stellt alles in den Schatten, was einem - so man denn masochistisch veranlagt ist - an Unterhaltungswert geboten werden kann. Er liegt in der Peinlichkeitsskala weit über dem, was Dschungelcamp, Big Brother oder talentfreie DSDS-Kandidaten mit vereinter Kraft aufzubieten haben. Machen wir einmal den Check:

Die Flüchtlingspolitik

Wir erfreuen uns am Zustrom von mehr als einer Million Menschen innerhalb eines Jahres, die zu über 90% weder unserer Sprache mächtig, noch ohne weiteres in den Arbeitsmarkt integrierbar sind. Sie kommen nicht nur aus Syrien, sondern aus aller Herren Länder, aus dem Nahen und dem Mittleren Osten, aus Nordafrika und wer weiß woher. Sie kommen aus Ländern wie Afghanistan, dem Irak oder Libyen, in denen der Westen "erfolgreich" eingegriffen und die Segnungen westlicher Zivilisation verbreitet hat. Es sind Menschen, die meist, um es vorsichtig zu formulieren, ein überwiegend archaisches Frauenbild besitzen und dies in Deutschland auch sogleich unter Beweis stellen. Und wer ist darüber am meisten begeistert? Die deutsche Linke und alle VorkämpferInnen für die Frauenquote, sexuelle Vielfalt, Transgendertoiletten und was nicht sonst noch alles. Ein Treppenwitz der Geschichte.

Es wird so getan, als ob es zwischen "Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all" und absoluter Abschottung mit Mauer, Stacheldraht und Minengürteln keinen Mittelweg gäbe, als ob eine gesteuerte Asylgewährung undenkbar wäre. Alle, die an der unkontrollierten Zuwanderung - nichts anderes ist es - Kritik üben, sind Nazis, so einfach ist das.

Wir sind gar so schizophren, aus voller Brust "Refugees welcome" auszurufen und uns ob unserer gar so großen Hilfsbereitschaft heftigst selbst zu loben, aber im gleichen Atemzug die Türken um die Schließung der Grenze zu Syrien anzubetteln, damit nicht mehr so viele Refugees zu bewelcomnen sind. Wenn das keine Doppelmoral ist. Und ja, die Drecksarbeit sollen bitte schön andere machen. Als Dank dafür können sie sich unserer Kritik und wohlmeinenden Ratschläge sicher sein. Haben wir nicht gerade noch die Ungarn kräftig für das kritisiert, was wir nun von den Türken einfordern - Grenzsicherung? Deutscher Bessermenschenchauvinismus, bestens geeignet, uns in aller Welt nicht nur lächerlich, sondern auch unbeliebt zu machen.

Die Energiepolitik

Hier hat die Regierung Merkel ein besonderes Kunststück fertig bekommen. Nachdem sie im Herbst 2010 per Gesetz eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke beschlossen hatte - wofür es ja offensichtlich rationale Gründe gegeben haben muss - beschloss sie nicht einmal ein halbes Jahr später den beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie. Nun gibt es in Deutschland im Gegensatz zu Japan weder schwere Erdbeben noch Tsunamis. Doch das focht Merkel & Co nicht an. Sie waren dabei, dem Mainstream hinterher zu hecheln und der schrie Zeter und Mordio angesichts der ausgemachten atomaren Gefahr.

Politik ist jedoch nicht dafür da, irrationale Ängste zu bedienen, sondern rational zu handeln. Doch das ist von der gegenwärtigen politischen "Klasse" nicht zu erwarten. Im Gegenteil - mit dem Atommoratorium und der 180°-Wende in der Energiepolitik brach die Regierung Merkel sogar Gesetze, in dem sie das eben vom Bundestag geänderte Atomgesetz allein kraft ihrer Wassersuppe für ungültig erklärte. Gleiches haben wir in der Asylpolitik erlebt. Wie kann man aber eine Regierung ernst nehmen, die Gesetze nach Belieben außer Kraft setzt? Und mit welchem Recht kann eine solche Regierung Gesetzestreue von ihren Bürgern einfordern?

Inzwischen sind wir in der Mainstream-Energiepolitik sogar schon einen Schritt weiter. Nach dem Atomausstieg soll auch der Ausstieg aus der Kohle-Verstromung folgen. Egal, dass diese noch mit über 25% zur Sicherung unserer Energieversorgung beiträgt. Bei der Grundlast sind es sogar 57%. Künftig gibt es Energie nach Wetterlage, denn wie anders soll man eine Energiepolitik bezeichnen, die allein auf regenerative Energien setzt, deren Produktion vom Wetter und nicht dem Bedarf bestimmt wird. Zudem gibt es bislang keinerlei effektive Speichertechnologie für Wind- oder Sonnenenergie.

