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„Eigentlich weiß niemand so genau wo ich bin“, dachte ich mir an diesem ersten Abend in meiner Unterkunft, nachdem ich den Pflichtteil meiner Reise erfüllt hatte. Nun war ich auf mich zurückgeworfen, gänzlich und vollkommen, ohne irgendeine Verpflichtung. Da war kein Termin, noch sonst etwas Drängendes. Sieben freie Tage lagen vor mir. Man könnte es auch Planlosigkeit nennen. Ich nannte es Offenheit für das Gegebene. Alles was diesen Tagen an Planung vorausging war die Strecke, die ich zu fahren hatte. Und nun saß ich da, und dachte mir, was ich wohl mit mir und meiner Zeit anfangen könnte. Bewusst hatte ich auf Internetverbindung verzichtet. Eigentlich wäre es ein Leichtes gewesen einfach abzutauchen. Es war ein Gedanke, den ich spann. Ein interessanter Gedanke, wenn auch nicht mehr, denn am Ende dieser Woche stand die Rückkehr, und, damit verknüpft, Menschen, die sich auf mich verließen, die meine Rückkehr erwarteten. Wie leicht kann solch eine Situation kippen. Abgeschlossen von der Welt, ohne jeden Anknüpfungspunkt, kippen in ein Gefühl der Verlorenheit und des Ausgeliefertseins, inmitten von Gleichgültigkeit. Niemand wusste wo ich bin, weil ich mir den Namen von dem Ort partout nicht merken konnte. Bloß, dass er in Baden-Württemberg lag, das wusste ich. Aber Baden-Württemberg ist groß.

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Baden-Württemberg, wie ich nun herausfand, und das ganz ohne Internet, ist das drittreichste Bundesland Deutschlands, gelegen zwischen Bayern, der Schweiz, Frankreich, Rheinland-Pfalz und Hessen. Dabei ist es gar nicht so weit weg, bloße 700 km, und doch schien es mir so fern wie ein anderer Kontinent. Aber das ist wohl mit allem so, was man nicht kennt, Orte wie Menschen. Nachdem ich etliche Prospekte studiert hatte, setzte ich mich am nächsten Morgen ins Auto um die Umgebung zu erkunden. Ich hatte bereits dazugelernt, wusste, dass ich mich im Landkreis Biberach befand, einem Gebiet, in dem die Hohenzollern omnipräsent zu sein scheinen, und wo gerade kein Schloss oder keine Burg steht, da zumindest in Form einer Hohenzollerstraße.

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So besuchte ich Burg Sigmaringen und aß Hohenzollertorte, die – wie mir berichtet wurde – dem Wappen der Hohenzoller nachempfunden ist, das als Hintergrund vier Rechtecke in schwarz, silber aufweist. Späterhin schliff sich das Silber auf Weiß ab, aber die Torte schmeckt ausgezeichnet.

Nach diesem ersten Ausflug war ich auf den Geschmack gekommen, so dass des Weiteren Tübingen, die Universitätsstadt,

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die Burg Hohenzollern,

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Stuttgart und Veringenstadt, der Ort, in dem ich logierte, meinem Erkundungseifer zum Opfer fielen. Mein Ziel für den jeweiligen Tag legte ich am Morgen fest, und wenn mir dann unterwegs etwas ins Auge fiel, dann war ich durchaus auch bereit meine Pläne über den Haufen zu werfen und spontan stehen zu bleiben. Da zu sein. Warum auch nicht, denn ich war während dieser Zeit niemanden als mir selbst gegenüber verpflichtet. Abgerundet wurden diese Ausflüge durch lange Spaziergänge.

Abgeschottet von der Welt, abgetaucht in eine sanfte, friedliche Landschaft, ging auch das Weltgeschehen spurlos an mir vorüber, selbst die Ereignisse in Köln und anderen Städten in der Silvesternacht. Nicht einmal 500 km von mir entfernt war es geschehen, neben all den anderen Tragödien, die sich Tag um Tag in der Welt abspielen, während ich im Warmen saß oder vom Hölderlinturm auf den Neckar hinabsah, über höfische Dekadenz staunte oder mich mit Torte vollstopfte. Es lag außerhalb meiner Wahrnehmung. Und der naive Gedanke schoss mir durch den Kopf, warum es denn nicht überall so sein könne, dass die Menschen in Ruhe ihr Leben leben könnten, unbehelligt und anerkannt. Das war der Moment, in dem ich wusste, es wäre wohl an der Zeit in die Wirklichkeit zurückzukehren.

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Darpan

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Paradeisa

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