Ich habe mir heute eine Ö1-"PunktEins"-Sendung zum Sachwalterschaftrecht angehört.

Und ich muss aus meiner eigenen leidvollen Erfahrung mit mißglückten Sachwalterschaften einige Punkte erwähnen:

1.) was mir im jetzigen Gesetz zu fehlen scheint, auch wenn ich es nur auf die Schnelle überflogen habe, scheint eine Informationspflicht zu sein, über deren Geltungsbereich ich mir noch nicht ganz im klaren bin: sie sollte wohl sowohl nächste Angehörige (also z.B. Söhne und Töchter, auch aus z.B. erster Ehe) umfassen, wie auch potenzielle Gläubiger. Eine Info-Pflicht im Zusammenhang mit Gläubigern könnte über den alpenländischen Kreditorenverband abgewickelt werden, der aufgrund seiner halb-amtlichen Charakters auch Verschiegenheitspflichten hat, ähnlich wie der Bankenbereich das Bankgeheimnis.

Ein Punkt, der in der Sendung erwähnt wurde, ist dass Sachwalterschaften, wenn sie von Familienangehörigen ausgeübt werden, einen funktionierenden Familienverband zur Voraussetzung haben. Und gerade bei geschiedenen Wiederverheirateten und Kindern aus mehreren Ehen ist wahrscheinlich eher das Nicht-Funktionieren des Familienverbands der Normalfall, und nicht das Funtionieren. Aber gerade der österreichische Katholizismus mit seiner Eheunauflöslichkeit und seinem Scheidungsverbot verweigert die Sicht auf die Realität und geht von lebenslänglichen Ehen und Kindern aus einer einzigen Ehe und Nichtscheidung aus, was schön ist, falls es glücklich stattfindet, aber eben weit davon entfernt ist, der Normalfall zu sein.

Interssanterweise kamen in dieser Sendung die interessanten Aspekte von dan Anrufern, die kuriose Fälle einbrachten, beispielsweise, wenn sowohl Töchter als auch auch Söhne Vertretungbefugnis haben und widersprüchliche Entscheidungen treffen.

Auch dass es in vielen Fällen gar nicht um Sachwalterschaft geht, sondern um zukünftige Erbschaften, wurde von den Anrufern eingebracht, nicht von den Teilnehmern im Studio.

Was aber weder die Studioteilnehmer noch die Anrufer thematisierten, war, dass Sachwalterschaft in vielen Fällen ein Vertuschungsinstrument für betrügerische Krida sein kann, oder zu sein scheint. Gerade die Fälle von möglicher betrügerischer Krida im möglichen Zusammenhang oder Naheverhältnis zu Entmündigungsverfahren macht es eigentlich unmöglich, die Behauptung des Studioteilnehmers, die Sachwalterschaft sei kein Geschäftsmodell, zu widerlegen. Der Graubereich ist einfach zu groß. Alles, was man objektiv sagen kann, ist, dass Sachwalterschaft kein legales, transparentes Geschäftsmodell ist. Aber, wenn man vom Geschäftsgeheimnis ausgeht, das ist das überspitzt gesagt kaum ein Geschäftsmodell.

Wenn die Sachwalterschaften nicht kostendeckend sind, wie von einer Studioteilnehmerin behauptet, dann könte das auch Mißbrauchsformen zur Kostendeckung wahrscheinlicher machen.

2.) Die ganze Debatte hat sehr stark einen Wiener Blick, der die Realitäten am Land verkennt. Wien hat eine hohe Dichte an Juristen, Richtern und überhaupt Menschen, die eine Art der gegenseitigen Kontrolle ausüben, die Machtmißbrauch (und damit auch Machtmißbrauch durch Sachwalter) verhindern.

Aber am Land sind, bzw. waren die Dominanz vom einzigen oder fast einzigen Dorf- oder Kleinstadtrichter oder Kleinstadtnotar oder Kleinstadtanwalt so stark, dass dadurch Machtmißbrauch nahegelegt wurde, frei nach dem Grundsatz "Gelegenheit macht Diebe".

Die Idee einer Justizreform, durch Abschaffung der kleinen Einpersonen- oder Eineinhalbpersonen-Bezirksgerichte und der Zusammenfassung zu Justizzentren, die für mehrere Bezirke zuständig sind, ähnlich wie von der damaligen Justizministerin Karl bzw. ihrem Ministerium angedacht, hatte einen ähnlichen Hintergrund.

