Warum Volksabstimmungen problematisch sein können, aber anders, als die SPÖ behauptet

Verschiedene SPÖ-Politiker und -innen (Heinz Fischer, Muna Duzdar) und verschiedene SPÖ-nahe Journalisten und -innen und SPÖ-nahe Wissenschafter und -innen behaupteten ja, die direkte Demokratie sei keine gute Demokratieform, weil sie komplexe Fragen auf Ja-Nein-Entscheidungen reduziere.

Diese Kritik ist mir insofern nicht nachvollziehbar, weil man das Reihungswahlrecht, bzw. Präferenzwahlrecht a la Condorcet oder Borda, das eigentlich für Personenwahlen gedacht war, auch auf direkt-demokratische Instrumente (Volksbefragung oder Volksabstimmung) übertragen kann, und damit Graustufen, Kompromisse und Zwischenstufen auch abfragbar sind.

Andererseits solle man erstens beachten, dass Volksbefragung und Volksabstimmung zwei verschiedene Instrumente sind, insbesondere in Hinblick auf den Verbindlichkeitscharakter: Volksbefragungen sind (wie der Name nahelegt) unverbindlich, d.h. ihr Ergebnis muss nicht in Gesetzesform übertragen werden, hingegen Volksabstimmungen sind verbindlich, d.h. ihr Ergebnis muss in Gesetzesform übertragen werden.

Wenn nun FPÖ-Vorsitzender H.C. Strache fordert, dass Volksbefragungen und Volksabstimmungen verbindlich sein müssen, dann wird damit ja genau der Unterschied zwischen diesen beiden Instrumenten beseitigt, womit sich dann die Frage stellt, wieso man zwei unterschiedliche Instrumente haben sollte, die genau dieselben Eigenschaften haben.

Rein logisch betrachtet wäre dann ja eines dieser beiden Instrumente mit völlig identischen Eigenschaften überflüssig: besser als die Forderung nach Verbindlichkeit der Volksbefragung wäre also in der Praxis die Abschaffung dieses Instruments. Zwei völlig eigenschaftgleiche Instrumente aufrechtzuerhalten, bedeutet nur Gesetzesflut und Unübersichtlichkeit der Gesetze.

Aber nun zu etwas ganz anderem, nämlich warum direkte Demokratie tatsächlich problematisch sein kann:

Demonstrieren kann man das ganz gut an der völlig mißglückten Volksbefragung zu Zivildienst/freiwilligem Sozialjahr, Berufsheer und Milizheer 2013. Hier wurden zwei von einander unabhängige Fragen (nämlich erstens Zivildienst versus freiwilliges Sozialjahr, und zweitens Berufsheer versus Milizheer) in eine einzige Frage vermanscht.

Volksbefragungsgesetz 1989

Die Fragestellung war:

a) Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?

b) Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?

Option a) erhielt 40,3%, Option B erhielt 59,7%.

Österreich ist ein neutrales Land, das zu 100% von NATO-Mitgliedern (die gleichzeitig EU-Partner sind) oder ungefährlichen Neutralen (wie Schweiz oder Liechtenstein) umgeben ist und daher eigentlich überhaupt kein Bundesheer braucht, weil es sowieso nicht angegriffen werden kann (bzw. gegen einen rein theoretischen NATO-Angriff sowieso chancenlos ist). Daher hatte die Frage "Berufsheer oder Milizheer ?" bei dieser Volksbefragung eine untergeordnete Bedeutung, hingegen die Frage "Zivildienst oder freiwilliges Sozialjahr ?" eine dominante Bedeutung, weil es für die ältere Generation einen hohen finanziellen Aufwand bedeutet hätte, die sehr billigen Zivildienstleistungen, die sich aus der Zivildienstpflicht (bzw. Wehrdienstpflicht) ergeben, durch bezahlte freiwillige Sozialjahrabsolventen zu ersetzen und zu finanzieren, vielleicht auch deswegen, weil sich viel weniger Leute zum freiwilligen Sozialjahr gemeldet hätten, als zum Zivildienst bzw. zur Wehrpflicht verpflichtet sind.

Daher ist folgende Annahme sehr plausibel:

Eine Wählendengruppe A (mit 50% der Wählenden) war für Zivildienst und Berufsheer.

Eine weitere Wählendengruppe B (mit 30%) war für frw. Sozialjahr und Berufsheer.

Eine Wählendengruppe C (mit 10%) war für Zivildienst und Milizheer.

Eine weitere Wählendengruppe D (mit 10%) war für frw. Sozialjahr und Milizheer.

Da Österreich wegen Neutralität und ungefährlicher Nachbarschaft (NATO,Neutrale) eigentlich sowieso kein Bundesheer braucht, hatte die Frage "Zivildienst oder freiwilliges Sozialjahr?" eine dominante, also übergeordnete Bedeutung, während die Bundesheer-Frage (Also Berufsheer oder Milizheer) eine absolut untergeordnete Bedeutung hatte.

Daher ergeben sich, wenn man die Fragen einzeln betrachtet, folgende Mehrheiten:

Zivildienst bekommt 60%, 50 aus WG A und 10 aus WG C.

Freiwilliges Sozialjahr bekommt 40%, 30 aus WG B und 10 aus WG D.

