Was dabei herauskäme, wenn man Logik und Maßstäbe der deutschen Nahostberichterstattung, wie sie derzeit auch angesichts der antisemitischen Attentate in Israel zur Anwendung kommen, auf ein Ereignis wie die Messerattacke auf Henriette Reker in Köln übertrüge.

Der Asylkonflikt in Deutschland verschärft sich immer mehr. Am vergangenen Samstag ist in Köln ein 44-jähriger Mann festgenommen und stundenlang von der Polizei verhört worden. Anschließend wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Zuvor hatte er die Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin in Köln, Henriette Reker, bei einer Auseinandersetzung an einem Wahlkampfstand im Stadtteil Braunsfeld mit zwei Messern verletzt. Vier weitere Personen kamen bei dem Streit ebenfalls zu Schaden. Reker, die am Tag nach dem Zwischenfall mit großer Mehrheit zum neuen Oberhaupt der Domstadt gewählt wurde, wird nach Auskunft der Ärzte jedoch vollständig genesen und ihren neuen Posten einnehmen können. Der Tatverdächtige Frank S., ein arbeitsloser Handwerker, sagte nach Angaben von Augenzeugen: »Ich musste es tun. Ich schütze euch alle.« Auf dem Weg zu seiner Vernehmung im Polizeipräsidium soll er außerdem gegenüber Polizisten bekundet haben, seine Tat sei ein Protest gegen Rekers Flüchtlingspolitik gewesen.

Politiker aller Parteien zeigten sich bestürzt und verurteilten einmütig das Vorgehen von S. »Das ist ein Angriff auf uns alle«, sagte beispielsweise die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Dass Frank S. Mitte der 1990er Jahre in rechtsextremistischen Kreisen aktiv gewesen sein soll, verstärkte die Empörung noch. Vordergründig ist daher klar: Hier war ein Neonazi am Werk. Inmitten dieser vielstimmigen Einigkeit scheint kein Platz für die Frage nach den Motiven, denn die Antwort steht bereits fest: Es ist Hass auf Ausländer. Doch wie groß müssen Wut und Verzweiflung eines Mittvierzigers sein, wenn er zu einer solchen Tat bereit ist und damit sein eigenes Leben wegwirft? Deutschland reagiert auf den zunehmenden Unmut von Asylkritikern mit scharfen Polizeimaßnahmen und Einschränkungen des Demonstrationsrechts. Gut ausgebildete Polizeikräfte gegen einfache Bürger mit Küchenmessern und selbst gebauten Brandsätzen – es ist eine Spirale der Gewalt mit ungleich verteilten Mitteln.

Dabei ist unübersehbar, dass die deutsche Politik den Zorn der Asyl- und Ausländerkritiker erst schürt. Deutlich wird dies nicht zuletzt an Frank S. selbst: Der gelernte Maler und Lackierer, den seine Nachbarn als »unauffälligen Zeitgenossen« beschreiben, ist seit mehreren Jahren arbeits- und perspektivlos und muss von Hartz IV leben – während die deutschen Behörden immer mehr Fremde ins Land holen und sie rundumversorgen. Selbst vollmöblierte Unterkünfte bekommen sie gestellt – teils in belebten Zentren von Großstädten, teils in malerisch gelegenen Siedlungen –, während ein Alteingesessener wie Frank S. sich mit einer Altbauwohnung in einer Seitenstraße von Köln-Nippes bescheiden muss. Besonders in den sozialen Netzwerken und auf Blogs, aber auch auf Kundgebungen wird deshalb die Wut der Immigrationskritiker immer stärker.

Manch einer spricht sogar bereits von einer »Umvolkung« und wirft verantwortlichen Politikern vor, sich gegenüber der deutschen Bevölkerung zu verhalten wie früher die Nationalsozialisten gegenüber unliebsamen Personen. Nicht wenige sympathisieren zudem erkennbar mit der Tat von Frank S.Wegen dieser »schwarz-grünen Tante« brauche man »jetzt keine Träne abdrücken«, schreibt eine Asylkritikerin stellvertretend für viele im Internet. Reker habe jetzt »Zeit, über ihre Verfehlungen nachzudenken«. Sie sei ja »selbst schuld an dem Angriff«. Ein anderer meint: »Diese Frau hat bisher Krieg geführt, indem sie Massenüberflutung massiv durch ihre Arbeit vorangetrieben hat.« Überhaupt, so glaubt ein weiterer Kommentator, werde das Handeln von Frank S. nun ausgenutzt, »um die Merkelsche Ermächtigungspolitik in der Flüchtlingsfrage durchzupeitschen und den Widerstand in der Bevölkerung zu brechen«.

Ein echtes, brisantes Alarmsignal für die Politik – eigentlich. Doch diese bleibt stur bei ihrem Kurs. Den Hardlinern in der Regierung, aber auch in Teilen der Opposition stehen nur wenige gegenüber, die auf die hoffnungslose Lage vieler Fremdenkritiker hinweisen. Dabei müsste eine Politik, die ihre Augen und Ohren vor den Motiven von Menschen wie Frank S. verschließt, wenigstens dann erschrecken, wenn Teile der eigenen Bevölkerung derart verrohen. Aber sie erschrickt nicht und befeuert so einen Aufstand. Eine Umkehr, weg von der Gewalt, zurück zur Politik, wird Deutschland immer schwerer fallen.

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Ungefähr ein solcher Text käme dabei heraus, wenn man Logik und Maßstäbe der deutschen Nahostberichterstattung, wie sie derzeit auch angesichts der antisemitischen Attentate in Israel zur Anwendung kommen, in Sprache, Aufbau und Inhalt auf ein Ereignis wie die Messerattacke auf Henriette Reker in Köln übertrüge. Manche Sätze wurden hier sogar nahezu wörtlich aus Beiträgen deutscher Nahostkorrespondenten übernommen – zum Beispiel aus Kommentaren des ARD-Mannes Christian Wagner [1, 2] –, lediglich die handelnden Subjekte wurden ausgetauscht. Dass sich der Text dadurch streckenweise liest wie ein Pamphlet »besorgter Bürger«, ist kein Zufall, sondern folgerichtig. Denn wenn es um den jüdischen Staat geht, folgen nicht wenige Berichterstatter – und längst nicht nur sie – genau deren Logik und deren Maßstäben. Antisemiten sind sie deshalb natürlich nicht, sondern bloß »Israelkritiker«. So, wie auch die »besorgten Bürger« selbstverständlich nur »Asylkritiker« sind.

Die Überschrift zu diesem Beitrag entstammt einem Tweet von Alexander Nabert, der die Schlagzeile eines Artikels auf »Spiegel Online« zum Anlass nahm, sie – wie auch hier im Text geschehen – auf die Messerattacke von Köln anzuwenden.

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