Warum der Abgang von Pröll jahrelang vorbereitet sein könnte

"Großer Abstimmung, großes Parteitreffen, Weichenstellung wird jetzt vorgenommen." so oder so ähnlich ist der Medientenor zum Abgang des Niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll.

Aber man kann es auch anders sehen: der Abgang von Pröll wurde bereits am Tag nach der letzten NÖ-Landtagswahl im Jahr 2013 vorbereitet oder davor.

.) Pröll war damals schon 66 Jahre alt, und wäre bei der nächsten regulären Landtagswahl über 70 Jahre alt gewesen.

.) Er war ein Politiker, der den 75%-Hauptteil seiner Amtszeit als Landeshauptmann (Amtsantritt 1992 oder 1993) in einer Vorfinanzkrisenära abgedient hatte. Vor der Finanzkrise (2008) herrschte eine andere, weniger risikobewußte Einstellung zu Verschuldung, allerdings in allen Parteien. Die Finanzkrise ist ein wirklich großer Game-Changer, der auch zu kompletten Elitentäuschen oder zu Parteisystemzusammenbrüchen (ähnlich Tangentopoli ca. um 1990 in Italien) führen kann; am ehesten bemerkbar war das in Griechenland, wo weder Nea Demokratia noch PASOK stimmenstärkste Partei wurde, sondern Syriza.

.) Pröll war gleichsam dadurch angeschlagen, dass sein "Kandidat" Spindelegger 2013 nicht den erwarteten Erfolg bei der Nationalratswahl erzielt hatte. Dass sein Neffe Josef Pröll sich offiziell aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte, könnte auch eine Rolle gespielt haben.

.) Die Ernennung von Johanna Mikl-Leitner zur Innenministerin (2011) dürfte bereits mit dem Hintergedanken erfolgt sein, dass sie eine ernstzunehmende Kandidatin für das Amt einer Landeshauptfrau ist, womit sie die dritte in der Geschichte Österreichs wäre. (Nach Klasnic/VP-Steiermark und Burgstaller/SP-Salzburg). Einige VP-Minister wurden später Landeshauptmann, z.B. Platter.

.) Pröll könnte nach dem Motto "gehen, wenn´s am schönsten ist" gehandelt haben. Er hatte 2013 die absolute Mehrheit nur mehr sehr knapp und mit Stimmenverlusten von ca. 4% erreicht. Und man konnte damit rechnen, dass es das definitiv letzte mal ist.

.) Bei der Landtagswahl 2013 setzten alle Parteien die Vorzugsstimmenwahl auf eine Art und Weise ein, die man als Mißbrauch dieses Instruments betrachten kann. Das Vorzugsstimmensystem dient eigentlich dazu, hinten auf der Liste gereihte Kandidaten nach vorn vorzuziehen. Die Art und Weise, wie die Parteien von diesem System Gebrauch machten, dürfte nicht im Sinne des Gesetzgebers sein. Denn hauptsächlich Spitzenkandidaten, die ohnehin schon auf Platz 1 der Liste standen, warben um Vorzugsstimmen, um gemäß Gesetz vorgereiht zu werden. Allerdings bei allen Parteien: und wenn man die Reihung der Vorzugsstimmen bei der Landtagswahl betrachtet, so ist sie genau dieselbe wie die Reihung der Parteien, sodass eine der beiden Wahlen eigentlich ziemlich überflüssig erscheint: am meisten Vorzugsstimmen bekam Pröll (VP), am meisten Parteistimmen die VP.

Am zweitmeisten Vorzugsstimmen bekam Leitner (SP), am zweitmeisten Parteistimmen die SP.

Am drittmeisten Vorzugsstimmen bekam Frank Stronach, am drittmeisten Parteistimmen das Team Stronach.

Am viertmeisten Vorzugsstimmen Barbara Rosenkranz (FP), am viertmeisten Parteistimmen die FP.

Am fünftmeisten Vorzugsstimmen Madeleine Petrovic (Grüne), am fünftmeisten Parteistimmen die Grünen.

Das führt nur zu einer mehr oder weniger überflüssigen Mehrbelastung der Wahlbehörden, die man vielleicht für besseres gebrauchen könnte (separate Landeshauptmanndirektwahl gemäß Schulze-Verfahren oder Borda-Wahl in Anlehnung an die in der Verfassung vorgesehene Bürgermeisterdirektwahl).

