Auch das Bild einer lächelnden Blonden in tausendfach gesehener Selfie-Pose? Eigentlich ließe mich just dieses Blog kalt, es hat mir nichts zu sagen. Was ja nichts bedeuten muss.

Heute jedoch lächelt die Dame direkt über dem Bild aus ‚Schindlers Liste‘.

Dem berühmten Bild.

Dem Bild, dessen Geschichte die Wieder-Verwenderin der grotesken Zerr-Version des Originals weder kennt – da würde ich drauf wetten – noch interessiert.

Spielberg, Nachfahre eines Schindler-Juden, stieß auf die Geschichte des kleinen Mädchens im roten Mantel als dem Auslöser-Erlebnis Oskar Schindlers, der eines Morgens die mörderische Räumung des Warschauer Ghettos mit ansieht und dabei eben dieses kleine Mädchen entdeckt – das allein und verloren mitten im brüllenden, sterbenden Chaos steht.

Später, als die Leichen auf Karren davongekarrt werden sieht er das Kind im roten Mantel wieder. Tot auf einem Berg von Leichen.

Dieses Kind hatte keine Chance auf Leben. Es konnte nicht entkommen. Es hatte kein Handy um seinen Protest in alle Welt zu brüllen, kein Schild auf dem ‚WIR WOLLEN NACH DEUTSCHLAND‘ stand. Geschrieben von den heutzutage an allen interessanten Orten stets anwesenden hilfreichen Willkommens-Kulturlern, die es besser wissen sollten. Die – manchmal habe ich tatsächlich dieses Gefühl – geifernd auf den Tod des ersten Kindes an der mazedonischen Grenze warten, um den dann marktschreierisch für ihre ganz eigenen kruden Zwecke zu verwursten.

Das Kind im roten Mantel hatte nichts davon.*

Keine Hilfs-Organisation versorgte es mit Essen und Medikamenten und versuchte seine Eltern zu überreden, doch bitte-bitte in ein festes Haus in Athen umzusiedeln.

Denn DAS ist die Situation der Menschen an der mazedonischen Grenze. Sie müssen dort nicht sein.

Ganz anders als das Kind aus dem Warschauer Ghetto. Dieses Kind hatte keinen anderen Ausweg mehr als den in den Tod. Es wurde erschossen.

Wo droht dieses Schicksal den Menschen an der mazedonischen Grenze? Sie können jederzeit fort, in eine feste Unterkunft mit Nahrung, Bekleidung und Heizung. Sie wollen nicht. Sie halten ihre kranken Kinder hoch und brüllen, dass es ihr gutes Recht wäre, nach Deutschland verbracht zu werden. Ansonsten stürben eben ihre Kinder. Eine derartige Geisteshaltung will ich nicht kommentieren. Weil ich sie nicht verstehe.

Was ich aber wohl kommentieren will ist dieses unsägliche, widerwärtige Spottbild, das einem wahrhaft bösartigen Gehirn entsprungen sein muss.

Was für ein pervertiertes Denken kann diese beiden Vorgänge, die nichts aber schon gar nichts miteinander zu tun haben als ‚gleichwertig ‘ bezeichnen? Um sein eigenes ideologisches Trauerspiel, das ins Wanken geriet, mit allen Mitteln wieder ins Licht zu rücken?

Ich möchte manchmal auch furchtbare Ausdrücke benutzen, um gewisse Menschen zu beschreiben. Ich mache es nicht, weil ich nicht so sein will wie die. Hier allerdings brauche ich das nicht. Für einen Menschen, der DAS getan hat, der auf der Leiche eines grausam ermordeten Klein-Kindes rumtrampelt, das einsam, verlassen und voller Angst starb, der hat sich selbst mit den abwertendsten Begriffen belegt, die es in jeder menschlichen Sprache gibt.

Und was ich über gelangweilte Bloggerinnen zu sagen hätte, die jedes Foto, das ihnen irgendwie ‚aufregend ‘ erscheint teilen, möchte ich auch lieber für mich behalten.

Im Übrigen, finde ich, spricht das Bild-Ensemble Blondie/Warschauer Ghetto/Fake-Bild für sich.

Eins noch: Die Kinder aus dem Warschauer Ghetto wurden kurze Zeit später in den Kindervernichtungs-Lagern Lublin und Treblinka umgebracht. Was sicher weder so interessant noch hipp ist, um es mit ganz vielen Wein-Smilies zu teilen.

Über das Grauen, das die Soldaten empfanden, die 1945 die ungeheuerlichen Berge von Kinderschuhen (der ermordeten Kinder) dort fanden, erzählt das Gedicht von J. R. Becher

Ich bin mir ganz sicher, dass jemand, der solch eine Abscheulichkeit wie dieses Foto herstellt oder weiter verbreitet, dieses Gedicht schon aus Prinzip nicht lesen will.

Oh. Und noch eins. WIR haben nichts verstanden? Wer soll denn dieses WIR sein? Das nicht verstanden hat? Was verstanden? Wie ermordete Kinder verhöhnt und verspottet werden? Um auch mal total angesagt dabei zu sein?

Ich bemitleide dich.

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Die Kinderschuhe von Lublin

Von all den Zeugen, die geladen,

vergess ich auch die Zeugen nicht.

Als sie in Reihn den Saal betraten,

erhob sich schweigend das Gericht.

Wir blickten auf die Kleinen nieder,

ein Zug zog paarweis durch den Saal.

Es war, als tönten Kinderlieder,

ganz leise, fern, wie ein Choral.

Es war ein langer bunter Reigen,

der durch den ganzen Saal sich schlang.

Und immer tiefer ward das Schweigen

bei diesem Gang und Kindersang.

Voran die Kleinsten von den Kleinen,

sie lernten jetzt erst richtig gehn

- auch Schuhchen können lachen, weinen -,

ward je ein solcher Zug gesehn?

Wer es ganz lesen möchte:

Johannes R. Becher - Die Kinderschuhe aus Lublin

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*Der rote Mantel war eine künstlerische Erfindung von Spielberg. Dazu brauche ich keine Belehrungen.

dpa

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