In politisch-korrekten, vielleicht politisch überkorrekten Deutschland ist eine Debatte ausgebrochen im Zusammenhang mit der Formulierung der "Achse der Willigen", die Kanzler Kurz verwendete.

https://kurier.at/politik/ausland/kurz-in-deutschland-wegen-achse-berlin-wien-rom-in-kritik/400050776

Diese ist wie so oft anscheinend getragen von "antifaschistischer" Überempfindlichkeit bzw. von der Sekundärausbeutung des Antifaschismus für heutige tagespolitische Zwecke und gegen Parteien, die keineswegs faschistisch sind.

Zu den Achsenmächten des Ersten Weltkrieges gehörten auch Bulgarien und die Türkei, bzw. das damalige osmanische Imperium, hingegen nicht Italien.

Zu den Achsenmächten des Zweiten Weltkriegs zählten in der Tat Deutschland und Italien, allerdings auch Japan. Damals war Österreich Teil des Deutschen Reichs.

Und die Formulierung der "Achse der Willigen" enthält auch die Passage "der Willigen", und diese Formulierung weist auf die sogenannte "Koalition der Willigen" hin, die im Jahr 2003 Saddam Hussein stürzte. Dieser Koalition der Willigen gehörte grob gesprochen die Hälfte der EU an, darunter bevölkerungsreiche Staaten wie Großbritannien, Spanien, Polen und Italien mit ca. 40 Millionen Einwohnern oder mehr.

Auch die Formulierung des Bayrischen Ministerpräsidenten Söder in Bezug auf das Parteienbündnis CDU-CSU, es müsse ein Ende des "geordneten Multilateralismus" geben, weist auf den sogenannten "Unilateralismus" des Irakkriegs hin, vielleicht auch auf den russisch-iranisch-syrischen Unilateralismus im Syrienkrieg. Allerdings ist fraglich, ob man den Begriff des "Unilateralismus" (abgeleitet von "ein Staat" ) auf eine Koalition anwenden kann, die von so vielen Staaten getragen wurde wie die "Koalition der Willigen" von 2003. Auch würde rein völkerrechtlich der Multilateralismus in Anknüpfung an die derzeitige Konstruktion des UNO-Sicherheitsrates bedeuten, dass in der Tat alle fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats (also USA, GB, Frankreich, Russland und China) einer derartigen Resolution zustimmen müssen, um eine gute rechtliche Grundlage für eine derartige Intervention zu haben (damals stimmten Frankreich, Russland und China dagegen, aber USA und Großbritannien etc. beriefen sich auf zum Teil ältere Resolutionen, die sie als Legitimation betrachteten).

Inwieweit Unilateralismus unvermeidlich sei, wenn Multilateralismus viele Jahre und Jahrzehnte keine bzw. keine befriedigenden Ergebnisse bringe, ging in der Begriff-Debatte natürlich unter, so als müsste kritik an der Wortwahl prinzipiell immer dazu dienen , sachliche Debatten zu verhindern und zu unterbinden. AUch waren die Resultate des Multilateralismus zum beispiel in den jugoslawischen Kriegen der 1990er Jahre insofern katastrophal, als in den multilateral beschlossenen, aber multilateral-mangelhaft-gesicherten Schutzzonen von Srebrenica und Zepa 1995 die größten Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden.

Auch das kann man als eine Form der Diktatur bzw. der gelenkten Demokratie betrachten, wenn sachliche Fragen nicht mehr diskutiert werden können, weil die gesamte Zeit für Debatten rund um die Frage verschwendet wird, ob die Wahl des einen oder anderen Wortes in Hinblick auf die Geschichte historisch sensibel genug sei.

Nun ist aber Kanzler Kurz an der Debatte, die sich an die Verhexung durch die längst vergangene Geschichte dreht, nicht ganz unschuldig, weil er anläßlich seines Israel-Besuch meinte, Österreich müsse wegen der historischen Verantwortung (gemeint war der Zweite Weltkrieg und der Holocaust) Israel zu Seite stehen.

Umgekehrt könnte man das so interpretieren, dass Staaten, die nicht in den Nationalsozialismus bzw. in der Holocaust verwickelt waren, die etwaige Vernichtung Israels wurscht sein könne.

SOLANGE WIR HAUFENWEISE ZEIT DAFÜR VERSCHWENDEN, OB BEGRIFFE SENSIBEL GENUG GEWÄHLT SIND, WERDEN WIR NIE DIE NÖTIGE ZEIT HABEN, THEMEN ZU DISKUTIEREN.

Ganz abgesehen davon: wenn man das Kriterium der historischen Sensibiltät auch auf andere Staaten anwendet, dann hätte das komplette globale Inaktivität zur Folge.

Die USA bzw. die US-Army müssten dann vielleicht ihre Apache-Hubschrauber umbenennen oder verschrotten, weil in Hinblick auf die Tötung von Indianern bzw. Apachen im 19. Jahrhundert die Wortwahl extrem unsensibel sei.

Frankreich müsste seine Fremdenlegion abschaffen, weil in Hinblick auf die französische Geschichte und auf Verbrechen, die vor vielen Jahrzehnten von der Fremdenlegion begangen wurden, der Begriff historisch belastet und untragbar sei.

Die Türkei müsste sich vom Kemalismus distanzieren, weil Mustafa Kemal Atatürk auch seine problematischen Seiten gehabt hat, und in Hinblick auf diese alles, was an Kemalismus erinnere, unsagbar und unvertretbar sei. Im Umkehrschluss müsste diese historisch sensible Abkehr vom Kemalismus dann eine Islamisierung bedeuten.

Auch der Katholizismus müsste dann ein verpönter Begriff sein, den man nicht verwenden dürfe, wegen der katholsichen Hexenverfolgung oder wegen der Kreuzzüge vor vielen Jahrhunderten.

Auch die französische Revolution und alles, was mit ihnen zusammenhängt (zum beoispiel der Menschenrechte), müsste dann unerwähnbar sein, weil in Hinblick auf den Terreur und die Guillotine jede Verwendung von Begriffen wie der "französischen Revolution" historisch absolut unsensibel sei.

So gesehen kann man Kurz´ Wortwahl von der "Achse der Willigen" als längst schon überfälligen Tabubruch ("Tabu" ist ein polynesischer Begriff für Aberglauben) sehen, der mit der Unsinnigkeit exzessiver politisch-korrekter Begriffsdebatten kritisch umgeht.

CC BY SA 4.0 / zug.gem. kremlin.ru https://de.wikipedia.org/wiki/Sebastian_Kurz#/media/File:Sebastian_Kurz_(2018-02-28)_(cropped).jpg

Österreichischer Kanzler Kurz: unsensibler Wortwähler oder Brecher eines längst schon widersinnigen Tabus ?

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Tourix

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