Sechs Beweise, dass ich einer kriminellen Vereinigung angehöre. (Achtung auf Nr. 6!)

Nachdem ich über die Feiertage endlich die Langfassung der Prozessberichterstattung über den sogenannten Schlepperprozess nachgelesen habe (Danke, Maria Sterkl und prozess.report), hatte ich eine unangenehme Erkenntnis.

  • Ich habe am Tag vor Weihnachten einem jungen Mann aus Afghanistan im Zug ein Ticket gekauft, da er selbst nicht genug Geld dabei hatte und die Zugbegleiter sonst die Polizei rufen hätten müssen. Was ich uns allen ersparen wollte.
  • Ich habe vor einiger Zeit einem anderen 18-jähriger Afghanen, der sich illegal im Land aufhielt, für ein paar Tage Unterkunft gewährt. Er war als 15-jähriger allein geflohen und bis kurz davor legal hier. Sein Asylantrag wurde negativ beschieden, er bekam ein Aufenthaltsverbot – durfte aber weder abgeschoben werden (weil in Afghanistan Krieg herrscht), noch das Land woandershin verlassen (weil er keinen Pass hatte und keinen bekam.) Nach dem Interview für ein Buch konnte ich ihn einfach nicht in dieser kafkaesken Situation auf der Straße sitzen lassen. Zu meiner Entschuldigung: Es war Januar und sehr kalt.
  • Ich habe zu Weihnachten 2013 einigen Flüchtlingen, die sich damals in der Votivkirche aufhielten, mehrere Pakete mit Tee, Keksen, Schals und Mützen vorbeigebracht und vorher nicht überprüft, welchen Aufenthaltsstatus sie hatten.
  • Ich habe vor ein paar Jahren zwei algerische Autostopper von Verona nach Innsbruck mitgenommen, ohne vorher nach ihren Papieren zu fragen. Sie haben mir sogar Geld gegeben: 20 Euro für die Maut.
  • Ich habe über diese Vorfälle mit anderen gesprochen.
  • Hätte ich kein Handy, gäbe es mehr als zwei Leute, die mich auffordern würden, mir eines zuzulegen, um mit mir in Kontakt zu bleiben. (Dieser Punkt scheint entscheidend zu sein – siehe weiter bei Punkt 4. meiner Learnings.)

Die unangenehme Erkenntnis: Diese kleinen alltäglichen Selbstverständlichkeiten, verteilt über ein paar Jahre, entsprechen genau dem Verbrechen der Angeklagten im Schlepperprozess. Sieben der acht Angeklagten wurden - nach einem Prozess voller unfassbarer Pannen und Schlampereien - wegen ähnlicher Taten wie meiner zu mehreren Monaten Haft verurteilt: Sie haben Landsleute in Budapest – drei Stunden von Wien, innerhalb des Schengenraumes – abgeholt, für andere Flüchtlinge aus ihrer Heimat Zugtickets für Reisen innerhalb der EU gekauft, Essen organisiert, sie auf ihrem Sofa übernachten lassen und mit anderen am Telefon darüber gesprochen. Keiner hat sich dabei bereichert.

Im Urteil hört sich das so an: Sie hätten „..die rechtswidrige Durch- oder Weiterreise von (..) Personen gefördert, organisiert, sie zum Abfahrtsort begleitet oder diese im Vorfeld verpflegt, beherbergt, betreut, ihnen Übernachtungsmöglichkeiten verschafft.“ Sechs der sieben hätten die Tat „hinsichtlich einer höheren Anzahl von Personen“ begangen, sechs als Teil einer „kriminelle Vereinigung“, drei gewerbsmäßig. (Nachzulesen ist der Schlepperparagraph §114 hier: http://www.jusline.at/114._Schlepperei_FPG.html) Die Strafen: Teilbedingte Haftstrafen zwischen sieben und 28 Monaten.

Der einzige Unterschied zu meinen Taten: Ich stolperte irgendwo unterwegs über verzweifelte Gestrandete, sie wurden vorher kontaktiert, ob sie helfen könnten – was allerdings nur ihnen und nicht mir passieren kann. Käme ich aus einem Krisengebiet und hätte es in ein sicheres Land geschafft, würde mich auch täglich jemand mit der Bitte um Hilfe anrufen.

Nun habe ich in dieser Prozessnachlese einige Dinge gelernt.

