Fischstäbchen-Populismus und seine seltsamen Blüten auf EU-Ebene...

In Österreich nicht wirklich beachtet, aber bei unseren Nachbarn in der Slowakei, Ungarn und darüber hinaus ein relativ großes Thema: Unterschiede bei den Zutaten von Lebensmitteln bei ein und der selben Marke (konkret in der medialen Berichterstattung: Fischstäbchen und Haselnusscreme, wobei es nicht Iglo und Nutella sein müssen, aber zur Vorstellung hilft).

Zuerst die Fakten, dann die Geschichte:

Lebensmittelprodukte können - auch im EU-Binnenmarkt - in Qualität und Preis unter dem Gesichtspunkt lokal verschieden ausgeprägter Nachfrage, Geschmäcker und Produktionsmethoden variieren.

Nicht weiter schlimm, wenn es dafür sachliche Gründe und eben nicht nur den Qualitäts- sondern auch den Preisunterschied gibt. Wenn jemand Fischstäbchen aus BIO-Bachforellen mit geografischer Ursprungsbezeichnung haben will, wird man das am Preis merken. Wenn jemand statt 75% Fisch und 25% Panade lieber ein Verhältnis von 80% zu 20% haben will, wird es - je nachdem ob der Fisch oder die Panade wertvoller ist - einen Unterschied beim Preis machen.

Die Politik bzw. der Konsumentenschutz soll meiner Meinung nach die Rahmenbedingungen schaffen (Regeln zu den Inhaltsstoffen, Regeln zur Deklarationspflicht auf den Verpackungen, Regeln zur Ursprungsbezeichnung, etc.), aber nicht den Herstellern, die sich im gesetzlichen Rahmen bewegen, erklären, was sie wo produzieren und verkaufen dürfen.

Soweit, so gut: Aber was hat die Politik und vor allem die europäische Politik damit zu tun?

Immer wenn Lebensmittel (oder irgendein Thema aus dem Gesundheitsbereich) involviert sind, bietet sich eine tolle Bühne für Politiker_innen zur Verteidigung der eigenen Bevölkerung, meistens zu Lasten der Nachbarn, gerne aber auch zu Lasten „der in Brüssel“.

Die Aufregung in den osteuropäischen Ländern über die „böse Lebensmittelindustrie“ (auch gerne mit dem Schwarzen Peter ausgestattet bzw ein willkommenes Feindbild in gewissen Kreisen) ist groß. Beim Ministerrat der Landwirtschaftsminister haben sich Bulgarien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn über die Praxis großer Nahrungsmittelunternehmen beklagt, in Osteuropa qualitativ weniger hochwertige Lebensmittel zu verkaufen.

Offenbar kann man als Politiker, der nach Schlagzeilen trachtet, nicht sachlich eine Erklärung liefern oder, noch besser, den kritisierten Unternehmen die Erläuterung überlassen, sondern muss tendenziell Öl ins Feuer gießen und die Sache auf eine höhere Ebene bringen.

Die Frage, was tun gegen die Ungerechtigkeit, erreicht damit auch die EU-Kommission. Deren Präsident Jean-Claude Juncker sah sich dann veranlasst, zwei Vorschläge anzubieten:

Die EU-Staaten müssten aufhören, mehr zu versprechen, als sie halten können. Also sollten sie entweder “anerkennen, dass Lebensmittelprodukte im Binnenmarkt in Qualität und Preis unter dem Gesichtspunkt lokal verschieden ausgeprägter Nachfrage, Geschmäcker und Produktionsmethoden variieren können” — oder sie sollten der Kommission die Mittel geben, einen europäischen Einheitsgeschmack durchzusetzen

Wer will jetzt wirklich, dass „die EU“ dafür sorgt, dass Nahrungsmittel auf dem ganzen Binnenmarkt derselben Qualität sind und dieselben Zutaten benutzt werden? oder gar eine zentralisierte Europäische Verbraucherschutzagentur mit allen Ressourcen, Instrumenten und direkter Durchsetzungskraft schafft, die für einen besseren Verbraucherschutz in der EU nötig?

Hätten in diesem Fall nicht genau jene, die die Regulierungswut der EU immer kritisieren, am lautesten protestiert? Sich nicht all jene, die immer gegen „zentrale“ Vorgaben auf die Barrikaden steigen, gegen die Einmischung in nationale Angelegenheiten aufgeregt?

Dieses Beispiel zeigt, wo sich die populistisch-kurzsichtige EU-Kritik in den Schwanz beißt. Das Problem ist: die Berichterstattung in den Medien endet nach der Schlagzeile „Die Lebensmittelindustrie verkauft in Osteuropa schlechtere Qualität“ bzw. nach „Minister XY kämpft in Brüssel für unsere Rechte“. Und genau das Wissen darum ermöglicht es den Populisten erst, so zu handeln.

Ob im Beispiel der Fischstäbchen oder Nutella mit mehr/weniger Haselnüssen oder bei all den anderen und viel weitreichenderen Themen.

Genau dieses Schema sollten wir meiner Meinung nach aber durchbrechen und wieder seriös und nachhaltig an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Weniger Show zur Unterhaltung, mehr Arbeit für tatsächliche Verbesserungen, und ruhig mit dem Mut, dies und jene Maßnahme in mehr als 140 Zeichen zu erklären.

Die EU-Lösung im konkreten Fall schaut übrigens so aus:

Im Entwurf der Schlussfolgerungen des EU-Gipfels findet sich folgender Text: “Der Europäische Rat begrüßt die Entscheidung der Kommission, das Thema der verschiedenen Qualitäten von Nahrungsmitteln auf dem Binnenmarkt in einem Hochrangigen Forum für eine besser funktionierende Nahrungsmittelkette anzugehen.” Im Juni werde der Europäische Rat den Fortschritt hier und bei den anderen “verschiedenen Binnenmarktstrategien” überprüfen.

Also, ein Einlenken auf einen pragmatischen Kurs, der nicht viel mehr verspricht als mal darüber geredet zu haben. - Danke, EU!

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Dieter Knoflach

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Matt Elger

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