Präsidentenwahlchaos ist Parlaments- und Medienversagen, nicht primär Behördenversagen

Verschiedentlich wurde in den Debatten rund um die Präsidentschaftswahl, ihre Wiederholungen und Verschiebungen und das übliche Chaos die Meinung vertreten, das Präsidentenwahlchaos sei ein Behördenversagen. Zweifellos hat die Abteilung Wahlen im Innenministerium, insbesondere deren Leiter Mag. Stein, Schwächen gezeigt.

Aber dennoch hat die Kritik an der Abteilung Wahlen im Innenministerium (Stein wurde im übrigen sowohl von roten als auch von schwarzen Innenministern bzw. -innen als kompetent betrachtet, und blieb als angeblich Österreichs einziger Experte mit einigen ganz wenigen Ausnahmen allgemein unhinterfragt) auch eine Art Ausredeeffekt und Ablenkungseffekt.

In Wirklichkeit hätte jeder Parlamentarier und jede Parlamentarierin in den letzten 30 Jahren feststellen können, dass das österreichische Bundespräsidentenwahlgesetz maßgeschneidert ist für das Zweiparteiensysten, bzw. Zweieinhalbparteiensystem, das Österreich bis zirka 1985 hatte.

Andere Parteien (wie die Piratenpartei) und Länder verwendeten bei einer großen Kandidaten- bzw. Parteienvielfalt das seit Ende des 18. Jahrhunderts bekannte Reihungswahlrecht, z.B. Marke Schulze oder Borda.

Aber die Parlamentarier aller Österreichischen Parlamentsparteien haben diesbezüglich versagt.

Auch die Problematik des §263 Strafgesetzbuch "Täuschung bei einer Wahl" durch Medien und Umfrageinstitute, die durch falsche Umfragen bzw. deren Publikation taktische Wähler zum Irrtum verleiten, hätte von jedem bzw. jeder erkannt werden können, der lesen kann und irgendwie (entweder physisch oder online) Zugang zum Strafgesetzbuch hat.

Aber die Medien haben in einer Art typisch österreichischer Wurschtigkeit angenommen, dass die Jahrzehntelang übliche Praxis, irrtumsanfällige Meinungsumfragen mit Schwankungsbrreiten und Umfragefehler von bis zu 15% zu veröffentlichen, immer rechtlich völlig unproblematisch ist.

Allerdings trat bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016 erstmals in der Geschichte Österreichs der Fall auf, dass mehr als drei Kandidaten bzw. -innen bei korrekten Verhältnissen die Chance auf Stichwahleinzug gehabt hätten, wodurch erstmals die Problematik der Täuschung bei einer Wahl durch Medien und Umfrageinstitute im ersten Wahlgang auftrat.

So gesehen hätte eigentlich der erste Wahlgang aufgehoben werden müssen, nicht der zweite.

Dies ist allerdings nicht bzw. nicht eindeutig ein Fehler des Verfassungsgerichtshofs, denn der kann mehr oder weniger nur auf Antrag und bei Anfechtungsbegehren einer anfechtungsberechtigten Partei handeln.

Ich habe zwar im Zuge des Verfassungsgerichtshofsverfahren mangels einer anderen Möglichkeit eine Anregung zur Prüfungserweiterung und zur Aufhebung des Bundespräsidentenwahlgesetzes eingebracht, aber diese Anregung war unüblich und der Verfassungsgerichtshof hätte sich sicher einer massiven Kritik des politischen Urteils ausgesetzt, wenn er dem stattgegeben hätte. Allerdings hat derselbe Verfassungsgerichtshof in anderen Fällen sehr wohl politisch und unüblich entschieden.

Links:

http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR12029812&ResultFunctionToken=600b4092-dabd-415f-b4d3-7f13ac43c571&Position=1&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=StGB&Gesetzesnummer=&VonArtikel=&BisArtikel=&VonParagraf=263&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmachungsnummer=&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=17.11.2016&VonInkrafttretedatum=&BisInkrafttretedatum=&VonAusserkrafttretedatum=&BisAusserkrafttretedatum=&NormabschnittnummerKombination=Und&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=

Die strafgesetzliche Problematik des §263 Strafgesetzbuch durch Medien und Umfrageinstitute war durch die 2016 erstmals aufgetretene Problematik ein Thema, das die klassischen für Strafgesetzbuchverletzungen zuständigen Behörden überforderte.

Als ich versuchte, diebezüglich polizeiliche Anzeige zu erstatten, wurde mir auch nach Rücksprache mit den Polizeijuristen und -juristinnen mitgeteilt, dass die Polizei nicht wisse, ob sie für solche Fälle überhaupt zuständig sei.

Ebenso konnte mir nicht mitgeteilt werden, wo ich ein Rechtsmittel bzw. eine Anzeigemöglichkeit habe, einer derartige Verletzung des §263 StGB zu verhindern.

Das Arbeitsinspektorat scheint für eine Verletzung des §263 auf jeden Fall nicht zuständig zu sein. Und ich habe absolut keine Lust, alle Behörden Wiens abzuklappern, um zu versuchen, diejenige zu finden, die für Untersuchungen der Verletzung des §263 zuständig ist.

Es ist schon mühsam genug für mich als über 50-jährigen Mann, ohne Wahlinformationserhalt durch Versuchs- und Irrtumsmethode diejenige Schule zu suchen und zu finden, in der ich mein Wahlrecht, bzw. mein Wahlboykottrecht auszuüben.

Irgendwie ist Österreich eine Schildbürgerrepublik, ein kafkaeskes Schloss oder eine bürokratische Bürgererschöpfungsmaschine wie in "Asterix erobert Rom".

Wikipedia beschreibt als eine der Aufgaben für Asterix: Das Besorgen des „Passierscheins A 38“ aus der Präfektur, dem „Haus, das Verrückte macht“. Dabei werden sie (Asterix und Obelix) für ein Antragsformular kreuz und quer durch den Gebäudekomplex von einem Beamten zum nächsten geschickt, die sich alle dafür als nicht zuständig ausgeben. Asterix löst diese Aufgabe jedoch rechtzeitig, bevor sie wahnsinnig werden, indem er ein weiteres Formular erfindet, den „Passierschein A 39“, „wie er im neuen Rundschreiben B 65 festgelegt ist“. Nachdem ein Beamter nach dem anderen durch das Gebäude zieht, um herauszufinden, was es mit diesen unbekannten Papieren auf sich hat, entsteht ein heilloses Durcheinander, das Asterix dazu nutzen kann, den Passierschein A 38 zu ergattern.

https://de.wikipedia.org/wiki/Asterix_erobert_Rom

https://de.wikipedia.org/wiki/Schulze-Methode

https://de.wikipedia.org/wiki/Borda-Wahl

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