Wer lange genug in Europa sozialisieret wurde bekommt eine Gänsehaut wenn er das Wort „Nationalismus“ hört. Das ist nichts Neues. Als Mitteleuropa aus Vielvölkerstaaten bestand und der Westen seine Imperien pflegte, war Nationalismus genauso verhasst wie heute.

Bei den Reichen und Mächtigen, versteht sich.

Weder der Inder noch der Ungar hatten ein Recht auf eigene Identität. Kaiser und Queen hatten die Hosen an und bestimmten was mit dem Steuergeld passierte. Man baute also lustige Kriegsschiffe und spielte eine oder drei Runden Schiffe versenken. Man baute tolle Kanonen und probierte sie an den Zivilisten der jeweils anderen aus. Wunderbar war sie, die Zeit des Imperialismus.

Für die Reichen und Mächtigen, versteht sich.

Millionen starben und wir entschieden es anders zu probieren. Wir erfanden das Selbstbestimmungsrecht der Völker und erkannten an dass der Brite und der Inder eben unterschiedliche Ansichten darüber hatten wie man sein Leben leben sollte und gestatteten es dem Ungarn eigene Regeln und Gesetze zu erlassen, ohne das Wien gefragt werden musste.

Die Reichen und Mächtigen waren empört aber zu geschwächt um etwas gegen diese Entwicklung zu tun.

Wir gestatteten es nun den Herrschern mancher Länder ihr Volk zu versklaven und wir gestatteten anderen Völkern relativ frei zu sein. Die Imperien wurden aufgebrochen, die Welt wurde bunter.

Die dann folgende Eigendynamik war unvermeidlich: Jene Staaten die ihr Volk besonders bevormundeten mussten darauf pochen dass diese Bevormundung (Regeln, Regulationen, Gesetze und hohe Steuerlast) das Einzige war dass sie vom Chaos in anderen Ländern unterschied. Warf man aber einen Blick in das besagte „Chaos durch Freiheit“ erkannte man hohen Wohlstand und Zufriedenheit. Diese Erkenntnis aber wäre gefährlich für die amtierenden Führer. Man musste also die „laschen Regierungen“, die ihrem Volk Freiheiten gestatteten, als gefährlich brandmarken und postulieren dass man die armen Völker befreien müsse. „Am deutschen Wesen“ und so weiter.

Nun sind Diktaturen eben immer gewalttätig. Eine Regierung die ihr Volk unterdrückt kann einen Krieg gewinnen, aber niemals den Frieden.

Genau diese Diktaturen bringt der Europäer mit dem Begriff „Nationalismus“ in Verbindung, obgleich die Verbindung eher schwach ist. Der Nationalist will eine Grenze zwischen sich und „den Andren“, aber es kümmert ihn eben nicht zwangsläufig was der andre tut. Nationalismus ist üblicherweise von Ignoranz geprägt, nicht von Hass. Das bedeutet dass der deutsche Nationalist den französischen meistens nicht hasst, es ist ihm nur egal was der Franzose in seinem Land tut. Eine nicht ganz ungesunde Lebenseinstellung, wie ich meine.

Blöderweise gibt es unterschiedlichste Formen von Nationalismus und nicht jede ist freidlich. Betrachten wir drei extreme Formen.

Ein Civic nationalist (eine deutsche Übersetzung des Wortes existiert nicht weil die Denkweise dem Deutschsprachigen fremd ist. Vorgeschlagen wurde aber gelegentlich „staatsbürgerlichen Nationalismus“) etwa ist es gleichgültig wie sein Nachbar aussieht. Er kümmert sich darum welchen Regeln sein Mitbürger folgen will. Er akzeptiert Regeln und Gesetze, will aber dass diese beibehalten werden, er ist also eher konservativ wenn es darum geht neue Regeln zu implementieren, sozial betrachtet aber meist liberal ("Mach wie du meinst, lass mich in Ruhe" ).

Der Civic Nationalist leitet nicht seine Identität aus seiner Nation ab sondern sucht sich eine Nation die zu seiner Identität passt. Er will weder seine noch andere Nationen ändern, sofern es die Möglichkeit für ihn gibt frei zu wählen wohin er gehen kann. Er akzeptiert dabei dass er Qualifikationen mitbringen muss um aufgenommen zu werden.

