Im November 2014 habe ich einen Vortrag von Michel Reimon (Europa-Abgeordneter der Grünen) besucht, wo dieser zum status quo der Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (kurz TTIP) berichtet hat. Im nun folgenden Artikel bemühe ich mich, die Kernaussagen zusammenzufassen. Mir sei verziehen, wenn ich nicht alle Fakten wahrheitsgetreu wiedergeben kann, aber ich habe derzeit leider keinen Zugriff auf die Original-Verhandlungspapiere – diesen Zugang hat nicht einmal Michel Reimon selbst (und der ist ja immerhin ein EU-Abgeordneter!). Ich würde mich allerdings freuen, Einsicht zu bekommen – und dann werden selbstverständlich postwendend die möglicherweise missverständlichen Darstellungen korrigiert.

Die europäische Kommission (konkret ist das Ignacio Garcia Bercero) verhandelt im Auftrag der Mitgliedsstaaten (also auch im Auftrag der österreichischen Bundesregierung) mit den Vertretern der USA (konkret ist das Dan Mullaney). Aber worüber verhandeln die eigentlich? Im Wesentlichen sind drei Säulen im Spiel: tarifäre Anpassungen (Einfuhr-Zölle auf bestimmte Warengruppen senken oder aufheben), nicht-tarifäre Abstimmungen (grundsätzlich sollen Waren jedweder Art ohne weitere Veränderungen/Kennzeichnungspflichten in den gemeinsamen Handelsraum gelangen dürfen, so auch Pharmazeutika, Chemikalien, Autos und später auch Dienstleistungen – etwa im Finanzsektor) und der viel zitierte Investitionsschutz für Anleger.

Eine zentrale Unterscheidung zwischen dem europäischen und dem amerikanischen Rechtsverständnis ist dieser hier: in den USA gilt das wohlklingende „Wissenschaftlich-keitsprinzip“ (es darf alles in den Verkehr gebracht werden, dann muss dich jemand verklagen und den Schaden nachweisen, dann müssen unabhängige wissenschaftliche Tests ausdrücklich beweisen, dass dein Produkt schädlich ist, bevor du es nicht mehr anbieten darfst), hierzulande baut man auf das „Vorsorgeprinzip“ (du musst zahlreiche Testreihen bestehen und die Ungefährlichkeit deines Produkts nachweisen, damit du es auf den Markt bringen darfst). Unterschied erkannt?

„Es sei „Leitprinzip“, dass nichts entschieden werde, was Standards bei Umweltschutz, Sicherheit sowie Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz mindern werde“, so DIEPRESSE. Das mag schon sein, die bestehenden Standards werden ja sogar durch die Investitionsschutzabkommen ausdrücklich geschützt (siehe unten). Aber das hindert uns noch lange nicht daran, ohne weitere Kontrollen die Einfuhr und den Vertrieb des jeweiligen Produktes der anderen Rechtssphäre zuzulassen. Es werden dann eben zwei Standards nebeneinander existieren – und ich muss mich bloß an den Standard halten, wo ich meine Produktionsstätten betreibe. Da werden sicherlich ganz, ganz viele Arbeitsplätze in Europa geschaffen, vor allem langfristig!

Ich war überrascht, wie einfach es war, die 62 Länder herauszufinden, mit denen Öster-reich bereits ein Investitionsschutzabkommen abgeschlossen hat. Diese Länder sind: Ägypten, Albanien, Algerien, Argentinien, Armenien, Aserbaidschan, Äthiopien, Bangla-desh, Belarus, Belize, Bolivien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Chile, China, Estland, Georgien, Guatemala, Hongkong, Indien, Iran, Jemen, Jordanien, Jugoslawien, Kap Verde, Kasachstan, Kosovo, Kroatien, Kuba, Kuwait, Lettland, Libanon, Libyen, Litauen, Malaysia, Malta, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Moldawien, Mongolei, Namibia, Oman, Paraguay, Philippinen, Polen, Rumänien, Russland, Saudi-Arabien, Slowakei, Slowenien, Südafrika, Südkorea, Tadschikistan, Tschechien, Tunesien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Usbekistan, Vereinigte Arabische Emirate und Vietnam.

Wobei, ehrlich gesagt: die Homepage des BMWFW ist nicht auf dem neuesten Stand, Südafrika hat das Abkommen schon wieder gekündigt. Ja, auch das ist möglich. Ein bilaterales Abkommen kann jederzeit einseitig gekündigt werden, wenn eine der beiden Parteien den Wunsch verspürt. Südafrika hat 2013 nahezu alle Investitionsschutzabkommen gekündigt, weil sie laut eigenen Angaben eine generelle positive wirtschaftliche Entwicklung im Land sehen und der Schutz von Investitionen bereits ausreichend in der südafrikanischen Verfassung verankert wurde. Viel dürfte es in der Praxis dennoch nicht verändern, denn: „bestehende österreichische Investitionen in Südafrika sind noch für weitere 20 Jahre nach Außerkrafttreten des Abkommens nach den Bestimmungen desselben geschützt. Für neue Investitionen haben diese Regelungen dann keine Gültigkeit mehr“, so die WKO.

