Über Merkels Fehler und die Vorteile von Krieg und Unilateralismus

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich beim Weltwirtschaftstreffen in Davos für Multilateralismus und gegen Unilateralismus ausgesprochen. Da sie eine Frau und noch dazu eine abgehende ist, blieb ihre Aussage und Rede in diesem Zusammenhang unwidersprochen, so weit ich das verfolgen kann. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/davos-weltwirtschaftsforum-merkel-1.4299923

https://derstandard.at/2000096937301/Angela-Merkel-wirbt-in-Davos-fuer-Multilateralismus

Dabei verwendete Merkel klassische dichotome Propaganda-Argumentationsmuster, die auch kommunistische Diktatoren wie Fidel Castro verwendeten: Castros "Socialismo o muerte" (Sozialismus oder Tod) entsprach in seiner Vereinfachung Merkels "Multilateralismus oder Elend".

Nur zu Erklärung: Unter "multilateral" (wörtlich: vielstaatlich) versteht man sehr konsensuale Systeme wie beispielsweise die UNO, die dementsprechend mit den Konsensprinzip agiert, zumindest mit dem Konsens der großen Fünf, d.h. der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats, die jeweils ein Vetorecht haben, weshalb wirklich bedeutende Beschlüsse in der multilateralen UNO nur ganz selten zustande kommen, z.B. in der Frage der Rückgängigmachung der Annexion Kuwaits durch Saddam Hussein im Jahr 1991.

Der Gegenpol wäre der Unilateralismus, was wörtlich die "Einstaatlichkeit" bedeuten, aber im übertragenen Sinne auch die Nichtkonsensualität bedeuten kann, in dem Sinne, dass eine bedeutende Staatengruppe auf eine Art und Weise agiert, die von einer anderen bedeutenden Staatengruppe stark ablehnt wird, wie z.B. im Falle des Irakkriegs von 2003, als eine Koalition der Willigen, die auch USA, GB, I, Sp, Pl, etc. umfasste, den Sturz des oben erwähnten Saddam Hussein durchzog, was auf die starke Ablehnung von China, Russland, aber auch der damaligen deutschen und französischen Regierung stiess.

Wie schon oben erwähnt, war Saddam Hussein nicht unbedingt das Paradebeispiel eines konstruktiven Staatschefs, sondern hatte sowohl mehrere Kriege nach außen begonnen (auch den Iran-Irak-Krieg von 1980-1988), als auch nach innen totalitär und mörderisch agiert: bereits zum Amtsantritt hatte er zahlreiche Kritiker und potenzielle Kritiker hinrichten lassen, weshalb sein Sturz auch auf die Zustimmung zahlreicher Nahost-Bürger traf (genauso wie die Familie Bush wegen der Kuwait-Sache in Kuwait einen hervorragenden Ruf hat).

Und Saddam Hussein und sein Cousin Ali Majid hatten nicht nur eine Vorliebe für den Besitz vom Massenvernichtungswaffen, sondern auch für deren Einsatz, wie z.B. in Halabdja im Jahr 1988, primär gegen Kurden, die Saddam Hussein des Verrates (an den Iran) bezichtigte. Allerdings war Saddam Hussein unfähig zu verstehen, dass er es war, der hauptverantwortlich war für die damals steigende Popularität des Iran bei den Kurden.

Politik ist immer die Kunst des Möglichen, und jede objektive Bewertung von politischen Entscheidungen würde eine Parallelweltengeschichte erfordern, die zwar philosophische Theorie ist, aber fern von realer Praxis.

Somit bleibt uns erkenntnisunfähigen Menschen nur das, was der Historiker Alexander Demandt die "fiktive Geschichte" nannte, die zwar in weiten Teilen der Wissenschaft einen sehr schlechten Ruf hat, weil sie in der Tat eine gewisse verführerische Kraft, die zum wilden und völlig irrealen Spekulieren und Dämonisieren verführen kann (was oft als "Counter-factualism" bezeichnet wird); die aber andererseits unerlässlich ist.

Was wäre wirklich passiert, wenn die "Koalition der Willigen" nicht Saddam Hussein 2003 militärisch gestürzt hätte ?

Ich habe auf jeden Fall kein gutes Gefühl für diesen Fall: wahrscheinlich wären die Sanktionen, die im Zusammenhang mit dem Kuwait-Krieg von 1991 eingeführt worden waren, aufgehoben worden, wahrscheinlich hätte das Saddam Hussein und seinen Clan in die Lage versetzt, sich wieder Massenvernichtungswaffen zu beschaffen und damit auch Kurden und Schiiten zu vernichten, alleine schon, um zu zeigen, dass er und die Sunniten des Zentralirak es sind, die die Macht und zwar die totale Macht im Irak haben.

