Aaah! Welch ein furioses Spektakel! Zu sehen, wie sie zunehmend panisch hin und her rennen! Wie die alten Instinkte und der Aberglauben wieder hervor brechen! Wie der Hass in immer größeren Blasen an die Oberfläche steigt. Wie dieses hochmütige Menschgesindel sich wie ein Frosch auf der wärmer werdenden Herdplatte windet, jetzt, da der Firnis der Zivilisation bröckelt.

Herrlich, zu erleben, wie sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen! Angepeitscht von ihren Priestern und Ideologen. Wie die Gesellschaften sich erst spalten und dann – einer Glasscheibe gleich – immer weiter zersplittern. Wie sich die wenigen Vernünftigen und Hellsichtigen mühen, mit ihren Analysen in Worten und Kategorien, die immer mehr an Gültigkeit verlieren, nach den Ursachen zu forschen. Die, die so fest überzeugt waren, das Zeitalter des Geistes und der Vernunft wäre angebrochen und alles ließe sich irgendwie erklären und managen, versinken nun im Klugscheissertum.

Ha! Was für einen schrecklichen Wandel die Menschen doch nun erleben. Gestern noch Hochmut und Vernünftelei, heute Hysterie und infantiles Gezerre! Der Zerfall ist unaufhaltsam. Die Gegensätze der Vergangenheit schwinden. Fassungslos starrt man auf die Kumpanei von Linken, Christen und Muslims. „Wie das?“ hört man manche entsetzt rufen. Gleichzeitig lösen sich die Bindekräfte von gestern immer weiter auf. Nation, Familie, Mann und Frau, Kinder und Eltern – alles befindet sich im freien Fall.

Oh! Entschuldigung! Ich vergaß vor lauter Begeisterung mich vorzustellen. Ich bin es, der Weltgeist. Der, der seit Anbeginn der Zeit die Geschicke der Menschheit lenkt. Bitte keine Missverständnisse! Ich bin nicht „Gott“. Einzelschicksale interessieren mich nicht. Auch sind meine Eingriffsmöglichkeiten beschränkt und doch gewaltig. Ein paar Klicks an meinem Stellrad und ich kann den Geist in den Köpfen der Menschen herunterregeln. Nur ein klein wenig, so dass es erst mal niemand bemerkt und doch wird in ein oder zwei Generationen ein Zeitalter der Dunkelheit aufziehen. Damals, zur Zeit der alten Griechen, hatte ich das Gegenteil getan und eine Blüte des Geistes und der Kultur hervorgebracht.

So wenig, wie ich „Gott“ bin, so wenig habe ich mit Moral und Erziehung am Hut. Seht mich eher als eine Art Maschinenwart. Meine Aufgabe ist es, darüber zu wachen, dass die Maschine rund läuft, nicht überhitzt, auf das richtige Maß und die rechten Kräfte am rechten Ort zu achten. Das ist schon alles. Aber sicherlich ist das Bild des Maschinenwarts nicht ganz treffend. Denn im Grund ist der Mensch frei, frei, mit dem, was ich ihm bewillige, das Beste zu erreichen. Ich sagte es ja schon: meine Eingriffsmöglichkeiten sind beschränkt und doch gewaltig.

Aber genug von mir. Es interessiert nur wenige. Menschen sehen sich in lächerlicher Selbstüberschätzung gerne als Herrscher dieser Welt, als einzigen Akteur von Weltrang. Sie wollen sich damit eigentlich nur über ihre Sterblichkeit hinwegtrösten. Hat man nicht vor kurzem gar ein neues Zeitalter ausgerufen, das Anthropozän? Man brüstet sich damit, dass der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse geworden ist. Wenn die Menschen wüssten!

Schaut Euch doch um, wie mächtig die Menschheit wirklich ist. Wie ein paar Klicks an meinem Stellrad alles ins Wanken bringen. Gestern noch gab es Hoffnung, blühende Gesellschaften, in denen die Menschen sicher waren, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird. Demokratien, in denen man sich bemühte, mit Diskurs und Argumenten den besten Weg zu finden. Wo man sich anschickte, das Erreichte zu bewahren und nur maßvoll mit Bedacht Veränderungen riskierte. Wo man sich mit Schrecken an die Zeiten erinnerte, als man auf Ideologen und Verführer hörte, zu viel riskierte und ins Chaos abrutschte.