Ganz ähnlich sieht es mit der Elektromobilität aus. Vehikel mit schweren Lithium-Akkus und maximal 150 Kilometern Reichweite, die stundenlang aufgeladen werden müssen, bis sie die nächsten 150 Kilometer in Angriff nehmen können. Wer braucht so ein Auto? Niemand, der bei Verstand ist. Deshalb verkauft es sich auch nicht. Doch im Glauben feste Umweltpolitiker meinen, dies ändern zu müssen. Notfalls per Quote oder durch andere Zwangsmaßnahmen. Wer glaubt, die Planwirtschaft habe mit der DDR ein Ende gefunden, wird eines besseren belehrt. Es geht nicht mehr darum, ein Produkt praxistauglich zu machen, damit es akzeptiert wird, es geht darum, ein Produkt mit Zwangsmaßnahmen in den Markt zu drücken - und das allein aus ideologischen Gründen. Von Deutschland aus wollen wir mit der Förderung von Elektromobilität das Weltklima retten, koste es, was es wolle.

Die Bildungspolitik

Eliteförderung war gestern. Heute heißt es, jeder kann alles, wenn nur das Niveau genügend gesenkt wird. In einigen Bundesländern können z. B. für das Abitur nur wenige schlechte Kurs-Leistungen gestrichen werden, in anderen deutlich mehr. Bayern und Sachsen-Anhalt sind da streng, Berlin und Bremen sehr großzügig. So liegt denn auch der Anteil der Schüler, die die Hochschulreife erlangen, in Bayern und Sachsen-Anhalt nur bei 31%, in Bremen und Berlin aber bei 48%. In Berlin hat sich zudem der Anteil der Schüler mit Einser-Abitur zwischen 2006 und 2013 verdoppelt. Ein Schelm, wer böses dabei denkt. So fordern denn auch Eltern, Schüler und Medien in Ländern mit hohen Abitur-Anforderungen, endlich teilhaben zu können am Streichkonzert. Also weg mit den schlechten Noten, dann ist der Weg zum Abi frei und vielleicht machen dann in Deutschland künftig überall 50% eines Jahrgangs Abitur.

In das gleiche Horn stößt man mit der Inklusion. Alle sollen an allem teilhaben, niemand wird ausgegrenzt, jeder ist zu allem fähig. Alles sollen vor allem die Lehrer leisten. Sie sollen das Mathegenie ebenso fördern, wie das Kind mit Down-Syndrom, dabei den verhaltensauffälligen Schüler im Blick behalten, der gerne mal kräftig austeilt und auch die breite Masse der Durchschnittsschüler darf nicht zu kurz kommen, dies alles in einer Klasse wohlgemerkt. Bloß nicht separieren, was für ein schlimmes Wort.

Mit einem bisschen guten Willen und noch ein wenig Niveauabsenkung bekommen wir gewiss bald das Abitur für jedermann, 100% Abiturquote. Dann endlich ist Gerechtigkeit hergestellt. Nur, was haben wir davon? Ist eine Gesellschaft besser aufgestellt, wenn alle ein Abitur in der Tasche haben, dass weniger wert ist als früher mal ein Hauptschulabschluss? Vor allem, was kommt danach? Sollen wir beim Studium weiter machen? Wenn ein Medizinstudent das Physikum nicht schafft, sollte er dann nicht einfach streichen dürfen, was ihm nicht gelungen ist und weiter geht's auf dem Weg zum Chefarzt? Auch mit statischen Berechnungen sollten angehende Bauingenieure nicht allzu sehr gequält werden. Das wird alles überbewertet. Einfach streichen, Augen zu und durch.

So wie da manches Haus in sich zusammenstürzen wird, wird auch das Kartenhaus des deutschen Bessermenschen in sich zusammenstürzen. Man kann, um einer angeblich segensreichen Ideologie willen, versuchen die Realität auszublenden. Das Dumme ist nur, irgendwann holt sie einen ein und das böse Erwachen erfolgt. Die DDR lässt grüßen. Darauf können wir uns auch in Deutschland einstellen, wenn wir weiter Ideologie über Realpolitik stellen.

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Karin Rudorfer

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