"Der Weise benötigt kein Ziel, er ist überall angekommen" - eine persönliche "Siddharta"-Interpretation.

Für Hesse war „Schreiben Selbsttherapie“ . Hesse ist weltweit mit weit über 100 Mio. Bänden der meistgelesenste,deutschsprachige Autor des 20. Jahrhunderts übersetzt in viele Sprachen.

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Die Arroganz einiger Literaturwissenschaftler, wie u.a. eines inzwischen verstorbenen TV-Literaturkritikers Reich-Ranizky, ließen ihm die Anerkennung versagen. Zu seinen Kultbüchern zählen „Der Steppenwolf“ (1929) oder der von mir bereits zum zweiten Mal gelesene „Siddharta“, wo es ihm gelingt, das komplexe buddhistische Gedankengut auf 120 Seiten in einfacher Sprache darzustellen. Er schrieb es 1922 nach einer langen Indienreise. „Narziß und Goldmund“.

„Der Steppenwolf“ war ein Kultbuch der 68-Generation, die nach neuer Orientierung suchte und eine gleichnamige Pop-Band trug diesen Namen. Eigentlich über die USA-Vietnamkrieg Proteste der Jugend, wo Hesse einen Guru-Status einnahm, schwappte die Hesse-Welle erst nach Deutschland über.

„Unterm Rad“ (1906), „Demian“(1919), der mich vom Motiv ein bisschen an Goethes Werther erinnert hat und natürlich das „Glasperlenspiel“ (1943/Alterswerk), wofür er 1946 den Nobelpreis erhalten hatte,  sind noch hervorzuheben.

Das in der Nazizeit zunächst verbotene „Glasperlenspiel“ war Hesses intellektuelle Antwort auf die Barbarei des Hitlerfaschismus. Mit der Utopie seiner pädagogischen Provinz Kastalien entwirft der Autor eine Gegenwelt zur Diktatur des „Dritten Reiches“. Die in sich geschlossene geistige Welt der Zucht und Askese in Kastalien findet höchste(n) Ausdruck und Vollendung in der Kunst des Glasperlenspiels.

Der Glasperlenspieler Josef Knecht erlebt in einigen Wiedergeburten große Epochen der Menschheitsgeschichte, etc…

Hesses Biografie ist allerdings nicht ganz leicht verdaulich:

Auflehnung gegen die Eltern, zwei gescheiterte Ehen, zwei Psychotherapien,zwei Weltkriege und seine Bücher haben wesentliche, autobiografische Züge. Mit 15 Jahren der erste Selbstmordversuch, sieben verzweifelte Monate zwangseingewiesen in das Kloster Maulbronn. Von dort floh er dann und es folgte unter Zwang seiner Eltern eine Teufelsaustreibung, weil er sich

weigerte, Theologie zu studieren. Ghandi hat übrigens einmal gemeint, dass "zu den größten Lügenmächten der Welt die Theologen gehörten"

Die Eltern waren protestantische Missionare und schickten Hermann sodann in eine „Heilanstalt für Schwachsinnige und Epileptische“ quasi als Strafe.Auch dagegen kämpfte der unangepasste Hesse.

1895 begann Hesse eine Buchhändlerlehre und veröffentlichte erste Arbeiten. Einige Jahre später heiratete er und ließ sich 1923 wieder scheiden, weil seine Frau an Schizophrenie erkrankte. Seine Eheprobleme schilderte er in seinem Roman „Rosshalde“. Hesse bekam Nervenzusammenbrüche und musste in psychiatrische Behandlungen. Er litt unter schweren Depressionen und wenn man sein Herbstgedicht „Einsam im Nebel zu wandern“ liest, bekommt man eine leise Ahnung von einer Depression.

Hesse im Originalton auf YouTube:

„Wie werde ICH selbst“ ist eine seiner zentralen Fragen -der zu werden der man ist - und die innere Leere unserer von Konsumismus geprägten Wohlstandsgesellschaft könnte Hesse zumindest bei der Enkel-Generation wieder auferstehen lassen.

Ich habe eine persönliche Interpretation von "Siddharta" stark komprimiert versucht, der mir im Zuge einer schweren Burnout-Erkrankung sehr geholfen hat,  meine vorübergehend zusammengebrochene, „neuronale Festplatte“ wieder neu aufzusetzen.

