Diese Woche hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit einem Kollegen. Es ging um die Frage, ob wir Journalisten, fokussiert auf bis abhängig von den sozialen Medien, nur mehr jene Themen kommentieren, von denen wir wissen, dass sie die meisten „Zugriffe“ bekommen würden/werden/sollen. Und dies in einer Sprache, von deren zunehmender Radikalität wir das Gleiche erhoffen. Das dürfte auch der Grund sein, warum man sich bei manchen Meinungsartikeln oft fragt: „Glaubt er/sie das wirklich, was er/sie da schreibt oder geht es nur um die reine Provokation“ vulgo Klicks?

Denn gleichzeitig vernachlässigen wir Themen, von denen wir wissen, sie wären zu einem bestimmten Zeitpunkt wichtig und richtig, aber eben nicht ausreichend „klickfit“, daher beschäftigen wir uns gar nicht damit. Was das alles mit der Aufkündigung des Iran-Abkommens durch US-Präsident Donald Trump zu tun hat, wird hoffentlich aus den übrigen Zeilen hervorgehen.

Jedenfalls – und dies auch noch vorweg – sprach der Kollege von der Gefahr der Selbstradikalisierung der Journalisten. So viel Selbstreflexion hätte ich ihm, ehrlich gestanden, gar nicht zugetraut. So war dieses Gespräch in zweifacher Hinsicht überraschend gewinnbringend: Erstens beschämte es mich in meiner Voreingenommenheit und korrigierte diese, was immer ein Gewinn ist. Zweitens gibt der Begriff „Selbstradikalisierung“ allen Grund zur Nachdenklichkeit. Sie wird hoffentlich anhalten.

Und was, bitte, hat das alles mit den USA, Iran, Europa und der Gefahr eines Dritten Weltkriegs zu tun? Wären nicht mit einem Kommentar zu der niederträchtigen Gleichsetzung von Flüchtlingen und illegalen Migranten, wie sie in der Aufregung um Michael Köhlmeiers Gedenkrede immer und immer wieder propagiert wurde, viel mehr Zugriffe zu haben? Auch auf der Balkanroute waren Flüchtlinge, die um ihr Leben fürchteten und nicht illegale Migranten. Vielleicht auch, aber sicher nicht mehrheitlich. Wären nicht mit einem Kommentar zur drohenden Selbstausschaltung der Opposition in Österreich wie sie noch vor einem Jahr undenkbar war, mehr Klicks zu generieren?

Jedenfalls mit Sicherheit mehr als mit dem Hinweis auf die geradezu gespenstischen Parallelen zwischen der Begründung Donald Trumps für den Ausstieg der USA aus dem Atomvertrag mit dem Iran und jener seines Vor-Vorgängers George W. Bush 2003 für den Krieg gegen den Irak. Wer vorgestern die kurze Rede Trumps gehört hat, der hat sich 15 Jahre zurück versetzt geglaubt: Sponsor von Terror (im Irak war es Al Quaida), Atomwaffen (Massenvernichtungswaffen im Irak), Täuschung der Inspektoren (wortgleich im Irak), Verletzung der Vereinbarungen, unverzügliche Produktion von Atomwaffen (weapons of massdistruction war der Begriff im Irak).

Das Erschreckende daran: Seit Jahren liegt der Beweis vor, dass das Argument für den Krieg gegen den Irak, nämlich die Produktion von Massenvernichtungswaffen, aus Lügen gezimmert war; dass die Inspektoren nicht getäuscht worden sind. Der damalige Verteidigungsminister Colin Powell sollte später eingestehen, dass sein Auftritt vor der UNO, bei dem er all diese Lügen vertreten musste, zu den schlimmsten Momenten seines Lebens zählt.

Und jetzt stehen wir wieder vor einer Situation, in der man hilflos denkt: „Nicht schon wieder!“

https://www.youtube.com/watch?v=Nt5RZ6ukbNc

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