Es wäre mit Sicherheit keine föderalistische Verfassung im Irak eingeführt worden, die durchaus einen positiven Effekt auf die Region haben kann, auch wenn der möglicherweise verfassungs- und föderalismuswidrige Wahlsieg des seltsamen Wahlbündnisses rund um Muktada Al-Sadr (mit seinem südirakisch-schiitischen Hintergrund) diesen positiven Effekt zu verringern geeignet ist.

Aber der Irak ist keineswegs der einzige Fall, um Multilateralismus diskutieren zu können: Multilateralismus in den 1930er Jahren hätte bedeutet, dass US-Präsident Roosevelt, der deutsche Präsidentenkanzler Hitler, der sowjetische Diktator Stalin, etc. einen Konsens finden und sich ansonsten an den Regierungsspitzen gar nichts ändert.

Wenn Merkel Unilateralismus als Elend bezeichnet, dann bezeichnet sie implizit auch die unilaterale Niederringung Nazideutschland und die unilaterale Befreiung vom Nationalsozialismus als Elend, was an den Besuch ihres Amtsvorgängers, Mentors und Parteikollegen Helmut Kohl im Friedhof von Bitburg, in dem neben Wehrmachtsangehörigen auch SS-Leute beerdigt sind, im Jahr 1985 erinnert.

Wenn ein FPÖ-Politiker oder ein AfD-Politiker eine derartige Position vertreten würde und die unilaterale Niederringung des Nationalsozialismus als "Elend" bezeichnen würde, gäbe es einen Riesenshitstorm, aber Merkel darf offensichtlich alles, alleine schon deswegen, weil sie eine Frau und nicht die AfD ist.

Die Einsetzung des UNO-Sonderbeauftragten für Syrien Staffan de Mistura kann man insofern als problematisch und als Elend des Multilateralismus betrachten, als der Syrien-Konflikt und der Ukraine-Konflikt über die Schutzmächte miteinander verbunden sind, und eine separate Lösung der Syrienkrise unabhängig von der Ukrainekrise als problematisch erscheint, und auch kaum einen diplomatischen Erfolg verzeichnete mit Ausnahme der Akzeptanz des miltärischen Sieges der alawitisch-russisch-iranischen Allianz im Syrienkrieg, die z.B. wegen der Enteignungen auch als Festschreibung der "ethnisch-religiösen Säuberungen" betrachtet werden kann.

Jetzt gehöre ich nicht zu denen, die Unilateralismus prinzipiell befürworten, sondern sehe durchaus auch seine Schattenseiten, die ich aber auch beim Multilateralismus sehe.

Eines der Probleme beim Multilateralismus ist die "Viele Köche verderben den Brei"-Problematik: ein Thema wird solange zerredet und kaputtkonferenziert, bis niemand mehr weiss, worum es eigentlich ging, und am Ende kommt ein nichtsagender, oft rechtlich nicht bindender Beschluss zustande, der mehr Fragen offen läßt als er löst, der auch mehr Ängste schaffen kann als beseitigen.

Die Diplomatie und das oft überdiplomatische multilaterale Geschehen, das in ebenso nichtssagender wie niemandverletzender Sprache abgehandelt wird, führt auch dazu, dass die Medien kaum berichten und sich kaum jemand für das Thema interessiert, während unilaterale Aktionen, die oft Kriege sind, Topthemen in allem Medien sind, die längst vergessene Regionen und Kulturen in den Vordergrund rücken.

Bereits Johann Wolfgang von Goethe kann mit seinem Sager "Allen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann" als ein Kritiker des Multilateralismus eingestuft werden.

CC / Stieler / Meiners https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wolfgang_von_Goethe#/media/File:Goethe_(Stieler_1828).jpg

Johann Wolfgang von Goethe, mit seinem Zitat "Allen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann" ein Kritiker von Merkel und dem von ihr gepriesenen Multilateralismus ?

Auch das Demokratie-Prinzip (wer 51% der Stimmen erhält, darf regieren und die anderen 49% dominieren) entspricht eher dem Unilateralismus-Prinzip als dem Multilateralismus-Prinzip.

Zahlreiche Konferenzen der vielfach als Verkörperung des Multilateralismus gepriesenen UNO endeten ohne Beschluss, nur mit einem unverbindlichen Appell, dessen Erfolglosigkeit schon im Vorhinein absehbar war, weil der Appell z.B. im Widerspruch zu religiösen Dogmen stand, so wie der Appell an freiwillige Geburtenkontrolle bei der UNO-Weltbevölkerungskonferenz von 1994 im Widerspruch zu religiösen Bevölkerungsexplosionspflichten in Islam und Katholizismus standen.

