Bahnstreik und Autoritarismus

Es ist mal wieder soweit. Kaum hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) einen erneuten Streik angekündigt, schon ergießt sich in den sozialen Netzwerken ein Schwall der wutbürgerlichen Empörung über die Mitglieder der GDL und besonders die Person Weselsky. Diese kann sich in persönlichen Beschimpfungen und Gewaltphantasien äußern aber auch etwas gediegener als Sorge um "die Wirtschaft". Gemein ist all diesen Äußerungen, dass es offenbar gar nicht mehr nötig ist, sich darüber zu verständigen, warum man sich denn in dieser schwierigen Lage befindet.

Es lässt sich nämlich nicht leugnen, dass viele Menschen im Alltag auf die Bahn angewiesen sind und daher verärgert reagieren, wenn diese Möglichkeit vorübergehend entfällt. Erstaunlich ist vielmehr, dass sich der Ärger und die Wut nahezu einhellig auf die GDL und die Person Weselsky richten und nicht etwa, was ja auch denkbar wäre, auf den Bahnvorstand oder auf alle Beteiligten gleichermaßen. Eine gelegentlich vorgebrachte Erklärung ist, dass die Leute zwar potentiell solidarisch mit Streiks im Allgemeinen und der GDL im Besonderen wären, aber von "den Medien" manipuliert würden.

Es mag zwar eine umfangreiche Berichterstattung gegen den Streik der GDL geben, doch macht man den selben Fehler wie die Streikgegner, wenn man einfach nur einen Schuldigen für die mehrheitlich negativen Reaktionen auszumachen versucht. Viele Menschen befinden sich in der Zwangslage, Sanktionen befürchten zu müssen, wenn sie nicht jeden Wochentag pünktlich an ihrem Arbeitsplatz erscheinen oder anderen Verpflichtungen nachgehen. Ein Bahnstreik erscheint ihnen somit als Hindernis bei ihrem Ziel, all den tagtäglich an sie gerichteten Erwartungen möglichst gerecht zu werden. Nun kann man ihnen schlecht persönlich zum Vorwurf machen, dass sie unter solchen Verhältnissen leben müssen, doch kann und muss man kritisieren, wenn gerade eine Gewerkschaft, deren Aufgabe es schließlich ist, das Unerträgliche ein wenig erträglicher zu machen, zur Zielscheibe der Wut wird.

Es sind mehrere Gründe denkbar, warum sich Wut und Empörung gerade gegen die GDL richten. Die Zustände, die zum Streik führten, werden von den Meisten nicht wahrgenommen oder heruntergespielt und so wird ausschließlich der als Bruch der alltäglichen Normalität wahrgenommene Streik zum eigentlichen Skandal. Neid kann ebenfalls eine Rolle spielen, so ließen sich auch Aussagen erklären, die darauf abzielen, dass Lokführer nicht streiken sollten, weil es einem selber noch schlechter gehe.

Die Wut richtet sich also nicht gegen die schlechten Verhältnisse unter denen man zu leiden hat, sondern gegen die, denen es noch ein wenig besser geht. Es wird nicht etwa die Konsequenz gezogen, dass es Allen möglichst gut gehen sollte, sondern dass es Niemandem besser gehen darf als einem selbst. Ein wesentlicher Grund, warum sich der Bahnvorstand mit deutlich weniger Kritik konfrontiert sieht, dürfte zudem sein, dass er als eine Art rechtmäßige Autorität wahrgenommen wird, wogegen die GDL-Mitglieder als Irre, Wahnsinnige und Aufrüher erscheinen.  Im harmlosesten Fall fordert man von ihnen "Mäßigung" oder "Verhältnismäßigkeit", häufig wird jedoch auch nach dem Souverän geschrien , er möge dieses Treiben doch gefälligst gesetzlich unterbinden. Den eigenen Autoritarismus projiziert man dabei auf die Person Weselsky, die als alleinverantwortlich für den Streik wahrgenommen wird, ungeachtet der Tatsache, dass ein Streik immer der Entscheidung der Gewerkschaftsmitglieder bedarf.

Ich habe an dieser Stelle bewusst auf emprisches Material verzichten. Bei Interesse bieten Facebook, Twitter und dergleichen aber reichlich Anschauungsmaterial. Zum Abschluss möchte ich stattdessen auf die von Theodor W. Adorno et al. durchgeführte Studie zur autoritären Persönlichkeit verweisen, die in dieser Hinsicht sehr erhellend ist: The Authoritarian Personality, Studies in Prejudice Series, Volume 1

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Silvia Jelincic

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Herbert Erregger

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fischundfleisch

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