Die meisten Österreicher kennen die Wirtschaftskammer. Vielen erscheint sie als monolithische Organisation. Doch die von ÖVP und SPÖ 2007 in der Verfassung einbetonierte Interessensvertretung ist im Inneren vielfältiger als viele glauben, sie vertritt einen Großteil der österreichischen Wirtschaft, insgesamt rund 517.000 Betriebe, von der Stahlindustrie bis zu den Steinmetzen, von Masseuren bis zu den Unternehmensberatern, von der Film- und Musikwirtschaft bis zum Agrarhandel, von den Hotels bis zu den Kleintransporteuren. Ein-Personen-Unternehmen sind ebenso Mitglieder der Wirtschaftskammer wie börsennotierte Weltkonzerne.

In Ihrer Gesamtheit prägt die Wirtschaftskammer Österreich stärker als viele wahrnehmen, sie berät die die Regierung bei Gesetzesvorhaben, sie verhandelt mit die Kollektivverträge mit der Gewerkschaft und bestellt Aufsichtsräte und Vorstände der Sozialversicherungen.

Wie kann es nun bei einer derartigen Vielfalt von Mitgliedern, zu einer Willensbildung kommen, die in einer effektiven Interessensvertretung mündet. Das ist tatsächlich komplex. Fakt ist, dass die vielfältigen Berufe in ca. 100 Fachvertretungen zusammengefasst werden, die in jedem Bundesland bestehen. Das führt einerseits zu Skurrilitäten, so gibt es die Fachvertretung der Seilbahnen nicht nur in Salzburg, Tirol oder Vorarlberg, sondern auch in Wien und im Burgenland (letztere mit einer sehr überschaubaren Mitglieder-Anzahl). Andererseits gibt es auch sehr große Fachvertretungen, so vertritt die Fachgruppe UBIT (Unternehmensberater, Buchhaltungsberufe und IT-Unternehmen) in Wien etwa 22.000 Mitgliedsbetriebe.

Jene Personen, die ihre Branche vertreten, werden nicht per Losentscheid ausgewählt, sondern alle fünf Jahre gewählt, das nächste Mal von 2. bis 5. März, weitgehend unbeachtet von den Medien und der breiteren Öffentlichkeit, deshalb kann man wohl von Österreichs geheimster Wahl sprechen. Die Unternehmen wählen in ihrem jeweiligen Bundesland und für ihre jeweilige Branche, ihre Mandatare (im Wirtschaftskammer-Jargon „Funktionäre“ genannt). In den einzelnen Fachvertretungen bewerben sich eine Vielfalt von Listen, einerseits mit üppigen Budgetmitteln ausgestattete Vorfeldorganisationen von politischen Parteien, andererseits aber auch parteifreie Listen. Im Wahlkampf geht es, wie überall, heiß her. Aber schon unmittelbar nach der Wahl beginnen die Kooperationen zwischen den Fraktionen, so schließen sich kleinere Fraktionen auf unterschiedlichen Ebenen zusammen, um z.B. zu erreichen, dass sie nicht nur in den Fachvertretungen auf Landesebene vertreten sind, in sie unmittelbar hineingewählt wurden, sondern auch in den darüber liegenden Bundesgremien.

Auch in der darauf folgenden Interessensvertretungstätigkeit gibt es zwischen den Fraktionen nicht nur Schlagabtäusche, sondern auch ad-hoc-Bündnisse, um das eine oder andere Thema gegenüber der Politik vorantreiben, wobei anders als in der großen Politik fixe Koalitionen eher unüblich sind, sondern flexible Kooperationen die Regel sind. Demgemäß ist, bei allen inhaltlichen Differenzen, der Umgang ein jovialer, einmal kooperiert man, einmal streitet man, doch am Ende trinkt man doch wieder mal ein Bier zusammen, denn beim nächsten Mal kooperiert man wieder.

So komplex und für Außenstehende oft schwer durchschaubar das System Wirtschaftskammer auch sein mag, es jedenfalls zu bedeutend, um es zu ignorieren. Wer will, dass sich die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessern, sollte sich zumindest die Homepages der einzelnen Wirtschaften-Fraktionen ansehen, um herauszufinden wofür diese stehen und auf dieser Grundlage eine bewusste, informierte Wahlentscheidung treffen zu können.

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