Juncker und das EU-Parlament – Warum sitzt da niemand im Plenum?

Vorweg: Ich war eine von den gut 30 EU-Abgeordneten, die zum Zeitpunkt von Jean-Claude Juncker’s Kritik (sh. http://derstandard.at/2000060752608/Juncker-nennt-Europaparlament-laecherlich) im Plenum anwesend waren und könnte mich daher zurücklehnen und meine Kolleg_innen für die Abwesenheit bei dieser Debatte kritisieren.

Das wäre aber nicht fair und würde dem Europäischen Parlament und seinen Arbeitsabläufen auch nicht gerecht werden.

Die Tatsache, dass ich zahlreiche Anfragen (inkl. Beschimpfungen) einzelner Personen und auch der Medien erhalten habe, möchte ich dazu nutzen, hier kurz auf die Abläufe in Brüssel und Straßburg einzugehen, die zu diesen Situationen führen:

Das EU-Parlament arbeitet in Sessionen, wobei 12x im Jahr eine Plenarwoche in Straßburg auf dem Programm steht. Daneben gibt es die Ausschuss- und Fraktionswochen in Brüssel und die Wochen im Wahlkreis (hier im Überblick für 2017 in den Farben ROT für Plenum, GRÜN für Wahlkreis, ROSA für Ausschuss und VIOLETT für Fraktionswochen gekennzeichnet).

Anders als der österreichische Nationalrat, wo leider sehr oft „nur“ Regierungsvorlagen durchgewunken werden, ist das EU-Parlament ein klassisches Arbeitsparlament. Hier werden die Gesetzesvorschläge der Kommission bzw. die Argumente des Rats der Minister/Regierungschefs in den Ausschüssen mit Experten diskutiert, analysiert und debattiert. Erst dann wird der Text tatsächlich geschrieben (was in Österreich meist im Vorfeld in den Ministerien passiert und von der Regierungsmehrheit im Parlament nicht groß geändert oder ergänzt werden muss). Praktisch läuft dies so ab, dass eine (von 8) Fraktionen eine/n sogenannten „Berichterstatter_in“ ernennt und alle anderen 7 Fraktionen ihre „Schattenberichterstatter_innen“. Dies Gruppe von 8 Personen treffen sich dann regelmäßig, um die für das EU-Parlament übliche und notwendige Kompromissfindung auf Schiene zu bringen und idealerweise dem relevanten Ausschuss einen gemeinsamen Text zur Abstimmung vorzulegen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Diese Treffen, denen Vorbereitungssitzungen auf Ausschussebene und mit den eigenen Fraktionskollegen voraus- und nachgehen, sind der Kern der parlamentarischen Arbeit. Als Ergebnis steht dann der im Ausschuss beschlossene Text, der anschließend dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt wird.

Natürlich gibt es hierzu eine Debatte im Plenum. Bei 751 Abgeordneten und einer limitierten Redezeit von nur 1 Minute pro Person würde diese aber 12,5 Stunden dauern. Das ist natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, auch wenn die Sitzungszeiten der Plenarwoche an vollen Tagen von 09:00 bis 21:00 angesetzt sind. Die Plenardebatten sind daher nur mehr ein abschließendes „Schaulaufen“ mit einer Kurz-Zusammenfassung der Vorgeschichte durch die beteiligten Personen. Das EU-Parlament ist also nur zu den Abstimmungen wirklich voll. (Die Tagesordnungen und auch alle Debatten im Livestream bzw. Video sind übrigens auf www.europarl.europa.eu zu finden)

Die Ausnahme hierzu bilden die „KEY DEBATES“ zum politischen Thema der Woche, die meist am Mittwoch stattfinden. Hier geht es weniger um die Zusammenfassung bzw. technischen Details eines bereits vorliegenden Vorschlags, sondern meist um den Ausblick oder die Diskussion zu einem zukünftigen Thema.

Die Terminiserung einer Plenardebatte von 09:00 bis 21:00 Uhr zeigt, dass diese gar nicht dazu geplant ist, dass 751 Abgeordnete permanent anwesend sind.

Parallel zu den bereits erläuterten Besprechungen auf Ausschuss- und Fraktionsebene sieht der normale Plan einer Plenarwoche noch Fraktionssitzungen (täglich von 18:00 bis 20:00 Uhr), Ausschusssitzungen, offizielle Verhandlungsrunden zu EU-Gesetzen, Medientermine sowie öffentliche Besucherprogramme vor. Ich hatte diese Woche (s.h. dazu die Berichte auf meiner Facebook-Seite unter www.facebook.com/angelikamlinar) z.B. eine Sitzung mit Kommissar Ansip, die regelmäßige Runde mit den öst. Korrespondenten aller Medien, eine Besuchergruppe und ein individuelles Interview mit dem ORF zusätzlich zum „Standardprogramm“.

Jean-Claude Juncker weiß all das natürlich. Warum er mit seiner „Schimpfe“ also das EU-Parlament in ein vorhersehbar schlechtes Licht gestellt hat, ist mir nicht verständlich, da er mir sonst als Verfechter einer starken Rolle des Parlaments bekannt ist. Er hat natürlich Recht, wenn er sagt, dass bei einer Rede eines Premierministers (in diesem Fall aus Malta) allein aus Respekt mehr Abgeordnete anwesend sein sollten. Aus diesem Grund war ich ja auch im Plenum.

Der bessere Weg wäre aber gewesen, dies bilateral mit dem Parlamentspräsidenten zu besprechen, der den Klubchefs eine bessere Abstimmung der Termine nahelegen hätte können. Hier liegt nämlich das Problem: Bei der Fülle an Terminen und Sitzungen (von den Veranstaltungen, die auch noch parallel laufen bzw. von jedem/r Abgeordneten organisiert werden, habe ich noch gar nicht gesprochen) müssen notwendigerweise Prioritäten gesetzt werden. Dass diese nicht auf die mündliche Zusammenfassung einer bereits abgelaufenen Präsidentschaft, die jeder schon schriftlich erhalten hat (wie im konkreten Fall bei Malta) fällt, ist auch für mich verständlich, auch wenn ich selbst mich dieses Mal für das Plenum entschieden habe.

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Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 07.07.2017 18:01:10

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