Schafe, Weite, Wind, Wellen, Klippen, Whiskey, Steinmonumente – das ist wohl das erste, was uns zu Irland einfällt, und alles stimmt.

Ich sitze an der Atlantikküste, am westlichsten Punkt Irlands, sitze und schaue. Mehr mache ich nicht. Gerade ich, die ich normalerweise ohne Betätigung keine fünf Sekunden ruhig sitzen kann, ich sitze und schaue. Nichts weiter. Mein Blick verliert sich in der Weite der grünen, sanften, hügeligen Landschaft. Die Häuser stehen vereinzelt wie die Schafe, verliert sich über die Klippen hinweg in der Weite des Ozeans. Und manchmal, da sitze ich nur und schaue nicht einmal. Mit geschlossenen Augen höre ich den Wellen zu, wie sie auf die Klippen zurollen, sich daran brechen und wieder zurückziehen, inhaliere ich die salzige Luft.

Es gibt nicht viel hier, auf der Halbinsel Dingle. Der Ort, in dem ich mich befinde, trägt den Namen Ballydavid, in dem es so mehr Häuser wie Einwohner gibt. 30 Einwohner und viele Häuser. Wochenendhäuser. Es ist nicht ratsam hier zu leben, wenn man noch im erwerbstätigen Alter ist, denn hier gibt es keine Arbeitsplätze, nur Schafe und ab und an eine Kuh. Das bietet nicht genug. Obst oder Getreide wächst hier nicht. Die Luft ist zu salzig, heißt es. Nebenan brüllt ein Esel, durchdringend sein I-Ahh. Beim I einatmen und das Ahh ausatmen. Dennoch klingt es sanft und versetzt mich in einen Zustand außerhalb der Zeit. Ein kleiner Greißler und zwei Pubs, das sind hier die Zentren, so wie in den meisten Orten hier unten im Nordwesten. Viele Touristen kommen hierher, denn immer mehr suchen die Ruhe, suchen Orte, an denen die Zeit stillzustehen scheint. Die Pubs, in denen man sich trifft, denn die Iren sind gesellige Menschen. Der Greißler, bei dem es alles gibt, was man zum Leben braucht. Lebensmittel, Kosmetik. Haushaltsartikel. Auch die Post und die Bank sind darin untergebracht. Braucht man mehr, muss man in die nächstgrößere Stadt fahren.

Ruhe und Gelassenheit – Vokabel, die sonst in meinem Leben nicht vorkommen, oder zumindest sehr selten. Schon die Anreise bereitete mich darauf vor. Mit dem Zug quer durch Österreich, Deutschland und Frankreich bis zur Küste. Von dort mit der Fähre zur grünen Insel und nochmals mit dem Bus von der Ost- zur Westküste. Stundenlang mit dem Bus unterwegs, das ließ mich sehen, die Weite und die Ruhe zulassen. Zwischen Feldern ging es hindurch, die jeweils mit kleinen Steinmauern voneinander getrennt waren, denn hier nahm man zum Bauen was man hatte. Wenn ein Feld, eine Weide urbar gemacht wurde, dann grub man die Steine aus und verbaute sie zu diesen Steinmauern, die nun auf hundert und aberhundert Kilometern das ganze Land durchziehen. Zuletzt stieg ich aus dem Bus und nahm meinen Rucksack.

Ab diesem Moment würde ich das Land zu Fuß durchqueren, von einem Ort zum anderen. Wohl gab es eine vorgegebene Tagesetappe, aber die war jeweils so berechnet, dass es nicht im Eiltempo dahinging, sondern immer wieder Zeit war sich auf das Land einzulassen. Ab und an begegnete ich anderen Wanderern. Aus aller Herren Länder kamen sie hierher und mit allen kam ich ins Gespräch. Manchmal gingen wir ein Stück Weges gemeinsam, weil es sich eben so ergab, doch zumeist genoss ich die Stille. Es ist gut für sich zu sein, gut sich Zeit lassen zu dürfen, sich für sich Zeit zu nehmen. Auch das Wetter war mir hold, was in dieser Gegend wohl nicht selbstverständlich ist, denn das ganz Irland wie ein riesiger von einem Rasen überzogen ist, um den jeder Golfplatz es beneidet, kommt nicht zuletzt von den vielen Regenfällen. Am zweiten Tag meiner Wanderung durfte ich auch das genießen. Auf meiner Tagesetappe hatte ich einen Berg zu überwinden, und gerade als der Anstieg begann, begann auch der Regen, ein anhaltender, vom Wind gepeitschter Regen.

Trotz Regenbekleidung war ich bald völlig durchnässt. In diesem Zustand erreichte ich mein Ziel, eine Herberge in einem kleinen Ort. Als mich die Besitzerin kommen sah, drehte sie für mich die Heizung auf, damit ich meine Kleider trocknen könne. Nach einer heißen Dusche fühlte ich mich wie ein neuer Mensch, doch noch schöner war es im Gemeinschaftsraum mit Tee und Scones bewirtet zu werden. Das war nicht ausgemacht, sondern einfach nur Gastfreundschaft. Mein Abendessen nahm ich im angrenzenden Pub ein, in dem auch an diesem Abend Live-Musik gespielt wurde. Nicht nur, dass die Iren ein kunstsinniges Volk sind, es ist auch selbstverständlich, nach wie vor, dass in jedem Pub ein Tisch für Musiker reserviert ist.

Jeder, der sich berufen fühlt darf dort spielen. Ganz egal wie gut oder schlecht die Darbietung ist, es wird immer applaudiert, aus Respekt vor dem Künstler.  Kein Wunder, dass es immer wieder Künstler hierherzieht, unter anderem auch deutsche Schriftsteller wie Heinrich Böll oder Martin Walser. Und wenn ich dann am Abend im Pub bei einem Glas Whiskey sitze, dann kommt man auch recht schnell ins Gespräch. Alle Klischees, die so in den Köpfen der Menschen über Irland wohnen, haben sich als wahr erwiesen, und genau das macht das Land zu meinem Sehnsuchtsland.

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