Direkte Demokratie und ihr Missbrauch – am Beispiel Griechenland

Mit der Ankündigung eines Referendums über das Angebot der EU-Partner, welches offenbar formal keine Abstimmung, sondern rechtlich gesehen nur eine landesweite Meinungsumfrage sein kann, hat der griechische Premier also die Geduld der Gläubiger überstrapaziert und den Abbruch der Verhandlungen herbeigeführt.

Jetzt wird in der öffentlichen Diskussion darüber gestritten, ob diese Form der direkten Demokratie bei so weitreichenden Entscheidungen, wenn nicht überhaupt notwendig, dann zumindest mehr als angebracht ist oder ein rücksichtsloses populistisches Manöver darstellt.

Wir NEOS sind für Bürger_innenbeteiligung, haben Mitgliederversammlungen alle paar Wochen und erstellen unsere Wahllisten in einem öffentlichen, transparenten Verfahren, an dem jede/r Österreicher_in teilnehmen kann. Recht viel näher kann man an direkter Demokratie (in Österreich) nicht sein.

ABER: Direkte Demokratie hat ihre Grenzen – am aktuellen griechischen Beispiel wird dies meiner Meinung nach auch klar.

Wie soll denn bitte die Frage lauten, über die die griechische Bevölkerung am kommenden Wochenende abstimmen soll?

Wollt Ihr den Euro behalten? JA/NEIN?

Seid Ihr für mehr Milliarden aus den EU-Ländern? JA/NEIN?

Seid Ihr für mehr Reformen? JA/NEIN?

Seid Ihr für mehr Sozialleistungen? JA/NEIN?

Seid Ihr für den Konkurs des Landes? JA/NEIN?

Eine Kombination aus all den Fragen?

Ich sehe hier wenig Chance, mit einer Frage - ohne jeweils mehrseitige Erläuterung der Konsequenzen - zu einer seriösen Abstimmung zu kommen.

Und das eigentliche Problem: Die Folgen von Variante A oder B (egal für welche Fragestellung man sich dann entscheidet) sind ja eben nicht einmal absehbar. Ich habe das auf Facebookals “Spiel mit dem Feuer” bezeichnet und sehe hier die Demokratie Schaden nehmen. (Die Frage, ob nicht auch die Geberländer konsequenterweise alle eine Volksabstimmung durchführen müssten, stelle ich da noch gar nicht.)

Tatsache ist: Premier Tsipras will sich einfach aus der Verantwortung stehlen und schiebt stattdessen dem griechischen Volk die Bürde zu, seine überzogenen Wahlversprechen obsolet zu machen, indem er es zwingt, über das unerwünschte Ergebnis seiner Verhandlungen abzustimmen. Denn nur so kann er an der Macht bleiben, ohne Neuwahlen zu riskieren.

Die Befragung dient also auschliesslich einer Politikerriege, die es nicht schafft, das zu tun, wofür sie gewählt wurde, nämlich zu regieren und nicht um zu befragen.

Stimmt die Bevölkerung den Auflagen der Geldgeber zu, wird Tsipras sagen, er wollte ja nicht, aber das Volk hat anders entschieden - es nimmt ihm somit die Verantwortung für die Konsequenzen ab. Sagt sie NEIN, kann ihm niemand einen Vorwurf machen, da er ja dem Willen des Volkes entsprochen hat. Auf der Strecke aber bleiben die armen Griech_innen, die auf eine Frage antworten sollen, deren Hintergründe von den meisten nicht einmal im Ansatz verstanden werden. Was ist denn eigentlich die Alternative zu “Kredite mit Auflagen”? - Kredit ohne Auflagen wohl nicht, auch wenn das sogar österreichische Politiker_innen fordern.

Diese Volksbefragung ist eine Bankrotterklärung der griechischen Regierung. Eine Frage mit auch von Expert_innen nicht absehbaren Folgen, ev. sogar schicksalsentscheidend, wird einer Bevölkerung übertragen, während eine feige Regierung ihre Hände in Unschuld wäscht. Das einfache Volk soll wissen, was richtig ist, wenn die besten Köpfe es nicht wissen?

Es wäre die Verantwortung der Regierung gewesen, das griechische Parlament über das Angebot abstimmen zu lassen. Aus Furcht vor einer Abstimmungsniederlage, die wohl sein politisches Aus bedeutet hätte, wird nun die “Demokratie” bemüht.

Ich finde, das ist kein Dienst an der Demokratie, sondern schadet nicht nur ihr, sondern ganz Europa. Wobei der Schaden für Europa nicht so groß sein muss, kann dies doch auch eine Chance sein, wie dieser sehr gute Kommentar in der NZZ zeigt: http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/das-ende-der-illusionen-1.18570317

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