„Wir verlangen, das Leben müsse einen Sinn haben, aber es hat nur ganz genau soviel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind“ (Herman Hesse)

Die Welt selbst kennt keinen Sinn, weil Sinn ein kognitives Produkt des Menschen ist. Wie man dem Leben Sinn geben kann, dazu empfehle ich Hesses „Siddharta“ zu lesen, wozu ich mir nachstehend eine persönliche Interpretation erlaube, weil Hesse verstanden hat, dass der "Sinn des Lebens auf dem Weg des Lebens liegt" und dort zu suchen ist.

"Die Welt erschließt sich dabei vorwiegend dem Neugierigen".

„Leben, das Sinn hat, fragt nicht danach“ (Adorno)

Freud vertritt eine noch radikalere Position, indem er meint, dass "Menschen, die (nachhaltig) nach dem Sinn fragen, psychisch bereits krank sind".

„Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst“ (Goethe)

"Werde, der du bist"(Nietzsche)

Sinnsuchender Viktor Frankl mit seiner "Logotherapie":

„Trotzdem Ja zum Leben sagen“ , sein bekanntestes Buch, wie er das Konzentrationslager Auschwitz psychisch überlebte.

Es gibt eine Sehnsucht des Menschen, auch nach dem Sinn des Lebens zu fragen, das Leben verstehen zu wollen und irgendwo eingebunden zu sein. Sein Leitspruch nach Nietzsche gilt auch für Frankl:

„Wer ein Warum zum Leben hat, verträgt fast jedes Wie“.

Denn Lebenssinn kann man nicht auf Rezept verschrieben bekommen. Jeder muss ihn für sein Leben selber suchen. Das Fehlen eines Lebenssinnes sei Ursache psych. Probleme.

"Sinn" nach Frankl kann sein:

a) Für Etwas oder für Jemanden da zu sein oder

b) eine Aufgabe im Leben haben

Stefan Zweig („Fouchet“) hat einmal zum Thema Zäsuren, wie sie auch Hesses Biografie darstellt, gemeint :

„Nur wer um die Tiefen des Lebens weiß, kennt das ganze Leben“

Das Leben dadurch tiefer kennengelernt zu haben, kann für sich allein schon eine neue Sinndimension eröffnet haben.

Unter Sinn verstehen wir, wie der Mensch sein Verhältnis zur Welt deutet. Sinnreflexionen dürften ein Privileg des „homo sapiens“ zumindest nach jetzigem Wissenstand sein. Es liegt in der Freiheit des Menschen, welchen Sinn er seinem Leben gibt. Er kann ihn in mehr in der "materiellen Welt" (Konsumismus) oder "immateriellen Welt"(Bildung, Kultur) oder in "sozialen Engagements" suchen.

Ich persönlich habe ihn primär in der immateriellen Welt und im Gedankenaustausch mit Mitmenschen gefunden. Man kann Sinn auch in der Familie, Gesellschaft (soziale Betätigung), Kultur, Reisen, Abenteuern, den täglichen Erlebnissen, neuen Erkenntnissen zur Befriedigung seiner Neugier in den tausend verschwenderischen Dingen, die uns die Natur zeigt, finden.

Für Lao Tse sind das Beschreiten des Weges und die vielen tausend Dinge, denen wir begegnen, Leben und Sinn. Oft muss man zuerst den falschen Weg gehen, um den richtigen zu finden, wobei in meinen Augen der schwierigste Weg darin liegt:

„Der zu werden, der man ist“ (Nietzsche).

Wer vom „Weg des Lebenssinnes“ aus welchen Gründen immer einmal abgekommen sein sollte, dem empfehle ich eine einfache und trotzdem sehr tiefsinnige Lektüre mit nur 120 Seiten Umfang, eines der am meisten verkauften Bücher der Welt:

„Siddharta“ (Hermann HESSE) :

Eine stichwortartige, persönliche Interpretation dazu:

Hesse war mit indischer und chinesischer Philosophie sehr vertraut und überwindet in seinem „Siddharta Gautama“(= Buddha) den Eurozentrismus und Pietismus seiner Zeit. Das komplexe Gedankengut des Buddhismus wird in einfachster Sprache erklärt, eine Meisterleistung von Hermann Hesse.

Hesse studierte 20 Jahre lang die indische Glaubenswelt und lebte über zwei Jahre in Indien. Er war behüteter Sohn einer gebildeten Missionarsfamilie, dreimal verheiratet und wurde immer wieder von Depressionen und Suizidgedanken gequält:

„Ich möchte hingehen, wie das Abendrot“ schrieb er in seinen verzweifeltsten Stunden.

