Das Ende der Unterwürfigkeit oder: Was ich gerne von Hannes Androsch hören möchte.

Anlässlich seines 80. Geburtstags am Mittwoch gab Hannes Androsch wieder große Interviews. Flächendeckend, sozusagen. Androsch sagt jetzt wieder viel Zutreffendes – zur Lage der Nation gewissermaßen.

Wirklich wichtig wäre aber ein Appell an die Österreicher, sich in ihrem Verhalten Politikern gegenüber endlich von ihrem Hang zur Unterwürfigkeit zu lösen. Hannes Androsch wäre wie kein anderer Politiker in der Lage, die fatalen Auswirkungen auf Personen und Politik zu beschreiben – aus eigener Erfahrung sozusagen.

Was damit gemeint ist? Ständig wird zwar nicht nur in Österreich, aber hier aus spezifischen Gründen besonders, darüber geklagt, dass Politiker den Bezug zur Realität verloren haben und in einer Art „Blase“ leben. Dort würden sie weder sich selbst noch die Bedürfnisse der Menschen, die sie vertreten, „spüren“. Niemand aber scheint sich darüber im Klaren zu sein, dass die Wähler selbst erst diese „Blase“ erzeugen. Ihr Wille, ihre Fähigkeit und ihr Mut, Politiker mit der Wahrheit, die sie meinen, zu konfrontierten, ist enden wollend, unterentwickelt, nicht wirklich ausgeprägt, wie immer man das nennen will.

Wer aber während seines Aufstiegs auf der Karriereleiter der Politik fast ausschließlich mit unterwürfigen Menschen zu tun hat, auch mit solchen, die aus einem Mangel an Aufrichtigkeit nicht einmal einen persönlichen Vorteil haben können, der verliert ab einer gewissen Ebene jede Selbstkritik und jede Fähigkeit zur Selbstreflexion.

Hannes Androsch hat es erlebt – den Höhenflug, die Popularität, die daraus entstandene Hybris und den tiefen Fall. Die Jüngeren werden sich kaum daran erinnern. Sie kennen ihn bestenfalls als Initiator des Bildungsvolksbegehrens 2011, das wie 37 weitere Volksbegehren der 2.Republik in den Schubladen des Parlaments verschwunden ist.

Androsch war mit 32 Jahren 1970 Finanzminister der Minderheitsregierung Bruno Kreiskys geworden und musste 1980 zurücktreten – als Minister und als Vizekanzler. Er war jung, er war gutaussehend, er war dynamisch. Die „schwarzen“ Beamten des Finanzministeriums, folgten ihm, dem „Roten“, bereitwillig. Er verstand, das Haus für sich einzunehmen. Das war Aufschwung, das war Aufbruch.

Vier Jahre lang war Androsch der Sunnyboy der österreichischen Politik – für die Wähler, für die Journalisten. Irgendwann 1974 dürfte Androsch mit Hilfe einiger Parteifreunden an der SPÖ-Spitze die Bodenhaftung verloren haben. Als 36jähriger hielt er sich offenbar geeignet,Bruno Kreisky als Bundeskanzler zu beerben, wenn es denn nur gelänge, den „Sonnenkönig“ zur Kandidatur als Bundespräsident nach dem Tod von Franz Jonas zu überreden. Doch der „Alte“, damals 63 Jahre, durchkreuzte diese Pläne. Sein Kandidat, Rudolf Kirchschläger, gewann die Wahl und blieb bis 1986 Bundespräsident.

Doch der Bruch zwischen Kreisky und Androsch ist hier nicht das Thema – mit Ausnahme der Selbsteinschätzung eines 36jährigen. Die Zeiten, die waren damals anders als heute.

Wer heute über den Absturz Androschs spricht, die Fananzierung seiner Millionen-Villa, seinen Lebensstil, das explosionsartige Wachstum der Steuerberatungskanzlei „Consultatio“, an der er Anteile besaß, über Steuerangelegenheiten und Unvereinbarkeiten, der erwähnt eines nicht: Die Konsequenzen der Bewunderung der Umgebung, nicht nur der Beamten, auf einen jungen Menschen. Wenn der rasante Aufstieg eines jungen Mannes in der Spitzenpolitik ohne Korrektiv erfolgt, ist es schwer, von ihm jene Charakterfestigkeit zu verlangen, mit der er „rote Linien“ in der Politik erkennen kann. Standhaftigkeit gegen all die Schmeicheleien und Unaufrichtigkeiten ist nicht ausgeschlossen, aber nicht wahrscheinlich. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sich bei dem Betreffenden die Meinung verfestigt, diese roten Linien gelten für ihn nicht; er könne nach Belieben agieren – auch deshalb weil niemand sagt: „So nicht!“ oder „Das geht nicht“ und schon gar nicht „Das tut man nicht“.

Androsch wäre heute – und wäre es auch schon in den letzten Jahren gewesen – wie kein anderer geeignet, den Österreichern ins Gewissen zu reden: Mut vor Fürstenthronen ist eine in Österreich nicht einmal unterentwickelte Eigenschaft, sondern eine fast nicht vorhandene. Auch heute noch.

Das hat viel mit dem österreichischen Bildungswesen zu tun, das Androsch seit Jahren so am Herzen liegt. Verständlich, dass einer wie er in Strukturen denkt, diese modernisieren möchte; in Effizienz des Mitteleinsatzes, die gesteigert werden muss etc. In Wahrheit aber leidet unser Bildungssystem nicht an Mangel an Geld, sondern an Mangel an Erziehung zur Kritikfähigkeit. Mindestens so wichtig wie die richtige Ausbildung für die richtigen Berufe der Zukunft, ist die Stärkung jener Persönlichkeitsmerkmale, die Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung absichern.

Ich habe in den späten siebziger Jahren zu den Kritikern des damaligen Vizekanzlers, seiner privaten Geschäfte und Unvereinbarkeiten gezählt. Zu viele Informationen ergaben sich aus einer unerklärlichen und berührenden Freundschaft mit der bekannten Sozialistin Stella Klein-Löw damals – Informationen, die ich nie verwendet habe.

Heute, nach den Erfahrungen mit dem Aufstieg Jörg Haiders und dem Agieren Karl Heinz Grassers habe ich eine empathischere Sicht auf die abgebrochene Karriere des heute 80jährigen Hannes Androsch. Heute weiß ich, dass Unterwürfigkeit zu den zersetzenden Elementen der Politik und Demokratie gehört; dass man den jungen angeblichen „Überfliegern“ weniger Vorwürfe machen sollte als den Devoten; dass letztere wahrscheinlich gefährlicher sind für die Demokratie als die für eine Zeit „Abgehobenen“.

Heute kann ich uneingeschränkt ein Androsch-Zitat im „Standard“ unterschreiben: „Täglich die Freiheit neu erobern. Nicht aufgeben, auch auf der persönlichen Ebene nicht. Hartnäckigkeit, Zähigkeit, Beharrlichkeit.“

Fachdozent/pixabay

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