Gerade die multilaterale UNO-Konferenz ist wahrscheinlich auch eng verflochten mit unilateraler Kriegs- und Massakertätigkeit: möglicherweise eben, weil der multilaterale Beschluss der UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo von 1994 aus ihrer Sicht so unbefriedigend war und eine Verschiebung der Bevölkerungsverhältnisse zugunsten der bosnischen Muslime vorprogrammierte, entschied sich die Armee der bosnischen Serben zu einem unilateralen Massaker, nämlich dem von Srebrenica und Zepa von 1995, das durchaus bemühte UNO-Generalsekretäre zwar als Versagen der UNO bezeichneten, aber völlig offenliessen, worin diesen Versagen konkret und präzise bestanden haben soll.

Die "Schuld" wurde insbesondere im pazifistisch verseuchten und verdummten Europa den UNO-Blauhelmen, insbesondere den holländischen UNO-Blauhelmen in die Schuhe geschoben, wodurch von der möglichen Hauptschuld der Diplomaten aller Staaten der Welt bei der Kairo-Konferenz abgelenkt werden sollte: dem Friedenprojekt Europa entsprach die Regel, dass immer die Soldaten an Allem schuld seien, aber nie die Diplomaten !

Und unsere Spezies nennt sich "Homo sapiens", der "denkende Mensch".

Der "vertuschende Mensch" wäre vielleicht besser, "homo illusionisticus", der Illusionen erzeugende und auf sie hereinfallende Mensch.

Genau wegen derartiger Kausal-Verflechtungen zwischen Multilateralismus und Unilateralismus ist eine "böser UNilateralismus-guter Multilateralismus"-Dichotomie, wie Merkel sie in ihrer Davós-Rede vertrat, völlig unhaltbar.

Angela Merkel hatte natürlich in ihrer Anfangszeit als Oppositionschefin genau dem Unilateralismus gelobt, den sie heute verdammt, bzw. der rot-grünen Koalition Schröder-Fischer "mangelnde Bündnissolidarität" im Rahmen der NATO mit der Koalition der Willigen vorgeworfen, während sie heute offensichtlich genau die gegenteilige Position vertritt.

Inwieweit das Eine ein Adenauer´sches "Was kümmert mich mein Geschwätz von Gestern ?" oder in wieweit sie eine "Was kümmert mich mein Geschwätz von heute ?"-Position darstellt, bleibt offen.

Auch die Russland-Sanktionen, die derzeit nur von der EU und teilweise von den USA getragen werden, waren unilaterale Sanktionen, keine multilateralen. Merkel behauptet hier, ihre eigenen unilateralen Sanktionen gegen Russland führen ins Elend.

Als multilaterales Gremium galt auch der Europarat. Aber in der Folge der Krimkrise und der EU-Sanktionen gegen Russland, das eigentlich die russländische Föderation ist und dessen Machtkonzentration in der Person Putins als verfassungsrechtlich problematisch betrachtet werden kann, trat Russland aus dem Europarat aus, bzw. äußerte die Absicht dazu, womit der Europarat eigentlich ziemlich sinnlos wird, außerdem wird er dadurch zu einem unilateralen bzw. unilateralerem Gremium.

"Und so sehen wir betroffen, der Blog war lang, und alle Fragen blieben offen", sagte Marcel Reich-Ranicki sinngemäß am Ende der "literarischen Quartette". (Das kann man auch sehen als Eingeständnis, dass Konsens vielfach unmöglich ist).

Eines der großen Probleme des Multilateralismus ist die Konsensunfähigkeit des UNO-Sicherheitsrats: um Vasallen und Quasi-Kolonien herstellen zu können, neigen die mächtigen Fünf (USA, GB, F, R, Ch) dazu, ihr Vetorecht mißbräuchlich zu verwenden (wie die ehemalige UNO-Botschafterin der USA Nikki Haley das nannte), d.h. jede Praxis des Vasallenstaates vor Kritik und Verurteilung durch ihr Veto zu beschützen, um diesen Staat in eine Abhängigkeit von sich selber zu bringen.

CC / z.g. US Department of State https://de.wikipedia.org/wiki/Nikki_Haley#/media/File:Nikki_Haley_official_photo.jpg

ehemalige US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Nikki Haley: kann Multilateralismus überhaupt funktionieren, wenn Staaten wie z.B. Russland die Instrumente des Multilateralismus mißbräuchlich und entgegen den Intentionen der UN-Charta verwenden ?

Man kann auch folgendermassen argumentieren: da der Islam mit der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1980, die der New Yorker Erklärung der Menschenrechte von 1948 widerspricht, existiert seit 1980 eben deswegen keine multilaterale Weltordnung mehr, sondern zwei rivalisierende unilaterale, nämlich eine nicht-islamische, die sich an der New-York-Erklärung und eine islamische, die sich an der Kairoer Erkläruing orientiert. Man kann die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam auch als Kriegserklärung an die Allgemeine New Yorker Erklärung der Menschenrechte betrachten und somit als das Ende der multilateralen Weltordnung, die Merkel nach wie vor preist, obwohl sie nicht mehr existiert.

P.S.: danke für das Einblenden des Passenden Euronews-Videos.

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