Interessanterweise ist sogar der Mustertexte online abrufbar, begleitet wird dieser von einigen beschönigenden Kommentaren des BMWFW. So wird etwa in den Artikeln 4 und 5 festgehalten, dass die kontrahierenden Parteien darin übereinstimmen, dass es „unpassend“ („inappropriate“) sei, Investoren durch das Abschwächen der Standards im Bereich Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte anzulocken. Artikel 7 beginnt harmlos („Eine kontrahierende Partei [= der Staat] soll nicht enteignen, … außer dies ist im öffentlichen Interesse …“). Dieser Artikel machte mich stutzig: öffentliches Interesse steht plötzlich über der Enteignung? „… und von einer prompten, angemessenen und effektiven Kompensation begleitet.” Puh, gerade noch einmal die Kurve gekratzt. Der Staat darf selbstverständlich seine Gesetze ändern – und muss zeitgleich eine horrende Entschädigungssumme an jeden einzelnen ausländischen Investor ausschütten. Wie viele der oben genannten Entwicklungsländer können sich da selbstbestimmt neue Gesetze „leisten“? Gab’s da nicht mal einen Grundsatz, dass der Staat unabhängig von Drittstaatsinteressen nationale Gesetzgebung betreiben darf („do not intervene in internal affairs“)? Diese Unabhängigkeit sehe ich stark beeinträchtigt.

Doch warum machen diese Länder da überhaupt mit? Ich nehme an, dass in der Praxis bei Abschluss dieser Vereinbarungen einige ausländische Großkonzerne bereits in dem betreffenden Land investiert haben (zB. Baumwollplantagen in Bangladesh oder Zuckerrohrplantagen in Belize oder dem Zusammenbau billiger Plastikteile in China) und akut damit drohen, das Land zu verlassen, wenn nicht zugesagt wird, die gesetzlichen Standards nicht zu verschärfen. In einer Dokumentation kam sogar einmal auf: „Das Land, in dem wir hier gerade sind (ich glaube, es war Indien), kann es sich gar nicht mehr leisten, Arbeitnehmerschutzrechte einzuführen, weil so immens hohe Kompensationszahlungen fällig werden würden, die den ausländischen Investoren den Schaden ersetzen.“ Beim deutschen Fracking-Verbot wäre es ja noch schöner: die ausländischen Konzerne würden nicht einmal die Umwelt zerstören und erhalten dennoch den entgangenen Gewinn!

Man könnte dies auch so darstellen (und Michel Reimon macht dies auch regelmäßig): Österreich leistet gerne imagewirksame finanzielle Entwicklungshilfe in Dritte-Welt-Länder. Dafür wird im Gegenzug die Gesetzesfindung unterbunden. Also sind die heimi-schen Aufwände für die Entwicklungshilfe nicht mehr als eine symbolische Entschädigung für die gezielte Ausbeutung. Die heimischen Studenten fordern zwar eine Uni-Milliarde, aber wo bleibt die Vietnam-Milliarde (mal abgesehen davon, dass Vietnam geschätzte 419-mal mehr Einwohner hat als wir Studierende [auf einer Basis von 218.000 österreichischen Studierenden an öffentlichen Universitäten im Vergleich zu 91,5 Millionen Vietnamesen])? Wer profitiert denn von der Entwicklungshilfe? Am Ende die österreichischen Konzerne, die in Billiglohnländern ihre Spielzeuge und Bekleidung herstellen lassen? Wer dann konkret die Schadenersatzzahlungen bekommt, ist nicht bekannt – weil keine Veröffentlichungspflicht besteht (sind ja bloß Geheim-Privat-Nichtherschauen-Tribunale, die über das Schicksal des Entwicklungslandes entscheiden). Aber: Österreich hat noch nie eine Schadenersatzklage eines Investitionsschutzabkommens-Partners verloren, weil das österreichische Jahresbudget dafür einen eigenen Posten kennt, der seit vielen Jahren mit einem Nuller ausgewiesen wird (zugegeben, es ist relativ unwahrscheinlich, dass sich ein Unternehmer aus Belize, vom Kap Verde oder aus Tadschikistan ausgerechnet in Österreich niederlässt – wir sind ja diejenigen mit den hohen Umweltschutzauflagen und den unangenehmen Arbeitnehmerschutzstandards).

