Worüber andere nur reden, das ist in Mustermannshausen bereits längst Realität. Nachdem dieser Ort immer mustergültig ist, erfüllt er selbstverständlich seine Hausaufgaben im vorauseilenden Gehorsam bevor sie gestellt werden. Andererseits stellen wir unsere Erfahrungsberichte auch gerne für andere Stellen zur Verfügung. Natürlich gab es anfangs einen gewissen Widerstand in der Bevölkerung, doch das muss man nicht so ernst nehmen, denn die Bürgerinnen sind wie kleine Kinder. Sie wollen keine Veränderungen, denn sie können nicht abschätzen, dass es nur zu ihrem eigenen Wohl sind. Deshalb muss man auch mal Zwang anwenden, aber wenn sie dann sehen, dass es gut für sie ist, sind sie desto erfreuter. Aber woher sollen sie auch wissen, was gut für sie ist. Das weiß allein die Obrigkeit, die aus gutem Grund das Heft in der Hand hat. Diese flächendeckende Überwachung ist nicht nur Selbstzweck, sondern soll die Möglichkeit bieten die Bürgerinnen zu erziehen, ihnen zu einem gelungenen, glücklichen Leben zu verhelfen. Deshalb werden die Daten permanent ausgewertet und jede Bürgerin einmal im Jahr zu einem Gespräch gebeten, damit Fehler korrigiert und Vorzüge verstärkt werden können. Diese Gespräche werden durch fundiert geschulte Kräfte durchgeführt, die psychologisch, physiologisch und pädaggogisch sattelfest sind. Mit Erlaubnis der entsprechenden Bürgerin wohnten wir einem solchen Gespräch bei, damit jeder sieht wie befreiend und konstruktiv es ist. Die Namen sind selbstverständlich unverändert, denn schließlich bleibt eh nichts geheim. Es fand zwischen Fr. Niederwimmer, 33 Jahre alt, Mutter von 5 Kindern, verheiratet, und der Fachkraft Fr. Friedel, 55 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos, statt.

Fr. Friedel:Grüß Gott, Frau Niederwimmer. Nehmen Sie doch bitte Platz.

Fr. Niederwimmer: Grüß Gott. Ja, gerne.

Fr. Friedel:Sie brauchen keine Angst zu haben. Das geschieht alles zu Ihrem eigenen Wohl.

Fr. Niederwimmer:Ja, aber die Reporter, ich fühl mich doch ein wenig unwohl, wenn das wer hört.

Fr. Friedel:Wieso denn? Haben Sie irgendetwas zu verbergen?

Fr. Niederwimmer:Nein, aber ich kann ja auch Dinge für mich behalten, die ich nicht verbergen muss, einfach, weil ich es will.

Fr. Friedel:Aber ich bitte Sie, wir sind ja quasi unter Freunden. Alle Bürger eines Landes sind Freunde und meinen es gut miteinander, und die Reporter, die geben es ja auch nur in die Zeitung, da ist gar nichts dabei.

Fr. Niederwimmer:Na ja, wenn Sie es so sehen.

Fr. Friedel:Nicht ich sehe es so, so ist es. Aber jetzt zu dem Bericht über Sie. Die Auswertung Ihrer Konten ergab negative und positive Punkte. So haben Sie Ihren Tabakkonsum nicht reduziert, sondern gleichgehalten. Unseren Berechnungen nach rauchen Sie mindestens 10 Zigaretten am Tag. Das haben wir schon bei unserem letzten Gespräch angemerkt. Wenn Sie so weiter machen müssen wir Ihre Krankenkassenbeiträge erhöhen.

Fr. Niederwimmer:Ja, aber, es ist halt wegen den Nerven.

Fr. Friedel:Das sehen wir. Wachsen Ihnen die Kinder über den Kopf?

Fr. Niederwimmer:Nein, das nicht, aber es ist so schwierig, weil immer die Beiträge erhöht werden.

Fr. Friedel:Und Sie mir einreden wollen, Sie haben zu wenig zum leben. Dabei profitieren Sie von den Transferleistungen. Sagen Sie nie wieder, der Staat wäre unverschämt, wo er doch so großzügig ist, sonst kürzen wir die Familienbeihilfe wegen unbotmäßigen Verhaltens. Es geht ja dabei nicht nur um Sie, sondern Sie geben ja diese Aufmüpfigkeit an Ihre Kinder weiter.

Fr. Niederwimmer:Wenn Sie das so sehen.

Fr. Friedel:Nicht ich sehe das so, so ist es. Ansonsten sehen wir, dass Sie ordentlich Steuern, Abgaben und Kirchensteuer zahlen. Sie kaufen brav ein, allerdings lässt Ihr Freizeitverhalten zu wünschen übrig. Sie verbringen immer öfter Ihre Zeit mit irgendeiner Freundin im Kaffeehaus. Andererseits ist die Qualitätszeit, die Sie mit Ihren Kindern verbringen im Schnitt pro Tag pro Kind 22,486 min. Die vorgeschriebenen Mindestzeit beträgt allerdings 25 min. Wenn Sie dieses Verhalten nicht schleunigst ändern, dann müssen wir Konsequenzen ziehen.

Fr. Niederwimmer:Beim letzten Gespräch sagten Sie mir aber, dass ich zu wenig Zeit für soziale Aktivitäten aufwende.

Fr. Friedel:Das stimmt. Das muss ich auch lobend hervorheben, dass Sie sich bessern, aber deshalb brauchen Sie nicht anderes schleifen zu lassen.

Fr. Niederwimmer:Aber das geht sich doch alles nicht aus.

Fr. Friedel:Hören Sie, wissen Sie wie oft ich diese faulen Ausreden höre. Die Vorgaben sind nach wissenschaftlichen Methoden strengstens aufgestellt, da gibt es kein Sich-Nicht-Ausgehen. Wenn Sie sich Mühe geben geht das. Nun, Sie haben das Fach „Effizientes Leben“ noch nicht gehabt, damit seien Sie entschuldigt, ein wenig, aber ich habe es auch gelernt und bin viel älter als Sie. Weiters haben wir festgestellt, dass Sie den regelmäßigen geschlechtlichen Verkehr mit Ihrem Mann vernachlässigen. Die vorgeschriebene Mindestzahl, 1,5 Mal pro Woche. Sie kommen auf höchstens 0,7.

Fr. Niederwimmer:Wenn ich doch immer so müde bin und mein Mann arbeitet Schicht.

Fr. Friedel:Wiederum, alles faule Ausreden, wo ein Wille, da ein Weg. Dafür sind Ihre Konsumausgaben konsequent hoch, das ist erfreulich, nur dass Sie sich ein wenig um gesündere Ernährung bekümmern sollten. Vergessen Sie nie, Sie sind das Vorbild für die Kinder. Die Schule kann auch nicht alles leisten.

Fr. Niederwimmer:Wenn Sie es so sehen.

Fr. Friedel:Nicht ich sehe es so, es ist so. Ich habe Ihnen hier einen genauen Lebensplan aufgestellt. Ich hoffe, Sie halten sich daran, und unser nächstes Gespräch fällt erfreulicher aus für alle Beteiligten, denn vergessen Sie niemals Ihre gesellschaftliche Verantwortung. Auf Wiedersehen.

Fr. Niederwimmer:Auf Wiedersehen.

Wie jeder aus diesem Gespräch ersehen kann, es geht um das Wohl der Bürgerinnen, das hier lückenlos verfolgt wird. Es ist alles zum Besten jedes Einzelnen.

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