Wahlkampfblödheiten: Nichtanfechtungsgarantie, Regierungsbildungsgarantie.

Ein möglicherweise großer Zyniker und Menschen- und Demokratieverachter, der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, sagte einmal: "Wahlkampf ist die Zeit fokussierter Unintelligenz" ("Zielgerichteter Dummheit" auf Deutsch).

Jeweils ein Beispiel für diese zielgerichtete Dummheit lieferten Van der Bellen/Grüne und Hofer/Freiheitliche.

Van der Bellen bzw. die Grünen forderten von Hofer / Freiheitlichen eine vorzeitige Nichtanfechtungsgarantie, d.h. die Freiheitlichen bzw. Hofer sollten vor der Wahl erklären, die zukünftigen Wahlen nicht anzufechten. Man kann vor der Wahl natürlich nicht wissen, ob sich bei der Wahl anfechtungswürdige, fragwürdige Dinge ergeben werden.

Anders als beim Einredeverzicht bei Vertragsabfassung hätte man bei einer etwaigen Nichtanfechtungsgarantie den Vertrag nicht vorliegen, und man kann daher vorher nicht prüfen. Ganz abgesehen davon kann ich mich nicht erinnern, dass es irgendwo auf der Welt schon einmal eine vorzeitige Nichtanfechtungsgarantie gegeben hätte. Rechtsstaatlich wäre das sehr seltsam und steht in einer gewissen Kontinuität zu rückwirkenden Gesetzen.

Umgekehrt haben auch die FPÖ / Hofer eine einmalige Wahlkampfkuriosität vorgelegt: die Forderung nach einer Regierungsbildungsgarantie, falls die FPÖ stimmenstärkste Partei wird. Auch die SPÖ stellte 2000 mit 33% die stimmenstärkste Partei dar, kam aber nicht in die Regierung. Die Regierung wurde damals von FPÖ und ÖVP gebildet, die gemeinsam 53.82% hatten, was eine eindeutige Mehrheit bedeutet (eine viel klarere Mehrheit als die 50.3% für Van der Bellen bei der aufgehobenen Bundespräsidentenwahl).

Welchen Sinn soll es machen, eine 30%-FPÖ mit der Regierung zu beauftragen, wenn diese dann in vielen Fragen eine 70%-Mehrheit gegen sich hat? Die 70%-Mehrheit kann jederzeit einen Mißtrauensantrag einbringen, und damit die 30%-FPÖ-Regierung zu Fall bringen. Außerdem ist es fraglich, ob die FPÖ den ersten Platz, den sie momentan laut so manchen Umfragen innehat, bis zur nächsten Wahl hält.

Vielleicht fordert die FPÖ diese Regierungsbildungsgarantie ja nur deswegen, weil sie riesige Probleme hat, Koalitionspartner zu finden. Auch die 31% FPÖ-Wähler bei der Wienwahl brachten der FPÖ gar nichts, weil sie keinen Koalitionspartner fand.

Den einzigen "Sinn", den ich in der FPÖ-Forderung nach Regierungsbildungsgarantie erblicken kann, ist, die Van der Bellen-Ansage zu kontern, die FPÖ bzw. Strache unter überhaupt keinen Umständen, auch nicht bei absoluter (über 50% liegender) Mehrheit mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Dieser Wahlkampf scheint hauptsächlich eines zu bewirken: Demokratieverdrossenheit. Ob das Absicht der Kandidaten bzw. der ihnen nahestehenden Parteien ist, lasse ich einmal dahingestellt.

Dieses ganze Hickhack und diese ganzen Wahlkampf-Verrücktheiten im zweiten Wahlgang hätte man sich erspart, wenn man schon vorher auf einen meiner Vorschläge (Reihungswahlrecht, Kollektivorgan Bundespräsident ähnlich wie in der Schweiz, wo die vier stimmenstärksten Parteien im Rotationsprinzip das Staatsoberhaupt besetzen) eingegangen wäre.

Aber eine Schlammschlacht um die totale Macht scheint allen Seiten lieber zu sein als Macht- und Funktionsteilung.

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