Papst gegen katholische Bischofskonferenz: solche Fälle hat´s schon jahrzehntelang nicht mehr gegeben: das letzte Mal, dass ein österreichischer Kardinal gegen die Linie der Katholizismus-Hauptstadt Rom Stellung nahm, war wohl die Mariatroster Erklärung (Kardinal König, August 1968), in der zahlreiche Fragen zu individuellen Gewissensfragen erklärt wurden, die unabhängig von der katholischen Dogmatik entschieden werden sollten.

Und nun also der Streit ums Vater-Unser:

Der Papst (Bergoglio / Franziskus) will eine Änderung auf "Verhindere, dass wir in Versuchung geführt werden", "Führe uns in der Versuchung" oder "Behüte uns vor der Versuchung" (weil laut ihm nur Satan in Versuchung führe, aber nicht Gott), während der aktuelle Text, der von österreichischen und deutschen Bischöfen verteidigt wird, "Führe uns nicht in Versuchung" lautet.

Allerdings hat sich Medienberichten zufolge schon in Frankreich der Papst mit einem ähnlichen Reformvorschlag durchgesetzt.

Die Formulierung "Führe uns nicht in Versuchung", hat wie schon der Theologe Söding hingewiesen hat, einen Bezug zum alt-testamentarischen Kapitel Hiob, das aber ohnehin weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein scheint.

Das Kapitel Hiob spricht eine der drei Leidensarten der Bibel an, nämlich das Prüfungsleiden. (Die anderen beiden wäre das Strafleiden und das Märtyrerleiden)

Eine weitere mögliche Form der Prüfung wäre die Aufforderung Gottes an Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern, also zu töten, die Gott im letzten Moment zurückzog. Hier in einem Gemälde von Caravaggio.

Public Domain / Urheberrecht abgelaufen? https://en.wikipedia.org/wiki/Sacrifice_of_Isaac_(Caravaggio)#/media/File:Sacrifice_of_Isaac-Caravaggio_(c._1603).jpg

Meiner Meinung nach besteht die Modernität von Caravaggio auch darin, dass er sowohl biblische Themen als auch Themen der vorchristlichen griechisch-römischen Antike auf eine interessante Form kombinierte, jetzt einmal ganz abgesehen von seiner technischen Brillianz. Die Renaissance war eine Absage an die mittelalterliche Stagnation, und ein innovatives Anknüpfen auch an der vorchristlichen Klassik. Meiner Meinung nach hat Caravaggio auch etwas von einem Unterschicht-Rebellen, und sein Brechen mit Traditionen ist mMn aus dieser Sicht heraus zu betrachten.

Dazu auch die Kunsthistorikerin Cynthia De Giorgio (Museum La Valetta, Malta) ab Minute 12:50 des folgenden Youtube-Videos:

Ich muß sagen, in dieser Debatte (rund um das Vater-Unser) stehe ich auf Seiten der Bischöfe und gegen den Papst (ja, ich weiß eh, ich habe eine Tendenz zum Ketzer und Querdenker und "Proselytenmacher" )

Die Gründe dafür sind:

.) der Glaube und die Religiösität werden dadurch (durch die Möglichkeit, dass auch Gott in Versuchung führen könnte) weniger fundamentalistisch.

.) angebliche, aber nicht wirkliche Vertreter Gottes ("Die falschen Propheten", vor denen Jesus warnt) haben dadurch weniger Chancen, Gefolgsleute zu finden.

.) die individuelle Moral wird dadurch gestärkt, die Moralvorgaben des Vatikan geschwächt.

.) ein Gott, der möglicherweise in Versuchung führt, passt auch besser zusammen mit der in der christlichen Theologie verankerten Lehre von der "Unerkennbarkeit Gottes", bzw. "der Unerkennbarkeit des Ratschlusses Gottes". Auch diese Linie in der Theologie ist eine Vorbeugung gegenüber dogmatischem Glauben.

.) vermutlich wird dadurch auch der christliche Pazifismus gestärkt und dem Gotteskriegertum vorgebeugt.

.) oder es muß eben genauer geprüft werden, was Gott wirklich wolle, und die Möglichkeit, dass er nur prüfungsmäßig in Versuchung führen wolle, bedacht werden.

.) in einer Zeit der religiösen Pluralität erscheint mir die alte Interpretation angebrachter.

Ich möchte betonen, dass die Konstellation dieselbe ist wie beim Ersten Vatikanischen Konzil, die französischen Bischöfe stimmten 1869/1870 für den Papst und das Unfehlbarkeitsdogma, die deutschen und österreichischen Bischöfe stimmten gegen den Papst und gegen das Unfehlbarkeitsdogma.

Dieses Stimmverhalten spricht meiner Meinung nach dafür, dass der deutschsprachige Katholizismus stark vom Protestantismus (Lutherismus und Calvinismus) beeinflusst war, und zwar sehr wesentlich wegen der gemeinsamen Sprache. Ich bin übrigens auch so ein religiöser "Bastard", mit einem Vater aus einer katholischen Familie und einer Mutter aus einer protestantischen Familie.

Das erste Vatikanische Konzil ist krichenhistorisch extrem interessant, weil es zu einer Kirchenspaltung führte, zur Abspaltung der Altkatholischen Kirche, die das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes ablehnte und ablehnt.

P.S.: aber generell begrüße ich die Diskussion und den Interpretationspluralismus.

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Dieter Knoflach

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Margaretha G

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