Deutschland – voller Zweifel in den Untergang.

Ich betrachtete eingehend die schaurige Bildfolge einer muslimischen Hinrichtung. Ich dachte an das Opfer. Was hat der Mann wohl in den Momenten seiner Hinrichtung, bevor das große Schwert seinen Hals durchtrennte, gedacht? Hat er Schmerzen gefühlt? War er innerlich aufgewühlt oder ganz entspannt, weil er sich auf dem Weg zu Allah wusste?

Aber wer weiß, vielleicht mischen sie den Delinquenten ja Valium ins Essen. Und diese Segnung des verfluchten Westens sorgt dafür, dass der muslimische Henker ungestört seinem barbarischen Handwerk nachgehen kann.

Dann löste ich meinen Blick von dem Opfer und ließ ihn über das Publikum dieses Schauerspektakels gleiten. Die Herumstehenden, Männer, Frauen und Kinder, machten einen interessierten aber gefassten Eindruck. Kein Jubel, wie man es bisweilen sieht. Irgendetwas ließ mich immer wieder die Bilder betrachten. Ich spürte, dass die Fotos mir etwas offenbaren wollten.

Gewissheit gegen Zweifel

Plötzlich ging mir ein Licht auf, und ich wusste mit untrüglicher Sicherheit, dass ich die versteckte Botschaft gefunden hatte. Was diese Bilder unterhalb des Offenkundigen transportierten, war für mich ungemein faszinierend: Es war die völlige Abwesenheit von Zweifel.

Ich war und bin überzeugt, dass keine der Personen, die auf den Fotos zu sehen sind, auch nur die geringsten Zweifel an der Richtigkeit dieses Ereignisses hat. Gelassen wohnt man einem Vorgang bei, der so, wie er ist, sein muss. Absolute Gewissheit, wie wir im Westen uns das kaum vorstellen können, liegt über der Szenerie. Und vielleicht, - da bin ich mir nicht sicher – galt dies sogar für den Delinquenten.

Mir wurde klar, dass die Überzeugung dieser Menschen, weit über das hinausging, was wir in Europa darunter verstehen. Wenn es das bei all dem offenkundigen Relativismus überhaupt gibt, dann ist es im Westen immer eine Überzeugung von der Richtigkeit „in Anbetracht“, unter Berücksichtigung dieser oder jener Fakten oder Notwendigkeiten.

Aber das hier, in einem mir unbekannten arabischen Land, war etwas anderes. Es war absolute Gewissheit. Diese Hinrichtung wäre unter allen Umständen richtig gewesen, in dieser und allen möglichen Welten. Sie ist nicht nur moralisch, sondern auch metaphysisch gerechtfertigt. Der Tod des Delinquenten zu dieser Zeit an diesem Ort ist unbeugsamer menschlicher und göttlicher Wille. Die Exekution steht im Einklang mit irdischen und überirdischen Gesetzen. Es gab nicht den Anflug eines Zweifels.

Der Zweifel ist ein Meister aus dem Westen

Der Zweifel, so schien mir, ist ein Meister aus dem Westen und scheinbar der untrennbare Begleiter dessen, was wir Moderne nennen. Der Europäer ist der zweifelnde Mensch par excellence und das exakte Gegenteil des Menschen in der arabischen Welt. Wir zweifeln an allem, ununterbrochen. Selbst an selbstverständlichen Gewissheiten, mit denen die Menschheit seit Jahrtausenden gut gefahren ist: dass es mit Männern und Frauen zwei Geschlechter gibt, dass die Familie das Fundament der Gesellschaft bildet, dass Ländern Grenzen brauchen, die geschützt werden müssen, oder dass es überhaupt so etwas wie ein Volk gibt. Wir zweifeln nicht nur an den Erkenntnissen der Wissenschaft, sondern an der Wissenschaft selber. Wir zweifeln am Heute und an der Zukunft, wir zweifeln im Großen wie im Kleinen, als Gesellschaft im öffentlichen Raum und als Einzelner im Privatleben. Ist mein Essen gesund genug? Ist mein Partner wirklich der Richtige? War das, was ich gerade gekauft habe, tatsächlich ein Schnäppchen? Bin ich tolerant und ist mein Handeln politisch korrekt? War es richtig, zu schweigen oder zu reden? Esse ist zu viel Zucker oder Fleisch? Bin ich nicht mitschuldig am Klimawandel? Sollte ich mehr Verständnis für Fremde aufbringen?

Wir Westler haben den Zweifel zum Markenkern unserer (Un-)Kultur gemacht. Mehr noch als das: Der Zweifel ist eine tragende Säule unseres Wirtschaftssystems. Der Zweifel, ob man auf dem Weg der Selbst-Optimierung weit genug vorangeschritten ist, ob man den seligen Zustand des „optimized-to-the-max“ bereits erreicht hat, lässt die Menschen Waren und Dienstleistungen nachfragen und sorgt für Wachstum.

Ich betrachtete wieder die Fotofolge der Hinrichtung und fast wurde ich ein wenig neidisch auf die Gewissheit, die ich zu erkennen glaubte. Allerdings nur fast, denn ich glaube nicht an Gott. Und außerdem schienen mir die gezeigten Menschen eher – wie sagt man so schön? – bildungsfernen Schichten zu entstammen, soweit ich das beurteilen kann.

Aber dann dachte ich an die aktuelle Situation in Deutschland und Europa, an die Millionen eher gering gebildeter, männlicher Muslime, die ins Land strömen und an die Furcht vor Islamisierung und kulturellem Untergang. Und ich begriff, dass diese Furcht mehr als berechtigt ist. Dass sich hier zwei Lager gegenüber stehen, die eher älteren, gebildeten, zweifelnd Nörgelnden auf der einen Seite und die eher jungen ungebildeten, in subjektiver Gewissheit Handelnden auf der anderen.

Die Historie belohnt die Handelnden

Mehr denn je erschienen mir die nicht enden wollende Diskussion über den Islam, ob irgendwas damit zu tun hat, oder nicht, und die Flut von Artikeln und Büchern über diese mittelalterliche Religion vollkommen überflüssig.Ketzerisch dachte ich, dass das, was wir zurzeit erleben, eigentlich nur am Rande mit dem Islam zu tun hat. Es ist im Grunde ganz einfach: Geschichte wird immer von denen geschrieben, die gestützt auf Gewissheiten für ihre Interessen handeln (siehe Erdogan) und nie von denen, die daran zweifeln, dass ihre Interessen überhaupt legitim sind.

Ich sehe schwarz für Europa. Es wird ein ungleicher Kampf: die Arroganz der Zweifelnden gegen die Entschlossenheit der Handelnden. Dass Wehrhaftigkeit und gerechter Zorn, wie sie Sloterdijk in „Zorn und Zeit“ preist, eines Tages vom Himmel fallen und uns retten werden, glaube ich nicht. Wir haben ja nicht einmal die angemessenen Kategorien und Begriffe, um zu verstehen, was tatsächlich geschieht. Wir zweifeln an der historischen, gewissermaßen menschheitsgeschichtlichen Dimension dessen, was wir erleben.

Deutschland gleicht jenem Delinquenten auf den Fotos. Während das Schwert schon über uns schwebt, ergeht sich Deutschland in Selbstzweifeln und bemüht sich um Verständnis für den Henker.

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