Die aktuellen Debatten über gesellschaftliche Werte, kulturelle Gepflogenheiten bis hin zu Bekleidungsgewohnheiten werden immer eindringlicher, oftmals fanatisch, in vielen Fällen richtig hysterisch geführt. Ob es um lange Bärte bei Männern oder die Verschleierung von Frauen geht, fast immer wird befürchtet, das europäische Abendland wird deswegen untergehen. Scheinbar mutig, jedenfalls aber fest entschlossen, wird mit allen Mitteln versucht, den befürchteten Verlust der Identität, die meist national definiert ist, zu verhindern. Was Irgendetwas ist, muss Irgendetwas bleiben. Basta!

Kleiner Exkurs: Das gilt natürlich auch für das Österreichische, manchmal hat es den Anschein ganz besonders sogar. Dabei ist das Österreichische eine wunderbare und liebenswerte Melange unterschiedlichster Einflüsse, auch wenn so manche Deutschtümler das partout nicht wahrhaben wollen: „I bin a Deitscha und i bleib a Deitscha!“, auch wenn ich Prohaska, Pospisil, Golobcik oder Kolaritsch heiße. Warum das so ist, ist nicht schwer zu erklären, aber hier kämen Freud und Ringel ins Spiel und das würde in diesem Rahmen für manche doch zu weit führen.

Wenn man also solche Themen diskutiert, ist es hilfreich sich einmal die Frage zu stellen: Woher kommen wir? und: War immer schon alles so, wie es ist? und das konsequent bis zum Ursprung zurückzuverfolgen. Dank der Wissenschaft wissen wir: Die Wiege der Menschheit stand nicht in Europa, sondern - ja es tut manchem jetzt wahrscheinlich weh – in Afrika. Wir alle, die wir das Glück haben hier geboren zu sein und hier leben zu dürfen, haben, wie man heutzutage so schön sagt, Migrationshintergrund und sind konsequent gedacht afrikanischer Herkunft.

Unsere Urvorfahren sind also vor hunderttausenden Jahren aufgebrochen – warum ist irrelevant, weil es damals nirgendwo Eingeborene gab, die danach fragten, und es daher egal war, ob aus wirtschaftlichen Gründen, wegen eines Streits mit dem Nachbardorf, oder weil sie die Welt überzeugen wollten, dass der von ihnen verehrte Affenbrotbaumgott der einzig wahre ist – sie sind aufgebrochen und haben sich hier in Europa angesiedelt und waren eben da. Wir wissen aber auch, dass keine unserer Gewohnheiten und Traditionen bis in diese Zeit zurückreicht, also tun wir nicht so, als müssten wir Dinge verteidigen, die es schon immer gegeben hätte, die Teil der menschlichen Evolution wären. Hätten sich im Laufe der Jahrtausende immer die Traditionalisten durchgesetzt, dann wäre beispielsweise die Ganzkörperrasur ein absolutes No Go, wir würden möglicherweise noch Latein sprechen – zumindest die Bildungsaffinen – oder aber als Jäger und Sammler durch die Wälder streifen.

Viele werden jetzt in die Diskussion einwerfen, bei den aktuellen Konflikten handelt es sich um einen Kampf der Religionen. Meist wird dies mit Parolen wie „Daham statt Islam“, oder „Bummerin statt Muezzin“ oder sonst irgendeinem Schwachsinn bekräftigt. Vielleicht ist es so, aber auch das Christentum, das diese modernen Kreuzritter so heldenhaft verteidigen, ist leider keine europäische Erfindung und wurde von außen hereingetragen. Hätten sich die Traditionalisten durchgesetzt, hätte jeder Clan seinen Druiden oder Schamanen, jedenfalls keine Pfarrer und Pastoren. Das Christentum wurde den Menschen oftmals zwangsverordnet und nur so nebenbei bemerkt: Sogar die heutige Kirche hat mit ihren Anfängen nichts mehr zu tun, obwohl Tradition dort sehr groß geschrieben wird. Dennoch glauben viele, es sei seit Anbeginn der Menschheit so gewesen. Brian!

Leben ist Veränderung. Alles fließt und ändert sich, das mussten schon die alten Griechen, die Römer und alle anderen zur Kenntnis nehmen, die sich dem Lauf der Geschichte der Menschheit entgegenstellen wollten. Moral, kulturelle Gepflogenheiten und gesellschaftliche Dogmen sind Kinder ihrer jeweiligen Zeit. Vieles, was heute scheinbar seit Ewigkeiten so ist, war gestern völlig unbekannt und wird morgen wieder vergessen sein. Vom Gamsbart und Lederhose angefangen, bis zur Ganzkörperverschleierung von Frauen. Es ist noch nicht so lange her, da war das Deutsche, das Französische, das Was-auch-immer den damaligen Menschen völlig unbekannt. Es gab das Fränkische, das Bayrische, das Sächsische, das Burgundische, das Normannische, das Was-weiß-ich-noch-alles.

Was wir Europäer wirklich der Welt geschenkt haben und das wirklich wert ist verteidigt zu werden, sind die Errungenschaften der Aufklärung. Freiheit, Gleichheit und Solidarität, dafür lohnt es sich wirklich einzustehen, aber auch sie sind letztendlich das Ergebnis tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen, gegen die sich so mancher Bewahrer damals geltender Werte und Gepflogenheiten gestellt hat.

Werden irgendwann in der Zukunft Nachfolgegenerationen auf unsere Zeit zurückblicken, werden sie vieles nicht verstehen können, weil sich vielleicht der Papst mit den Patriarchen und Großrabbinern versöhnt haben wird und gemeinsam mit Mullahs und dem 495. Dalai-Lama ihre Kirchen fusioniert haben werden und eine Weltreligion ins Leben gerufen haben. Die Globalisierung hat dies im weltlichen Bereich sowieso schon erzwungen, und ist eine Rückkehr in nationalstaatliche, von der Außenwelt abgeschottete, Verhältnisse nicht mehr möglich. Zukünftige Generationen werden sich ganz selbstverständlich als Europäer oder Weltenbürger definieren und die Gesellschaften werden sicher vollkommen anders aussehen als die heutigen. Daran werden weder Bekleidungsvorschriften, noch Zäune oder Mauern und schon gar nicht hysterische Panikmache etwas ändern können. Das ist einfach der Lauf der Zeit. Es wäre daher viel sinnvoller all die Energien nicht in das Verhindern und Bewahren und schon gar nicht in Hass zu investieren, sondern in die Gestaltung des unweigerlich kommenden Neuen. Die Bewahrer und Beharrer, die Anpassungsunfähigen sind, wie die geschichtliche Rückschau beweist, früher oder später noch immer untergegangen.

Fotolia/ © Rafael Ben-Ari

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