Sein Gedankengut: "Glück im Diesseits erlangen und nicht auf das vermeintliche! Jenseits warten"

1) Wie für Goethe „Sinn des Lebens das Leben selbst ist“, ist auch für Hesse “Der Weg das Ziel des Lebens“. Der suchende, wandernde Mensch wird dem sich nicht weiterentwickelnden, stehenden Menschen gegenübergestellt („Der Weg ist das Ziel“).

2) Jeder muss seinen eigenen Weg finden und gehen , nicht den Pfad eines anderen einschlagen, wie es ein indisches Sprichwort sagt (auch Vater/Sohn-Trennung).

3) Es gibt keine endgültige Wahrheit, denn jede Wahrheit ist Vereinseitigung, insb. Heilslehren, Dogmatiker, Ideologien sind "reduziertes Denken".

"Wer glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, ist in Wirklichkeit ein Narr".

4) Es gibt keine Zeit. Alles ist gleichzeitig im „Hier und Jetzt".(ZEN-BUDDHISMUS)

5) Nicht Mitleid und Duldung, sondern Liebe zu allem Existierenden ist eine dem Dasein angemessene Haltung.

Siddharta Gautama (= Buddha),

ein behüteter Brahmanensohn bricht von zu Hause aus und geht auf die Wanderschaft durchs wahre Leben, um es kennen zu lernen

„DER WEG IST DAS ZIEL“:

6)Buddhas Wege des Lebens:

1.Station/Fasten, Versenkung, Meditation bei den Samanas; 2.Station/Lehre bei einem Buddha – Erleuchteter kann man nicht durch Lehre, sondern nur durch eigene Erfahrung werden; über die reinen Kindermenschen 3.Station/ Kamalas Liebeskunst - Kurtisane; 4.Station/Kamaswami – der reiche , habgierige Kaufmann; 5.Station/ Seelenkrankheit der Reichen und Habgierigen gekennzeichnet durch Missmut, Habgier, Trägheit, Lieblosigkeit, Ess-Trunk- und Spielsucht. Siddhartas Leben wurde dabei lust-und sinnlos, sodass er es nach vielen Jahren wieder verließ.

6.Station/Rückkehr zum einfachen Leben als Ruderknecht beim Fährmann „Vasudeva“:

“Dem Geheimnis des Flusses lauschen“

(das Wasser fließt und ist gleichzeitig am Ursprung und an der Mündung).

Das Zuhören hat mich der Fluss gelehrt. Viele Menschen überqueren den Fluss. Einige verweilen und schütten ihr Herz aus. Siddharta lernte zuzuhören. Vielen war der Fluss ein Hindernis, nur wenige haben ihm zugehört; das Gefühl für die Vergänglichkeit des Lebens und der Zeit bekommen.

Wiederbegegnung mit der Kurtisane Kamala beim Fährmann, er sah erstmals seinen SOHN, von dessen Existenz er nichts wusste und übernahm ihn, nachdem Kamala an einem Schlangenbiss starb.

Der Sohn wollte die Liebe des Vaters nicht annehmen und verließ ihn wieder mit den Worten:

„Du willst, dass ich werden soll wie du, so fromm, so sanft, so weise. Ich aber will lieber ein Straßenräuber und Mörder werden als so werden wie Du. Ich hasse dich“.

Und dann verließ er seinen Vater, wie einst auch Siddharta selbst seinen Vater verlassen hatte. Die blinde Liebe zu seinem Sohn war eine Leidenschaft, aber auch eine trübe Quelle. Auch diese Liebe wollte gekostet und durch den Schmerz des Abschiedes gebüßt sein.

Loslassen:

Siddharta erkennt dabei, dass er das „Loslassen“ lernen muss.

Gute Ratschläge der Eltern können eigene Erfahrungen der Kinder nicht ersetzen. Ein Vater hat nicht deshalb seine Torheiten begangen, um sie dem Sohn zu ersparen. Behindern Eltern den von der Evolution zur Gründung einer eigenen Familie gewollten Loslösungsprozess (zB. durch übersteigerte Mutterliebe, "Helocopter-Eltern";), führt dies oft zu Persönlichkeits – Fehlentwicklungen beim Jugendlichen.

Jede Seele muss ihren eigenen Weg gehen, so trennen sich die Wege zwischen Eltern und Kind.

„Güte und Heiterkeit ist das höchste und edelste aller Ziele eines Menschen“ (Hesse).

