Wer entscheidet was Putin wissen muss?

Als die Wagnergruppe plötzlich begann auf Moskau zu marschieren wurde die ganze Welt für einen Moment sehr ruhig und hellhörig und die Meinung wen man anfeuern sollte gingen drastisch auseinander. Die Situation ist (scheinbar) entschärft, die Zukunft sieht aber für alle Beteiligten in Russland schwieriger aus als vorher.

Was wirklich passiert ist werden wir nie völlig erfahren aber man kann eine Menge zwischen den Zeilen herauslesen.

Wir wissen, dass Wagner besser performt hat als die russische Armee und wir wissen, dass Prigozhin (Gründer der Wagner Gruppe) sehr öffentlich das Verteidigungsministerium und den Generalstab als inkompetent bezeichnet hat. Dass man sich damit im Militär keine Freunde macht liegt auf der Hand.

Scheinbar eskalierte die Situation als Wagner bei einem Marsch zurück nach Russland plötzlich eine verminte Straße vorfand und unter Feuer geriet. Die Gruppe schaffte den Angreifer zu umzingeln und lernte, dass es Russen waren.

Nach Aussagen von Prigozhin konnte ein russischer Podpolkovnik (Oberstleutnant) gefangengenommen und verhört (vermutlich gefoltert) werden. Dieser machte aber keine Aussage darüber ob der Angriff befohlen wurde.

Der Marsch auf Russland war also nicht wirklich ein Marsch auf Putin, sondern viel eher auf das russische Verteidigungsministerium.

Und hier wird die Sache in Wirklichkeit interessant.

Putin scheint das Gespräch mit Prigozhin gesucht zu haben, es wurde ihm aber mitgeteilt, dass Prigozhin nicht abhebt. Wir wissen das weil Alexander Grigoryevich Lukashenko, der Präsident von Weißrussland sich anbot zu verhandeln. Dieser sprach mit Putin und Putin versicherte ihm, dass Gespräche keinen Sinn machen würden, weil Prigozhin nicht reden möchte. Lukashenko gab aber nicht auf sondern nutzte Kontakte zum russischen FSB um Kontaktmöglichkeiten zu finden. Nur etwa 2 Stunden dauerte es bist General Evkurov eine Leitung zu Prigozhin etablieren konnte. Laut Lukashenko war Prigozhin sehr aufgeregt und verärgert, dass er keinen Kontakt zu Putin herstellen konnte.

Und hier ist der interessante Punkt zu finden.

Egal wer lügt (und irgendwer lügt ganz sicher) das Bild das gezeichnet wird ist eines in dem Putin keinen Überblick mehr hat und an allen Ecken und Enden Untergebene beschließen was der alte Mann wissen muss und was nicht. „Need to know“ (Kenntnis nur, wenn nötig) ist etwas das Putin nur allzu gut kennt, aber man arbeitet sich nicht im Geheimdienst nach oben bis zur Präsidentschaft um dann im Dunkel gehalten zu werden. Putin selber möchte seine Untergebenen wie Champions behandeln (im Dunkel halten und mit Mist füttern) aber selber natürlich alles wissen.

Genau das ist aber nicht mehr der Fall. Andere entscheiden was Putin wissen müssen und das Resultat ist eben die gelebte Katastrophe in der sich Russland gerade befindet. Trägt Putin eine Teilschuld daran? Mit Sicherheit, aber das ist nicht der Punkt.

Der Punkt ist, dass genau deswegen Diktaturen scheitern. Jede Diktatur erreicht den Punkt in dem der Apparat dem Diktator nicht mehr dient, sondern gefallen möchte. Er liefert keine Fakten mehr sondern Schmeicheleien und Versicherungen darauf dass jede Idee des glorreichen Führers pures Gold sind. In diesem Fahrwasser blüht dann natürlich Misswirtschaft, denn wenn keiner dem Führer mehr schlechte Nachrichten überbringt, kann man die neuen Reifen für die Militär LKWs eben gleich am Schwarzmarkt verkaufen und das Geld selber behalten, am Papier haben die LKWs eh neue Reifen und das ist alles was der Diktator hört, weil niemand es wagen wird ihm die schlechte Nachricht zu überbringen und wenn sich einer trauen würde, würde der Apparat sich schon darum kümmern dass die Nachricht nicht ankommt.

Deswegen funktionieren Diktaturen eben nicht. Auch der beste, netteste und freundlichste Diktator der Welt würde irgendwann diesem Mechanismus zum Opfer fallen. Demokratien sind hier weniger anfällig, weil alle paar Jahre genügend Posten durcheinandergewürfelt werden, dass Risse im System entstehen durch die die Fakten durch all das verlogene Papier durchleuchten können und die Führung eine Chance hat zu erkennen, dass Papier und Wahrheit nicht zusammenpassen.

Zugegeben: die Chance, dass eine demokratisch gewählte Regierung dann auch noch auf Basis dieser Fakten handelt ist auch nicht berauschend, aber wenigstens ist die Chance da, plus die Motivation den Vorgänger schlecht zu reden.

Wer entscheidet was Putin wissen muss? Wir wissen es nicht aber es ist vernünftig anzunehmen dass der ehemalige Geheimdienstler Putin, jemand der also sehr genau weiß wie wichtig Informationen sind, sich gerade die gleiche Frage stellt und vermutlich zu dem Schluss kommen wird dass er seit Jahren die Champignonbehandlung erfahren hat und mehr oder weniger jeder unter ihm Dinge verschwiegen hat die, hätte er sie gewusst, zu anderen Entscheidungen geführt hätte, Entscheidungen die nicht nur für Russland sondern vor allen Dingen: ihn selber das Leben deutlich einfacher gemacht hätte.

Putins Dilemma ist also weit größer als die Frage ob er Prigozhin oder Sergei Shoigu (russischer Verteidigungsminister) an die Wand stellt. Sein Problem ist, dass er offensichtlich nicht mehr den nötigen Überblick über die Fakten hat und somit jede Entscheidung falsch ist.

Das Resultat solcher Überlegungen kann im Grunde nur eine vollständige Paralyse Putins und damit des Apparats sein, oder eben wildes, fast zielloses Um-sich-schlagen.

Hätte Putin vor 2 Jahren abgedankt wäre er in die Geschichte eingegangen als der Mann der „hätte er nur ein paar Jahre mehr gemacht, Russland wieder an die Spitze geführt hätte“. So aber endet er vermutlich als ein weiterer planloser Diktator der selber das Opfer der Intransparenz wurde die er selber kultiviert hat und das ist eben nichts Herausragendes, sondern etwas das so normal ist wie ein Eichhörnchen das gern Nüsse frisst.

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CK13

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Tourix

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