Bei einer EU-Wahl wurde das Vorzugsstimmensystem einmal so interpretiert, als handle es sich um eine Direktwahl des Clubchefs, was auch unrichtig ist. Was überlegenswert ist, ist den Spitzenkandidaten von der Wegreihungsmöglichkeit auszunehmen, wenn er eine gewisse Wahlkampflast trägt und prägend für die Partei ist, sodass seine Wegreihung durch Kandidaten, die weiter hinten auf der Liste stehen, unmöglich ist. Der Fall Kronberger-Mölzer 2004 hatte in der Tat einen Aspekt von Wählertäuschung durch einen legalen Gebrauch der Vorreihungsmöglichkeit.

.) Es gibt die agrarische Tradition der "Hofübergabe"; ein Altbauer übergibt den Hof nicht plötzlich und überraschend an den Sohn oder die Tochter, die er für am geeignetsten hält, sondern das ist oft ein jahre- oder jahrzehntelanger Prozess, und Pröll hat ja selbst einen bäuerlichen Hintergrund.

.) Pröll war auch angeschlagen durch die Verfassungswidrigkeit des Wahlkreises Wien-Umgebung, wie in der LTWO-NÖ 1992/1993 vorgesehen. Laut Verfassung müssen Wahlkreise geschlossene Gebiete darstellen, was Wien-Umgebung nicht war. Und er war auch angeschlagen durch die unglaubwürdige Argumentation in diesem Zusammenhang: er sprach von "Kostenreduktion", "Verwaltungsreform", "Bürgerwünschen" und ging auf die Verfassungswidrigkeit nicht ein. Allerdings hätten ca. 20 Jahre lang alle Parteien, die gültige Wahlvorschläge für eine nö. Landtagswahl eingebracht hatten, diese Wahlordnung anfechten können, ohne dass es irgendeine tat. Allerdings war diese Verfassungswidrigkeit im Vergleich zu anderen eine relativ unbedeutende.

.) die Stiftungskonstruktion ist dubios, aber da der Name Erwin Pröll eng mit Politik verbunden ist, ist es keine klassische Privatstiftung, sondern kann auch als ÖVP-Parteistiftung betrachtet werden. Auf jeden Fall scheint er sich durch die in Anbetracht der (geringen) Verzinsungsverluste rechnungshoftechnisch fragwürdige Konstruktion nicht persönlich bereichert zu haben. Soll heissen: wenn die Gelder, die vom Land NÖ in die Stiftung flossen, erst kurz vor dem Bau der geplanten Akademie geflossen wären, dann hätte das Land NÖ sich schätzomativ mehr Kreditzinsen erspart, als die Stiftung Sparguthabenzinsen bekommen hat. Und genau das entspricht nicht den Kriterien der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit, die Rechnungshofprüfungsgrundlagen sind. Eine Rückzahlung der Zinsdifferenz bzw. der Kreditzinsen, die NÖ sich hätte ersparen können, wenn das Geld erst im letzten Moment geflossen wäre, erscheint so gesehen angebracht. Ich habe in einem Blog die Theorie vertreten, dass Erwin Pröll persönlich die Informationen über die Stiftung an den Falter geleakt haben könnte, um den Falter zu einer Überreaktion zu provozieren.

Zu den Medienberichten: erstens haben verschiedene Medien berichtet, Mikl-Leitner sei hauptverantwortlich für die Wehrpflicht-Volksbefragung gewesen. War sie meiner Erinnerung nach nicht (bzw. bestenfalls für die diesbezügliche Kommunikation), die konkrete Fragestellung dürfte von Spindelegger und Darabos ausgehandelt worden sein, nachdem der Wiener Bürgermeister Michael Häupl wahrscheinlich aus populistischen Gründen, in der Hoffnung, die Jugend als Wähler für die SP zu gewinnen, eine Abschaffung der Wehrpflicht wollte.

Die konkrete Fragestellung war eine überlagerte Doppelfrage a la: "Sind Sie für die Kombination von Wehrpflicht und Zivildienstpflicht oder für die Kombination von Berufsheer und freiwilligem Sozialjahr ?"

Die dritte und möglicherweise erfolgversprechendste Kombination "Berufsheer und Zivildienstpflicht" wurde nicht abgefragt. Und da für die meisten Bürger (insbesondere ältere) die Zivildienstfrage Priorität hatte (für Österreich besteht keine ernstzunehmende militärische Bedrohung), überlagerte sie die zweite Frage, die Heeresfrage.

Originaltext laut BMI:

"a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?

b) Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?"