Heute sind sie wieder da, die Ideologen, die Verführer und die Priester. Und wie immer in der Geschichte der Menschheit werden sie wenig Gutes bringen. Aber wie stets wird ihnen die Masse folgen, denn sie versprechen Seelenheil und eine andere, bessere Zukunft. Und es ist nicht mehr genug Geist, genug Einsicht, Mäßigung und Selbsterkenntnis in eben dieser Masse, um den Verführern zu widerstehen. Versteht man mein Wirken? Eure Unmündigkeit ist nicht ganz selbstverschuldet, auch wenn ihr mit Konsum, Hyperindividualismus, Medienrausch und Bequemlichkeit viel zu Eurer Wohlstandverblödung beigetragen habt. Selbst denken ist mühsam und zeitaufwändig, vor allem, wenn man sich in der Zeit dem vergnüglichen Konsum hingeben könnte.

Immerhin: Einige wachen langsam auf und finden sich in einer schrecklichen und furchteinflößenden Welt wieder, die sie vor zwei oder drei Jahrzehnten nicht zu träumen gewagt hätten. Sie sehen eine verwahrloste Gesellschaft, die den Bodensatz, die Verkommenen und Verantwortungslosen, nach oben in die höchsten Ämter spült. Sie erleben, wie das Erbe der Väter, die Straßen, Brücken, Schulen oder das einst von vielen bewunderte Bildungssystem, zu Staub zerfällt. Ihnen rauschen die Ohren von dem Stakkato der hohlen Phrasen, mit dem die Plünderer und Bevormunder ihr widerliches Treiben zu überdecken suchen.

Das Geplapper auf den Straßen und in den Medien täuscht über die immer weiter um sich greifende Sprachlosigkeit hinweg. Täglich fegen neue Shitstorms durch den medialen Kosmos, nichts ist zu gering, um sich über andere zu erheben und ihnen mit Vernichtung zu drohen. Der Hass auf den Straßen nimmt zu und beginnt, sich in die Minen der Menschen einzubrennen. Es wird gemordet, vergewaltigt und mit Messern aufeinander eingestochen. NoGo-Zonen nehmen zu, Clans reklamieren bald ganze Stadtviertel für sich.

Misstrauen gegenüber dem Nächsten ist angeraten. Political Correctness wird zum Totschläger gegenüber den Mitmenschen. Es wird verachtet, ausgegliedert, niedergebrüllt. Keine Spur mehr vom Glauben an Vernunft und Argumente. Vernunft ist eine Blase von vielen geworden.

Der Firnis der Zivilisation! Ihr habt nie verstanden, was das eigentlich ist, oder? Dass ihr ihn selber schaffen und instand halten müsst. Jeder von Euch! Mit dem Grundstoff, den ich euch gebe. Jetzt, da er aufplatzt, sehr ihr, was darunter ist, blickt ihr in einem Spiegel auf die hässliche Fratze des Menschen, die viele nur aus Büchern zu kennen glauben.

Da ist Aberglauben, religiöse Verblendung, ideologische Verbissenheit und das unverhüllte Streben nach Macht. Da sind das Misstrauen, die Ungewissheit und der Hass auf alles und sich selbst. Dort finden sich die Verlassenheit, die der Sprachlosigkeit folgt, und der Zweifel an allem und jedem. Da lauern die Hoffnungslosigkeit, die jederzeit in Gewalt umschlagen kann, und die Missachtung des Lebens von Mensch und Tier. Dort ist Gier und Maßlosigkeit und eine dunkle Leere.

Es ist faszinierend zu sehen, wie ganz wenigen dämmert, in welch vergleichsweise paradiesischen Zeiten sie in der Vergangenheit gelebt hatten. Wie sie beginnen zu verstehen, dass diese ganz Aufbruchshysterie, der Optimierungswahn und das sich Fortlockenlassen von seinen Wurzeln in das Chaos führen. Dass nicht das Mehr und das Andere, sondern das Zufriedensein und Schätzen des Erreichten die höchsten Güter sind. Dass der Geist nicht alleine im Dienste des so genannten Fortschritts stehen darf, sondern stärker noch im Dienste des Bewahrens, der Absicherung, stehen muss. Und schließlich, dass die konservativen Kräfte nicht die einzigen, aber die stärksten sein müssen.

Nun ist es zu spät. Ihr habt Schindluder mit dem Geist getrieben, seid auf billigen Tingeltangel hereingefallen und habt Schwätzern geglaubt. Jetzt erkennt erst mal, wie es ist, wenn die Nacht herein bricht und das verblassende Licht der Vernunft kaum noch Orientierung bietet. Wenn der Schrecken hinter jeder Ecke lauern kann.

Aber bis dahin werdet ihr noch hilflos viele Artikel und Analysen schreiben, ein paar Euro mit Besserwisserei und vermeintlich klugen Ratschlägen verdienen, in euren Posts und Blogs den Wissenden raushängen lassen und nicht merken, dass ihr nur verblassende Relikte aus einer Zeit produziert, die nun zu Ende ist.

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