Interessant ist aus meiner Sicht speziell das Verhältnis zu dem guten Dutzend an EU-Staaten, mit denen Österreich ein solches Abkommen unterzeichnet hat. Konsequent durchgedacht müsste das dann so ablaufen: eine österreichische Firma besticht einen EU-Parlamentarier (den Namen lasse ich frei, so viel Phantasie traue ich dir zu), um höhere Mindestlöhne zu fordern. Die österreichischen Abgeordneten stimmen im EU-Parlament für höhere Mindestlöhne in allen EU-Staaten, weil dies im öffentlichen Interesse liege. Die nationalen Parlamente – sagen wir Malta, denn dort war ich schon – müssen die EU-Richtlinie betreffend der höheren Mindestlöhne verpflichtend umsetzen. Am nächsten Tag stehen die österreichischen Investoren (ja, dieselben, die gerade unserem lieben Ex-Innenminister einen Geldbetrag in der Größenordnung von € 100.000,- zukommen haben lassen) auf den Barrikaden – was für eine Sauerei, diese willkürlich beschlossenen Mindestlöhne verlangen nach einer anständigen Kompensation, gerechtfertigt sei hier eine Summe von … sagen wir, 10 Millionen Euro? Jetzt komme ich mir richtig blöd vor, wenn ich von meinen jämmerlichen Sparbuchzinsen in der Größenordnung von Null-Komma-Nichts berichte. Ich glaube, ab sofort investiere ich ins Ausland. Am besten ins befreundete Ausland, wo wir ein bestehendes Investitionsschutzabkommen haben. Die Erträge fließen selbstverständlich in eine der vielen Steueroasen, die die EU freimütig anbietet – die Cayman Islands, die Britischen Jungferninseln, Gibraltar, Bermuda, Anguilla sowie die Turks- und Caicos-Inseln werden alle von den Briten unterstützt (= Übersee-Territorien der Europäischen Union), die selbstverständlich kein Interesse an der Trockenlegung ihrer hübschen Steuerspar-Inselchen haben.

Es wurde bereits eine Freihandelszone („Comprehensive Economic and Trade Agree-ment“, kurz CETA) zwischen Kanada und der EU ausverhandelt und im August 2014 den EU-Mitgliedsstaaten zur Prüfung vorgelegt. Anschließend entscheiden die nationalen Vertreter im EU-Parlament, ob sie diesen 1500-seitigen Vertragstext annehmen oder ablehnen. Im Falle des Scheiterns (zB. auf Druck der Öffentlichkeit, oder weil die Vertreter sich nicht einig werden) der TTIP-Verhandlungen können amerikanische Konzerne also problemlos in die kanadisch-europäische Freihandelszone einsteigen (zB. via Zweigniederlassung in Kanada) und von allen Vorteilen dieses Abkommens profitieren. Anfangs dachte ich bei der Meldung vom 26. August 2014, dass die Fast-Food-Kette Burger King mehr als elf Milliarden US-Dollar für den Donut-Anbieter Tim Hortons (Hauptsitz in Oakville/Ontario/Kanada) bezahlt, ja noch an ein Steuerschlupfloch, aber diese Mitteilungen lassen den Deal in einem gänzlich anderen Lichte erscheinen – die Intention von Burger King könnte ja durchaus auch sein, seine Lebensmittel ohne besondere Kennzeichnungspflichten oder Anpassungen am europäischen Markt zu verkaufen. Es ist wohl hinreichend bekannt, dass amerikanische Unternehmen typischerweise ein niedrigeres Level bei Lebensmittelstandards einzuhalten haben.

Wenn man bis hierher sich noch nicht entmutigen hat lassen, „für das Gute“ zu kämpfen, dem seien noch einige Tipps mit auf den Weg gegeben, was für ein bisschen mehr Gerechtigkeit getan werden kann. Zunächst wäre das Transparenz-Argument anstrebenswert, ich will wissen, was die von mir (indirekt) bestimmten EU-Vertreter mit den US-Vertretern besprechen. Ich meine, die österreichischen Nationalratssitzungen kann man ja auch in voller Länge als Live-Stream und als Aufzeichnung ansehen, wenn man Lust dazu hat. Nach Abschluss der Verhandlungen (und dieser Moment wird ziemlich sicher kommen, sofern die Protestwellen der transparenz-wütigen Bürgern die Verhandlungen noch nicht kippen ließen) wird das EU-Parlament über den Entwurf abstimmen – und hier scheint insbesondere die sozialdemokratische Fraktion zu schwanken, ob dies wirklich so eine ausgezeichnete Idee ist. Michel Reimon wird jedenfalls versuchen, die endgültige Beschlussfassung von den Abstimmungen in allen 28 EU-Mitgliedsstaaten abhängig zu machen (denn die Verhandlungsergebnisse werden höchstwahrscheinlich nationale Interessen berühren) – und es braucht bloß einer der 28 Staaten einknicken, um das ganze Theater zu Fall zu bringen. In diesem Sinne: frohes Weihnachtsfest 2014, vielleicht gibt’s ab dem nächsten Weihnachtsschmaus schon gentechnisch veränderte und chlorgebadete und von Mik-roorganismen zerfressene Festtagsspeisen.

Weitere Quellen: Weltjournal+ vom Mai 2014 (kurz vor den EU-Wahlen) und ATTAC.

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Christoph Cecerle

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