Vielleicht war auch befragungsentscheidend, dass manche ältere Leute glaubten, sie müßten im Fall der Variante a) bezahlen. Wer genau bezahlen muß, ist im Text nicht präzisiert. Auf jeden Fall kommt die Formulierung des "Bezahlens" nur in Variante a) vor, nicht jedoch in Variante b), sodass der Eindruck entstehen kann, Variante a) sei die teurere, während in Wirklichkeit eher unterschiedliche Gruppen bezahlen, bzw. für ihre Leistung wenig bekommen dürften. Die ganze Befragung wurde von einer Sachfrage, die sie wohl eigentlich hätte sein sollen, zu einer Generationenfrage.

Ich bleibe nach wie vor dabei, dass Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (VP) im Prinzip recht hatte, dass Europäisierung und Komplexität von Waffensystemen für Berufsheer sprechen. Der klassische Verteidigungskrieg in Österreich durch eine Milizarmee dürfte eher kein anzunehmender Ernstfall sein, insbesondere wenn man betrachtet, dass Österreich gemeinsam mit Schweiz und Liechtenstein eine neutrale Insel bildet, die zu 100% vom "Schutzschirm" NATO umgeben ist und daher gar nicht angegriffen werden kann, ohne vorher die NATO anzugreifen (und ein klassisch-militärischer Angriff auf die NATO mit herkömmlichen Armeen ist in den letzten 50 Jahren nicht passiert, ist nach dem Untergang des Warschauer Pakts unwahrscheinlicher). Auch wenn Trump die NATO rhetorisch infragestellt, so stellt sich die Frage, ob das nur verhandlungstaktisch ist im Zusammenhang mit anderer finanzieller Lastenverteilung oder anderer Währungspolitik.

Und der ehemalige steirische Landeshauptmann Franz Voves (SP), der vom eigenen "Parteifreund" Häupl gleichsam nach dem Motto, dass die Steigerungsformen von "Feind" "Todfeind" und "Parteifreund" seien, durch Pegida-Vergleiche unter die 30%-Rücktrittshürde gedrückt wurde, hatte wohl recht, als er Medienberichten zufolge die konkrete Volksbefragungsfragestellung zu kompliziert nannte.

Vielleicht wollte sich Darabos (SP), der später aus der Bundespolitik floh, mit der unbrauchbaren Fragestellung an Häupl rächen, der ihn durch den durchgedrückten Kurswechsel ziemlich desavouiert hatte. Darabos war durch Häupls Kurswechsel gezwungen, seine Aussage "Die Wehrpflicht ist in Stein gemeisselt" zu korrigieren. Ich hatte einmal Norbert Leser gefragt, was er glaube, dass Darabos wirklich zum Thema denke und sagen würde, wenn Häupl nicht existieren würde. Leser hat darauf überhaupt nicht reagiert, was bei Leser wohl oftmals bedeutete, dass er was ganz besonderes im Schilde führte.

Inner-SP-Konflikte werden erstaunlich oft intransparent ausgetragen: am wohl von Häupl verursachten Kurswechsel übte aussschliesslich Heinz Fischer diplomatische Kritik: "Wehrpflicht ist zu wertvoll, um sie am Altar des Populismus zu opfern". Konkreten Populismus-Vorwurf an Häupl oder an irgendwen sprach aber auch er nicht aus. Allerdings hinterliess auch die Fischer-Bemerkung den Eindruck, es gehe eher um SP-Interna als um die militärische Frage, ob allgemeine Wehrpflicht oder Berufsheer besser sei.

Auch Voves äußerte nie offen Kritik daran, dass Häupl ihn "gekillt" hatte, sondern reagierte mit einem Verzicht auf den LH-Posten, womit der Verlust eines Stiftungsrats im ORF für die SP verbunden war.

So ist innerparteiliche Demokratie eigentlich nicht gedacht, dass sie kompliziert zwischen den Zeilen verborgene Codes bedeutet.

Aber das erinnert eher an totalitäre Systeme, innerhalb derer Kritik auch nicht offen geübt werden kann, sondern verklausuliert und codiert formuliert werden muss.

Quintessenz: Personalwechsel werden von politischen Eliten oft langfristig vorbereitet. Politische Eliten kennen bzw. erkennen Talente oftmals, bevor der durchschnittliche Wähler bzw. die durchschnittliche Wählerin sie kennt bzw. erkennt. Die sogenannten Gipfel, Parteitage, Meetings, die die Medien als so wichtig betrachten, sind oft nur Verlautbarungsrituale für Entscheidungen, die schon lange vorher getroffen bzw. vorbereitet wurden.

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Landtagswahl_in_Nieder%C3%B6sterreich_2013

https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Spindelegger

http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_wahlen/volksbefragung/Ergebnis_endg_Stimmk.aspx

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