Die Debatte was links und rechts trennt ist keineswegs neu. Der klassische Zugang ist, dass die linke meint, dass der Mensch gezähmt werden muss und daher Regeln und Führung braucht, wohingegen der rechte Ansatz davon ausgeht, dass der Mensch grundsätzlich gut ist und durch Regeln und Führung korrumpiert wird. Sprich Hobbs gegen Locke gegen Rousseau. Nicht gerade neu.

Diese Ansicht ist auch fast 300 Jahre später noch recht aktuell, aber bedingt eine ausgedehnte Vordebatte über das menschliche Verhalten im Allgemeinen, sprich um Hobbes, Kant, Locke oder Rousseau zu debattieren muss man sich vorher ein recht klares Bild vom Menschen gemacht haben.

Und genau hier vermute ich einen Knackpunkt.

Menschen, die sich noch nie wirklich auf die erstaunliche Komplexität menschlicher Dynamiken Gedanken gemacht haben sehen die Welt in sehr einfachen Mustern und zwar in denen in denen jedes andere Säugetier das in Herden lebt die Welt sieht.

Ein Rind sieht die Welt grob in Muster ala „Futter“ „Nichtfutter“ „Stier“ „Kuh“ „Kalb“ „Raubtier“ „Nichtraubtier“. Mit dann feineren Unterschiedungen wie „Gefährliches Raubtier“ und „Raubtier das nur fürs Kalb gefährlich ist“. Aber deutlich komplexer wird’s eben nicht.

Wenn ein Raubtier identifiziert wird, bilden Rinder eine Linie und verteidigen die Jungen, Teile der Herde (vorwiegend die Stiere) greifen an und fallen wieder zurück.

Hinter diesem Verhalten stecken keine aktive Planung und keine Philosophie.

Und hier möchte ich die Kontroverse eröffnen: ich denke, dass die Politik der meisten Menschen einfach nur eine Anwendung dieser Muster ist. Sie identifizieren im Chaos rund um sich ihre Herde und unterteilen diese Herde dann gedanklich nach Schutzbedürftigkeit, sprich wer sind die Schutzlosen, wer sind die Entbehrlichen die man nach vorn schicken kann und wer steht in der letzten Verteidigungslinie.

Der Ruf „Frauen und Kinder zuerst“ schlägt in die gleiche Kerbe: der Ruf ist so selbstverständlich, weil ihn selbst das Rind verstehen würde und sowieso so handelt.

Der Schlüssel zu politischem Erfolg ist also scheinbar die politisch Unschuldigen, also jene die Instinktiv reagieren, davon zu überzeugen, dass man als Politiker die Kälber gegen die Räuber schützt.

Setzt man diese Brille auf und wendet sie auf jede Partei an ergibt sich ein geradezu schockierendes Bild, weil absolut jede Partei diese Strategie anwendet, wobei eben des einen Kalb des andren Raubtier ist.

Für den Linken ist der Migrant das schutzlose Kalb, für den Rechten das aggressive Raubtier. Für den Linken ist der Native Europäer das aggressive Raubtier, für den Rechten ist er das schutzbedürftige Kalb.

Für die unter uns die ihre politische Unschuld schon verloren haben stellt sich die Sache komplexer dar, vorwiegend ist für diesen Teil der Bevölkerung recht klar, dass das, was der Politiker vorgibt zu tun nicht das ist was er tut und seine Loyalität selten dort verortet sind wo der politisch Unschuldige sie sieht. Für uns ist klar dass der Schäferhund und der Schäfer unter einer Decke stecken und der Schäfer am Ende und Schafe essen will und der Hund mit Schafsknochen belohnt wird wenn der das Schaf zum Schlachthaus treibt.

Es gilt hier herauszustreichen, dass es hier kein natürliches rechts-links Gefälle gibt. Politisch Unschuldige, die dann naiv-instinktiv reagieren gibt es überall und sie bilden vermutlich überall die Mehrheit und diese werden eben wie die Lämmer vom Schäferhund auf Geheiß des Schäfers, unter Ausnutzung deren Instinkte, dort hingetrieben wo der Schäfer sie haben will.

Sprich die Debatte ob Hobbes oder Rousseau recht hat ist für eine kleine informierte Minderheit spannend aber im real existierenden Diskurs völlig unbedeutend. Die Realpolitik konzentriert sich nur darauf Bilder von Schutzbedürftigen und Raubtieren zu zeichnen und deswegen haben wir die absurd geführten Debatten die wir eben haben.

Die eingangs gestellte Frage "was links und rechts trennt" ist also, im big picture, unbedeutend.

Und das ist durchaus interessant.

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Claudia56

Claudia56 bewertete diesen Eintrag 13.06.2024 16:59:07

Petra vom Frankenwald

Petra vom Frankenwald bewertete diesen Eintrag 12.06.2024 08:26:37

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