Entgegen aller Managementlehren,

wonach sich der Mensch immer Ziele setzen sollte erkennt Siddharta, "dass der Weise kein Ziel mehr benötigt. Er ist überall angekommen". Denn vom Ziel wird man besessen. Nur wer kein Ziel mehr hat , ist frei und offen für alles. Das ehrgeizige Streben nach einem Ziel macht die Augen blind und man übersieht das Unmittelbare, was sich vor seinen Augen befindet. Wer ständig einem Ziel nachläuft, verpasst sein Leben im „Hier und Jetzt“ (ZEN).

Weisheit:

Wissen kann man mitteilen und lehren, nicht jedoch die Weisheit. Man kann Weisheit nur auf dem Weg des Lebens (Walz, Wanderjahre) finden. Man kann sie leben, von ihr getragen werden, mit ihr Wunder tun aber sagen und lehren kann man die Weisheit nicht.

SIDDHARTA ZU GOVINDA: „ Du weißt, dass ich schon als junger Mann, als ich noch bei den Armen im Wald lebte, den Lehren und Lehrern misstraute und ihnen den Rücken zuwandte. Dennoch habe ich seither viele Lehrer gehabt, Kurtisane, Kaufmann, Buddha, Würfelspieler, Fährmann Vasudeva:

Am meisten habe ich von ihm und vom Fluss gelernt. Fährmann Vasudeva war nur ein einfacher Mensch, kein Denker, aber er wusste das Notwendige. Insofern war er ein Vollkommener. Nicht Lehren, sondern eigene Erfahrungen bringen die Erkenntnis".

Liebe:

„Die Liebe ist der wahre Reichtum des Lebens“.

Allein die Liebe macht selig. Jede Liebe macht uns reicher. Jede Bemühung um Luxus, Reichtum und Besitz macht uns ärmer. Die Welt lieben zu lernen, sie nicht zu verachten. Sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht zu betrachten. Denn alles ist in allem enthalten.

GLÜCK:

IST LIEBE, NICHTS ANDERES. WER LIEBEN KANN, IST GLÜCKLICH.

TUN: „Die Größe liegt nicht im Reden und Denken, sondern im Tun und Leben" (Bodenhaftung!! nicht verlieren).

Nur das Denken, das wir leben hat einen Wert.“

„Treue zu sich selbst und Güte zu den anderen“ (Konfuzius)

„Sich selbst nicht zu ernst und wichtig nehmen“

KINDERSPIEL: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt wie ein Kind. „Loben und fördern statt vernichten“.

LEBEN: „Das Leben ist es wert, gelebt zu werden“

ALTER, SEHNSUCHT NACH STILLE, TOD:

Wenn einer alt geworden ist und das Seine getan hat, steht ihm zu, sich in der Stille mit dem Tod zu befreunden. Nicht bedarf es der Menschen, er hat sie bereits kennen gelernt und er hat ihrer genug gesehen. Wessen er bedarf, ist die innere Stille.

BUDDHISMUS/MONOTHEISTISCHE RELIGIONEN:

"Lasst uns mit Buddha lächeln, anstatt mit monotheistischen Religionen quälen". Nicht irgendein Gott, sondern das Ich und das Einswerden mit sich selbst steht im Mittelpunkt.

MEIN RESUME:

„Siddharta“ ist eines der einfachsten, schönsten und tiefsten aller Bücher, die ich je in meinem Leben (und nach 40 Jahren zum zweiten Mal) gelesen habe. Alles, was im Leben wichtig ist, ist in diesem Buch enthalten in einfacher Sprache.Wer den Sinn dieses Gedichtes “STUFEN” von Hermann HESSE und seine spirituelle Kraft, die in dem Satz: “..und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der und beschützt…” inneliegt, versteht, der hat auch das Leben verstanden!!!!!!!

“STUFEN”

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben!!!.Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,An keinem wie an einer Heimat hängen,Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…Wohlan denn, Herz,nimm Abschied und gesunde!

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Nachtrag eines Kommentars von mir:

"SIDDHARTA":

Wer - wie Hesses Biografie zeigt - vom Leben mehrmals aus der Bahn geworfen wurde, muss sich immer wieder aufs Neue finden. Es geht um Sinnsuche, Zurückfinden in die Balance ("rebalancing";), etc....

Ein weiterer Nobelpreisträger Stefan Zweig meinte, "nur wer auch um die Tiefen des Lebens weiß, kennt das ganze Leben". Erst im Misserfolg lerne man die Wirklichkeit des Lebens, nur Erfolg zu haben macht stumpf.....

