Muss der 3. Weltkrieg ein Atomkrieg sein?

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht. In ihrem Besitz hatte die Wehrmacht zu dieser Zeit, unter anderem, 70 000 Tonnen des chemischen Kampfstoffes Tabun. Deutschland kapitulierte also bedingungslos mit vollen Lagern an Massenvernichtungswaffen die sie gegen zivile oder militärische Ziele einsetzen hätte können. Ebenso haben die Alliierten keine chemischen Kampfstoffe eigesetzt, obwohl sie es tun hätten können.

Der zweite Weltkrieg hätte (aus Sicht der 1930iger) ein Krieg der chemischen Massenvernichtungswaffen sein müssen, war es aber nicht. Massenvernichtungswaffen spielten eine absolut untergeordnete Rolle. Nicht weil sie nicht da waren, sondern weil sich alle Seiten aktiv dazu entschieden sie nicht einzusetzen.

Der dritte Weltkrieg müsste ein Krieg der Atomwaffen sein. Diese Logik entstammt Einschätzungen der 1950iger, die davon ausgingen, dass der dritte Weltkrieg ein Wettrennen zwischen Atombombern und Abfangjägern sein würde. Diese Idee ist noch immer vorherrschend, aber steht sie in Übereinstimmung mit der Realität?

Eher nicht. Die Atomwaffen, wichtiger aber noch: die Interkontinentalraketen die selbige an ihr Ziel bringen, haben uns einen Krieg zwischen Ost und West erspart. Ohne Atomwaffen hätten wir vermutlich schon den 3. Weltkrieg erlebt. Die Bombe hat Kriege zwischen Atommächten, weitgehend, verhindert. Das ist grundsätzlich keine so schlechte Sache. Die echten Kriege der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden alle sehr konventionell geführt, auch von Atommächten.

Jetzt aber sind wir aber das erste Mal in der Situation in der eine Atommacht durch eine Nichtatommacht existenziell bedroht wird.

Russlands Militär hat sich blamiert und ukrainische Soldaten standen wenige Meter vor russischem Boden, sie wissen aber dass sie keinen Meter auf russischen Boden vorrücken dürfen, weil sonst Russland von einer „existenziellen Bedrohung“ sprechen kann und somit Atomwaffen für sie rechtfertigbar wären. Das bedeutet aber nicht sofort das Ende der Welt.

Hier gilt es zu verstehen, dass nicht jede Atomwaffe gleich die Welt zerstört. Seit wir Atomwaffen haben, haben wir weltweit 2056 davon gesprengt, vermutlich ¼ davon überirdisch. Und wir leben noch. Atomwaffen gibt es auch in sehr klein. Der amerikanische W54 hat nur eine Sprengkraft von 10-20 Tonnen TNT, vergleichbar also mit der Zerstörungskraft eines Bomberschwadron aus dem zweiten Weltkrieg. Überschaubar also.

Russland verfügt ebenso über solche kleinen Systeme und der Einsatz so einer kleinen Atomwaffe auf ein rein militärisches Ziel liefert nicht genügend Rechtfertigung um amerikanische Raketen abzufeuern. Im Gegenteil, es würde vermutlich dem Westen demonstrieren wie ernst es Russland ist. Das Resultat wäre vermutlich eine vollständige Ächtung und Isolation Russlands, Russland würde zu einem Nordkorea werden: abgeschnitten und isoliert, zumindest so lange Putin lebt. Aber niemand würde auch nur in Betracht ziehen sie anzugreifen. Wie Nordkorea eben. Die Kosten sind aber langfristig schlicht zu hoch, Russland muss nach dem Krieg wieder einen Normalzustand schaffen, das würde der Einsatz von Massenvernichtungswaffen aber unmöglich machen.

Der militärische Nutzen von Massenvernichtungswaffen ist erheblich, aber der politisch-wirtschaftliche Schaden, sowie die mögliche Antwort des Feindes, den so ein Einsatz mit sich bringt ist so erheblich, dass niemand gewillt ist Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Selbst die Nationalsozialisten haben das verstanden und die Entscheidung deutschen Boden zu betreten wurde getan in dem Wissen, dass Deutschland dann eventuell Giftgas über London abwirft, worauf die Briten mit Gas reagiert hätten. Aber wie gesagt: das ist nie passiert, obwohl die technisch und logistischen Möglichkeiten dafür da waren.

Der dritte Weltkrieg könnte konventionell geführt werden, genauso wie der begrenzte Krieg in der Ukraine eine atomare Komponente erhalten könnte und es ist gut so dass wir vor beiden Optionen Angst haben. Beides ist aber absolut möglich.

Fakt ist aber dass es für Russland und auch für Putin persönlich, klüger ist einen Pyrrhussieg einzustreifen anstatt das Schachbrett umzuwerfen und rote Knöpfe zu drücken. Massenvernichtungswaffen zahlt sich schlicht nicht aus.

Ich traue mich nicht mich so weit aus dem Fenster zu lehnen und zu behaupten dass Putin selbst bei einer Invasion nicht den roten Knopf drücken würde, aber ich vermute es.

Das Problem hierbei ist meine Befürchtung, dass westliche Militärs meine Einschätzung teilen könnten, weil die historische Faktenlage eben so ist wie sie ist.

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