Was an Land auch nicht funktioniert, bzw. nicht funktionierte, sind die Sachwalterschaftsvereine: die geografischen Distanzen am Land sind oft viel zu groß, als dass sich Sachwalterschaftsvereine wirklich um die von ihnen angeblich Besachwalterten kümmern können bzw. konnten.

3.) Ich stimme der These zu, dass diese dichotome Unterscheidung (Entmündigung oder nicht und nicht dazwischen) falsch war und ist. Eine sektorale Entmündigung und Sachwalterschaft nur für gewisse Geschäftsbereiche ist in gewissen Fällen besser und adäquater. Das deutsche Sachwalterschaftrecht führte früher eine Art der halben Sachwalterschaft, eine Art der Begleitung ein, als das österreichische. Während man den "autonomen Nachvollzug" (Österreich kopierte viele Deutsche Gesetze einfach) oft kritisierte (manchmal mit guten Argumenten), erfolgte der Nachvollzug hier zu spät. (Ein Argument gegen den "autonomen Nachvollzug" ist die Gesetzgeberverdummung: wenn das österreichische Parlament nichts anderes macht, als deutsche Gesetze zu kopieren, dann verlernen die Parlamentarier das politische Geschäft)

Ich sehe auch die Befristung im Prinzip als eher positiv, aber manche Gesundheitsprobleme sind irreversibel, sodass diese Befristung mehr Rhetorik als wirkliche Substanz ist.

4.) Es stellt sich auch die Frage der Administrierbarkeit: wenn man (also das Gericht) einen einzigen Ansprechpartner hat, also den Sachwalter, dann ist das zwar einfach (einfacher, als wenn man jedes mal die unterschiedlichen Positionen verschiedener Familienanghöriger abgleichen muss), aber auch mißbrauchsanfälliger. Das ist so ähnlich wie im Gutachterbereich: wenn es im Prozess nur einen einzigen Gutachter gibt, der von allen Seiten (egal, ob zu Recht oder Unrecht) anerkannt ist, dann verkürzt das das Verfahren und verringert damit die Verfahrenskosten, aber es erhöht auch die Wahrscheinlichkeit von Fehlurteilen und "Justizirrtümern", die aber oft systemisch begründet sind durch "Gesetzgeberirrtümer".

Alles in Allem: Entmündigung, Sachwalterschaft oder auch Begleitung in Zusammenhang mit gesundheitlich beeinträchtigten ist ein relevantes Thema gerade in Hinblick auf Alterungsprozesse in europäischen Bevölkerungen, aber das Thema ist sehr heikel und eine Art Schlangengrube, wo meines Wissens noch Keinem und Keiner die ideale Lösung eingefallen ist, was vielleicht auch unmöglich ist.

Auch die Sache mit der Freiwilligkeit ist oft nicht so eindeutig: gerade in Familien kann es auch einen Gruppendruck geben, der einen gesundheitlich-angeschlagenen gegen seinen oder ihren eigenen Willen zwingt, der eigenen Entmündigung zuzustimmen, oft mit dem Hinweis, es ja für die eigenen Kinder zu tun, oder um die eigene Ehegattin zu den eigenen Ehegatten zu entlasten.

Die Falschberatungsproblematik, die es in anderen Bereichen gibt (beispielsweise bei Konsumentenfragen) bekommt gerade in Entmündigungsfragen besondere Brisanz; ich möchte das gar nicht wissen, Wieviele, die nur wegen des familiären Drucks einer Entmündigung zugestimmt haben, dies später bitterlich bereut haben.

Ich habe ein großes Problem mit dem Begriff der Selbstbestimmung, der in dieser Sendung verwendet wurde: gerade, was gesundheitlich angeschlagene betrifft, so ist oft gar nicht klar, ob sie autonom und selbstbestimmungsfähig sind oder nicht.

Es gibt auch Krankheitsfälle mit wechselhaften Symptomen, die zeitweise selbstbestimmungsfähig sind und zeitweise nicht, wobei es keine voraussehbare Regel gibt, die man per Gerichtsbeschluss festlegen kann.

https://oe1.orf.at/player/20180706/519634

Gemeinfrei / Foto älter als 50 Jahre https://de.wikipedia.org/wiki/Alois_Alzheimer#/media/File:Alois_Alzheimer_003.jpg

Alois Alzheimer, Psychiater und Neuropathologe. 1864-1915. Er beschrieb die nach ihm benannte Alzheimer-Erkrankung, einen der potenziellen Fallbereiche für Sachwalterschaften oder Begleitungen.

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
0 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Noch keine Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach