Gewaltunterwerfung keine Antwort auf Unabhängigkeitserklärung

Laut Medienberichten spitzt sich die Lage im Nordirak nach der Unabhängigkeitserklärung des mehrheitlich kurdischen Nordens unter Führung von Barsani und seiner Partei zu, denn nach kurzer Zeit reagierte die rest-irakische Armee mit einer Militärintervention auf einen lediglich formal-rhetorischen Akt, nämlich der Unabhängigkeitserklärung.

Die Stadt Kirkuk soll von der rest-irakischen Armee erobert worden sein.

Für Österreich und Deutschland, die gerade in schwierigen Koalitionsbildungsverhandlungen stecken und für Aussenpolitik gar keine Zeit haben, stellt sich die Frage, wie darauf zu reagieren ist. Und es stellt sich die Frage, ob die rest-irakische Armee dieses mittel-europäische Interregnum, in dem keine klassisch-amtierende Regierung existiert, zu ihrer Militäroffensive nutzte, bzw. als Anlass nahm.

Auch wenn in Österreich und Deutschland kaum jemand zu reagieren scheint, so erscheint mir folgendes klar zu sein:

1.) eine militärische Unterwerfung ist keine adäquate Reaktion auf eine Unabhängigkeitserklärung.

2.) die Reaktion der rest-irakischen Armee erfolgt vorschnell und ohne, dass Verhandlungen genügend Zeit gegeben wurden.

https://www.nzz.ch/international/eskalation-zwischen-irakischer-armee-und-kurden-ld.1322217

Damit stellen sich folgende Fragen:

a) Soll Österreich (und auch Deutschland) wegen der Nicht-Angemessenheit der Reaktion der rest-irakischen Armee den Irak aberkennen und stattdessen den Nordirak bzw. den MKNI (mehrheitlich-kurdischen Nordirak) anerkennen ?

b) Soll Österreich beispielsweise an militärischen Aktionen teilnehmen, um die rest-irakische Armee am Vormarsch zu hindern und die rest-irakische Regierung an den Verhandlungstisch zurückzuzwingen ?

bb) Damit stellt sich auch die Frage, ob Österreich die Neutralität aufgeben soll, was durch die jetzt vermutlich bestehende ÖVP-FPÖ-NEOS-Verfassungsmehrheit vielleicht möglich ist ?

bbb) Wären für Aktionen des österreichischen Bundesheeres in diesem Falle ein UNO-Sicherheitsratsmandat notwendig ?

bbbb) Sollten, um eine UNO-Sicherheitsratsresolution zu erreichen, Österreich nicht schleunigst die Beziehungen zu Russland normalisieren und die Wirtschaftssanktionen aufzuheben, die das vermutliche Ziel, Putin zu stürzen, dreieinhalb Jahre lang nicht erreichten ?

c) Soll Österreich auf beschleunigte Verhandlungen in Bezug auf Fragen der EU-Armee drängen ?

cc) Soll Österreich in diesem Rahmen auch Großbritannien dazu drängen, seine passive und auf die Brexit-Verhandlungen reduzierte Rolle innerhalb der EU zu verlassen ?

P.S.: MKNI (als Abkürzung für "mehrheitlich-kurdischer Nordirak" ) ist eine Worterfindung, die mir gerade einfiel und die ich für gut geeignet halte, zahlreiche mögliche potenziell in Zukunft auftretende Probleme einzugrenzen.

Sie ähnelt in gewisser Weise FYROM (Former Yugoslav Republic of Macedonia).

Die englische Version von MKNI wäre vielleicht KDNI als Abkürzung für "Kurdish-dominated Northern Iraq".

https://de.wikipedia.org/wiki/Autonome_Region_Kurdistan

https://de.wikipedia.org/wiki/Masud_Barzani

P.S.2: beim Irak ist zweifelhaft, ob er überhaupt jemals ein Staat war, weil die völkerrechtlich notwendigen Anerkennungskriterien Staatsgebiet, Staatsgewalt, Staatsvolk und Kontinuität niemals gleichzeitig und in ausreichendem Maße gegeben waren.

Man kann argumentieren, dass der Irak nicht ein Staatsvolk, sondern drei hatte, nämlich - vereinfacht gesagt - Kurden im Norden, Sunniten in der Mitte und Schiiten im Süden und dass deshalb eine Anerkennung der Irak niemals hätte erfolgen dürfen.

P.S.3: Und ja, ich weiß, genau das ist Realpolitik, die in Österreich ähnlich wie Duetschland so gut wie unbekannt ist. Von der im unpolitischen Wahlkampf, in dem nur unbedeutende Themen behandelt wurden und von den Medien vorgeschrieben wurden, niemand sprach.

Dass die rest-irakische Armee mit militärischer Unterwerfung reagieren könnte, war den Experten bekannt, aber die Medien und die politischen Parteien haben dieses Thema sowohl im deutschen als auch im österreichischen Wahlkampf totgeschwiegen, wie es im populistischen, postdemokratischen, infantilisierten Zeitalter eben üblich ist.

Die Sache mit der kaum gelesenen Silberstein-Homepage war ja angeblich viel wichtiger.

Siehe dazu auch meine Blogs zu Gerd Bachers "Infantilisierung der Demokratie" und zu Colin Crouch´s "Postdemokratie".

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