Der separatistische Nationalist (ua.: Ethnonationalisten) steht am anderen Ende des Spektrums. Er sieht ein Land als das Gebiet einer Rasse, Gruppe oder Schicksalsgemeinsschaft und suggeriert dass Rassen/Gruppen in sich harmonisch leben können. Dass Schreckgestalten wie ein Pier Vogel schneeweiß sind, entgeht dabei gerade den Ethnonationalisten interessanterweise regelmäßig. Relevant ist dass sie der Meiung sind man gehöre zu ihnen oder nicht. Ob man das nun auch so sieht ist dabei natürlich unbedeutend.

Dazwischen steht der klassische Nationalist. Dem klassischen Nationalisten liegt die Geschichte seines Landes am Herzen, er pocht darauf dass es das Land schon seit 1000 Jahren gäbe und denkt dass Geschichte einer Legitimation gleich kommt. Er glaubt an kulturelle Identität und glaubt dass ein Vorarlberger das Gleiche wie ein Burgenländer ist (für die deutschen Leser: Bayern und Niedersachsen). Er ist stolz auf Dome die seine Vorfahren gebaut haben und leitet seine Identität zu einem gewissen Grad aus seiner nationalen Zugehörigkeit ab und er will sein Land „verbessern“. Wegzugehen ist keine Option für ihn, denn er habe hier „Wurzeln“.

All diesen Formen steht der Imperialismus gegenüber: der Idee dass Ähnlichkeiten zwischen Gruppen gar keine Rolle spielen sondern alles zusammengehört was derjenige mit den dicksten Kanonen zusammenhalten kann. Denn "gemeinsam sei man stark" und außerdem und überhaupt kann nur ein Imperium gegen ein anders Imperium bestehen und wenn dann irgendwann die ganze Welt ein Imperium ist („No nations, no borders“ ) wird alles Friede Freude, Eierkuchen.

Der EU Imperialismus ist gerade dabei die klassischen Nationen in Europa aufzulösen und gleichzeitig sein eigenes Versagen offen an den Tag zu legen. Das europäische Imperium wird, sehr zum Leidwesen der Deutschen die dachten dass sie Europa endlich erobert hätten, nicht mehr lange viel Relevanz aufweisen. Die EU wird weiterbestehen, genauso wie Rom bis heute SPQR auf seine Kanaldeckel druckt, aber wie der „SPQR“ wird die „EU“ in bald nichts mehr sein dass irgendjemand ernst nehmen wird.

Das ist eine historische Chance für den staatsbürgerlichen Nationalismus. Wir können endlich mit dem Gedanken spielen Gebiete für Gleichgesinnte zu schaffen, die nicht aufgrund ihrer Herkunft eine Gruppe bilden, sondern weil sie die Welt ähnlich sehen.

Sollen doch die Kommunisten ihr Land haben, wenn sie die Kapitalisten daneben in Ruhe lassen.

Entgegen weit verbreiteter Mythen kann auch ein Linker ein Nationalist sein. Vor allem wenn er akzeptiert dass andere anders leben wollen als er bleibt ihm nicht viel anderes übrig als "Sozialismus in einem Land" (Социализм в отдельно взятой стране) zu fordern.

Jeder sollte die Möglichkeit haben zu leben wie er möchte.

Was wir aus der Geschichte lernen müssen ist aber dass Diktaturen ihre friedlichen Nachbarn nicht in Ruhe lassen können. Entsprechende Strategien müssen entwickelt werden, Atombomben helfen aber hier gewaltig einen Frieden zu erzwingen. Hätte die Atombombe den ersten Weltkrieg beendet, hätte es keinen zweiten gegeben.

Europa kann weiterhin friedlich verbunden sein, in einem Bündnis dass jeder Nation durch Kooperation ermöglicht. Die zahlreichen Nationen können auch weiterhin an gemeinsamen gigantischen Projekten arbeiten, wenn sie wollen.

Der staatsbürgerlichen Nationalismus ist die Form die für die Reichen und Mächtigen, die Könige, Kaiser und Führer, am unbequemsten ist und es ist die Form die für den einfachen Bürger am günstigsten ist, sofern er gelernt hat mit dem hohen Grad an Selbstverantwortung fertig zu werden.

Der Nationalismus hat einen schlechten Ruf weil die Mächtigen, die unsere Schulbücher und Zeitungen drucken, dort am schlechtesten wegkommen. Wer für die 99% sein möchte, muss sich von der Phantasie eines zentral organisierten Imperiums lösen und mit dem Konzept der Nation anfreunden.

Tut er das nicht, ist er nur ein nützlicher Idiot.

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Claudia56

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