1: Das Gericht muss offenbar nicht nachweisen, dass jemand Geld verdient hat, um ihn wegen „Gewerbsmäßigkeit“ zu verurteilen – das geht auch, wenn wer nichts bekommen oder sogar Geld für die Flüchtlinge ausgegeben hat. Denn, so die Richterin: „Die beabsichtigte Einnahmegewinnung kann auch gegeben sein, wenn der Täter der Absicht in Folge einer Fehlkalkulation oder anderer Gründe nicht nachgehen kann oder auch einen Verlust erleidet.” Dabei liegt es offenbar am Angeklagten, zu beweisen, dass er nie die Absicht hatte, aus den Fluchthilfe ein Schleppergewerbe zu machen, denn ein direkter Zusammenhang wird aus keinem der abgehörten Telefonate ersichtlich.

2. Es muss keine Grenze überquert werden, damit jemand wegen Schlepperei verurteilt werden kann. Die Richterin: “Nach dem Paragraphen 114 FPG bedarf es keiner rechtswidrigen Ein- beziehungsweise Durchreise, es genügen Verhaltensweisen im Vorfeld einer rechtswidrigen Migration.“ Analog dazu könnte mich der weihnachtliche Kauf des Zug-Tickets für den Afghanen, der ursprünglich vielleicht nach Deutschland weiter wollte, ins Gefängnis bringen.

3. Die Strafe wird höher, wenn mehr als 10 Personen geholfen wird. Und das muss nicht einmal zugleich sein. So erklärte es die Richterin: „Die Deliktsqualifikation liegt bei mindestens 10 Personen. Der Zweit-, der Dritt- und der Sechstangeklagte sind einmal für 11 Personen nach Ungarn gefahren, hier wird der Tatbestand allein dadurch erfüllt. Die anderen haben ihn durch Zusammenrechnen der einzelnen Fakten ebenfalls erreicht.” Zehn Personen mit ungeklärten Status werde ich – zusammengerechnet! - wohl auch weitergeholfen haben in den letzten Jahren, wissentlich oder unwissentlich. Menschen, die aus nicht-EU-Ländern stammen, tun das sicher noch viel häufiger, ohne sich irgendwas dabei zu denken.

4. Man muss nicht einmal ein Handy haben, um den Tatbestand der kriminellen Vereinigung zu erfüllen – es reicht, wenn andere wünschen, dass man eins habe. Einer der Angeklagten wandte im Prozess nämlich ein, dass er zum fraglichen Zeitpunkt (der angeblichen Absprache innerhalb der angeblichen kriminellen Vereinigung per Handy) gar kein Handy besessen habe. Die Richterin erklärte ihm: „Zwei Personen wollten, dass Sie sich ein Handy kaufen, um mit Ihnen in Kontakt bleiben zu können. Das gilt als Beweis für die kriminelle Vereinigung.” (Zu diesem Satz fehlen mir die Worte.)

Kurz: Würde ein Gericht an mir und vielen, vielen anderen mit ganz normalen mitmenschlichen Reflexen dieselben Maßstäbe anlegen wie bei den Angeklagten im Schlepperprozess - wir wären alle als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung im Gefängnis.

Sind wir aber nicht. Denn dieses Gesetz ist auf so viele Alltäglichkeiten anwendbar, dass es nur willkürlich eingesetzt werden KANN, sonst befänden sich Tausende wegen alltäglicher Gesten der Mitmenschlichkeit in Haft. Und so muss man eben doch genau überlegen, warum unter den vielen Tausenden gerade die Aktivisten der Refugee-Bewegung monatelang abgehört wurden. Und warum gerade jene vor Gericht standen, die über Monate in der Votivkirche auf Missstände im Asylwesen und im Fremdenrecht hingewiesen hatten.

An der großen Sorge um eingeschleppte Frauen und Männer und einem echten Bemühen, die Kimrinellen dahinter zu fassen, kann der Aufwand rund um diesen Prozess kaum liegen. Sonst könnten wohl nicht ganze Frauenhandels-Netzwerke in Wien ungestört und offen ihren Geschäften nachgehen, während die Polizei damit beschäftigt ist durch einen großen Lauschangriff festzustellen, ob jemand einem Bekannten ein Zugticket gekauft hat.

Es bleibt die unangenehme Gefühl, dass Justitia in diesem Bereich nur auf einem Auge blind ist.

PS Beamte der Polizei für den Bereich Menschenhandel und Prostitution in Wien: 6. In Worten: Sechs.

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