Berufsheer bekommt 80%, 50 aus WG A und 30 aus WG B.

Milizheer bekommt 20%, 10 aus WG C und 10 aus WG D.

Wenn man aber die kombinierte Frahge stellt, bei der zwei Fragen vermanscht werden, und Zivildienst-Sozialjahr dominiert, dann bekommt man folgende Mehrheitsverhältnisse:

"Berufsheer und bezahltes Sozialjahr" bekommt 40%, 30 aus WG B und 10 aus WG D.

"Milizheer und Zivildienst" bekommt 60%, 50 aus WG A und 10 aus WG C.

D.h. einzig und alleine, weil die Frage "Berufsheer oder Milizheer" eine untergeordnete Bedeutung hatte und weil die Fragestellung so war, schien Berufsheer eine 40%-Minderheit zu sein, obwohl sie in Wirklichkeit, isoliert und einzeln gefragt, eine 80%-Mehrheit hatte!

Hätte man die 2 Grundfragen andersrum kombiniert, nämlich

"a) Sind Sie für Berufsheer und Zivildienst ?

oder

b) Sind Sie für Milizheer und bezahltes freiwilliges Sozialjahr?"

, dann hätten sich folgende Mehrheiten ergeben:

"Berufsheer und Zivildienst" hätten 60% erhalten, 50 aus WG A und 10 aus WG C.

"Milizheer und b.frw.Sozialjahr" hätten 40% erhalten, 30 aus B und 10 aus D.

Mit anderen Worten: bei umgekehrter Kombination der beiden Fragen hätten sich wegen der Dominanz der Zivildienst-versus-Sozialjahr-Frage genau dieselben 60% für den Zivildienst ergeben, aber bzgl. "Berufsheer-versus-Milizheer" hätte sich rein optisch genau die umgekehrte Mehrheit ergeben, nämlich 60% für Berufsheer und 40% für Milizheer.

Das heisst: WER ÜBER DIE FRAGESTELLUNG ENTSCHEIDET, ENTSCHEIDET ÜBER DAS ERGEBNIS !!!!!

Das Volk hat zwar das Gefühl, zu entscheiden, aber in Wirklichkeit entscheidet es gar nicht, sondern diejenigen, die die Fragestellung formulieren.

In diesem Fall dürften das Spindelegger (damaliger ÖVP-Vizekanzler und Aussenminister) und Darabos (damaliger SPÖ-Verteidigungsminister und heutiger burgenländischer Soziallandesrat) gewesen sein.

Bei Darabos könnte eine Art Rache, dafür, dass der Wiener Bürgermeister Häupl durch seinen Schwenk in der Heeresfrage Darabos desavouiert und beschädigt hatte, ein Motiv gewesen sein: Darabos war wegen des Häupl-Schwenks, den Heinz Fischer indirekt als "Populismus" bezeichnete, gezwungen, von seiner Aussage "Die allgemeine Wehrpflicht ist in Stein gemeisselt." Abstand zu nehmen.

Darabos hat sich bei nächster Gelegenheit in die burgenländische Landespolitik zurückgezogen, von wo aus er gelegentlich gegen das in der SPÖ dominante "rote Wien" stichelt, zum Beispiel mit der "Das ist ein Problem, das die Wiener Genossen selbst lösen müssen!"-Aussage.

CC BY 2.0 Öst. Aussenministerium, uploaded von High Contrast https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Spindelegger#/media/File:Pressekonferenz_Allianz_f%C3%BCr%C2%B4s_Land_(8536658056).jpg

Michael Spindelegger (ÖVP) und Norbert Darabos (SPÖ), die Masterminds der völlig mißglückten Berufsheer-Volksbefragung 2013? Mit dem mutmaßlichen Motiv, auf die Manipulationsanfälligkeit direkt-demokratischer Instrumente aufmerksam zu machen ? Und die daher glücklicherweise das unverbindliche Instrument der Volksbefragung wählten?

CC BY 2.0 SPÖ-Presse u. Komm., uploaded von AleXXw https://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Darabos#/media/File:Norbert_Darabos_(8674434555).jpg

Um´s noch krasser zu machen:

Wenn die Frage lautet:

"a) Sind Sie für Zivildienst und dafür, dass der Kontinent Eurasien auf den Mond geschossen wird ?

oder

b) Sind Sie für ein bezahltes freiwilliges Sozialjahr und dafür, dass der Kontinent Eurasien nicht auf den Mond geschossen wird?"

und es existieren zwei Wählergruppen:

die Eine 60%ige, die für Zivildienst ist und denkt, dass das mit dem Auf-den-Mond-Schiessen sowieso unmachbarer Blödsinn ist, den man nicht weiter beachten muss,

und die andere 40%ige, die für bezahltes freiwilliges Sozialjahr ist, und die Frage mit dem Auf-den-Mond-Schiessen sowieso für Blödsinn hält,

dann erhält Option a) 60% und Option b) 40%.

Aber daraus kann man nicht ableiten, dass die Mehrheit von 60% dafür ist, den Kontinent Eurasien auf den Mond zu schiessen.

Fälle wie dieser sind Belege dafür, dass ein Verbot solcher Doppelfragen, bei denen zwei Fragen in eine vermanscht werden, in jedes Direkte-Demokratie-Paket hineingehört.

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