Nur das Spannungsfeld zwischen Erfolg und Misserfolg erzeugt jene Energie, die unsere Persönlichkeit weiterentwickelt. Das chinesische "Yin-Yang" Prinzip geht auch von diesen Gegensätze-Polen aus und empfiehlt uns, immer wieder den Weg der Mitte zu finden ("Rebalancing", wenn wir aus der Bahn geworfen werden). Es gibt jedoch auch Menschen, die am Misserfolg hängen bleiben und daran zerbrechen, sich davon nicht mehr loslösen können....

Siddharta hat all diese Erfahrungen auf seiner Wanderung (Armut, Reichtum, Liebe, Hass, Missgunst, Müßigkeit,etc..) gemacht....Die Lebensgeschichte eines Suchenden, der sich dogmatischen Religionen hingibt, sich wieder abwendet, den Bhudda trifft und trotzdem seinen eigenen Weg geht, erfolgreicher Kaufmann wird und dann allem Wohlstand überdrüssig am Ende seines Weges müde beim alten Fährmann Vasudeva am Fluss Unterkunft findet und letztendlich den inneren Frieden bei Vasudeva findet:.......

6.Station/Rückkehr zum einfachen Leben als Ruderknecht beim Fährmann „Vasudeva“, die tieftse und schönste und auch bitterste Passage, als sein Sohn *) sich von ihm abwendete, um auch seinen eigenen Weg zu gehen:....Das Zuhören hat mich der Fluss gelehrt. Viele Menschen überqueren den Fluss. Einige verweilen und schütten ihr Herz aus. Siddharta lernte zuzuhören. Vielen war der Fluss ein Hindernis, nur wenige haben ihm zugehört; das Gefühl für die Vergänglichkeit des Lebens und der Zeit bekommen......

“Dem Geheimnis des Flusses lauschen“...das Wasser fließt und ist gleichzeitig am Ursprung und an der Mündung....sowie alle Lebensstufen damit auch wieder Teil einer Ganzheit und nicht nur isoliert betrachtet werden dürfen......Dieser endlose Fluss, so schaut Siddharta nach und nach, ist immer da, von seiner Quelle bis zu seiner Mündung in das Meer. Sein ganzes Dasein ist nicht in Abschnitte zerteilt, sondern als Ganzes immer da. Siddhartha nimmt den Strom als geistliches Sinnbild für das ganze Leben: Auch dies ist immer da, nicht in Abschnitte zerteilt, wie dies die unbedachten Menschen stets tun und sich um die Abschnitte sorgen und vor dem Ende ängstigen.......Hier schildert Hesse in wunderbaren Gleichnissen und Bildern die Verbundenheit alles Seins, den steten Wandel des Menschen und aller Dinge, die immer wiederkehrenden und doch wieder neuen Lebensformen, die Auflösung der Zeit in der gegenwärtigen Betrachtung, die Stille als Rückkehr zu sich selbst....

*)Der Sohn Siddhartas wollte die Liebe seines Vaters nicht annehmen und verließ ihn wieder mit den Worten:

„Du willst, dass ich werden soll wie du, so fromm, so sanft, so weise. Ich aber will lieber ein Straßenräuber und Mörder werden als so werden wie Du. Ich hasse dich“......

Und dann verließ er seinen Vater, wie einst auch Siddharta selbst seinen Vater verlassen hatte. Die blinde Liebe zu seinem Sohn war eine Leidenschaft, aber auch eine trübe Quelle....Die tiefe Ruhe und Erkenntnis, die er letztlich erlangt, ist für den Leser das Erlösende.....

Wir müssen auch immer unseren eigenen Weg gehen, um "der zu werden, der wir sind"(Nietzsche) und dürfen nicht den Pfad eines anderen einschlagen (=indische Wesiheit).....

Siddhartha entdeckt sich in allen Dingen, im Wasser und in den Steinen, in der Vielfalt des Lebendigen. Er betrachtet die Veränderungen seines Lebensstils und akzeptiert sie als wertvoll und zu ihm gehörig. Nur die wie auch immer geartete Erfahrung kann zur Selbsterkenntnis führen, das ist sein Fazit.....In schöner, einfacher Sprache erzählt Hesse mit vollem Verständnis der indisch religiösen Welt- und Seinsdeutung den Weg von der Suche bis zur Findung und findet den selbsterfüllten Frieden.Erst in der Einsicht, nicht suchen zu müssen, weil immer schon Alles da ist, wie es der große Fluss ihn lehrt, findet Siddhartha den ersehnten Frieden.

Mehr dazu siehe meine "Siddharta-Interpretation":

https://www.fischundfleisch.com/ebgraz/der-weise-benoetigt-kein-ziel-er-ist-ueberall-angekommen-eine-persoenliche-siddharta-interpretation-14475

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