"Journalismusfestival Perugia" - Preisgewinner Martin Riedl/Österreicher über "neuen Journalismus")

http://www.dwdl.de/magazin/55468/gewinnerbeitrag_zur_zukunft_des_journalismus/

Anlässlich des International Journalism Festival in Perugia riefen "Amazon", "La Stampa", "El Pais", "The Times" und "DWDL.de" Nachwuchsjournalisten auf, ein Essay über die Zukunft des Journalismus zu schreiben. Aus der deutschsprachigen Region hat sich der Österreicher Martin Riedl durchgesetzt, der Kulturwissenschaften und Pädagogik an der Humboldt-Universität Berlin studiert................Kaum eine Profession wird in ähnlichem Maße über ihre kontinuierliche Veränderung definiert wie Journalismus: Eine Branche im Wandel, stets beschäftigt mit der Bewältigung ihrer eigenen Existenzkrise, gehetzt und getrieben durch den Fortschritt technologischer Entwicklung................Was ist (digitaler) Journalismus, und was muss er leisten? Wem ist Journalismus verpflichtet – denjenigen, die dafür zahlen, jenen, die ihn konsumieren, oder der Gesellschaft als Ganzes?............Nicht ohne Grund werden unabhängige Medien als ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften angesehen, und oft als sogenannte "meritorische Güter" verstanden, also Güter, bei denen sich die Gesellschaft darauf geeinigt hat, dass diese rein marktwirtschaftlich organisiert nicht in ausreichendem Maße nachgefragt und produziert würden, und die deshalb besonders förderungswürdig sind...........

1) Das Ende klassischer Massenmedien:

Es ist an der Zeit, Leser direkt nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu fragen. Dies bedeutet nicht, die eigene journalistische Integrität marktwirtschaftlichen Prozessen zu unterwerfen. Es bedeutet vielmehr, das eigene Berichterstattungs-Portfolio stärker auszudifferenzieren, Nischen zu identifizieren und zu bedienen...................

2) Entkoppelung von Journalismus und Plattformen:

Als Verleger muss man sich endgültig vom Gedanken zentraler Nachrichtenplattformen verabschieden, und auch davon, kontrollieren zu können, wie und wo ein Nutzer Nachrichten konsumiert. Unternehmungen wie medium.com oder reported.ly zeigen, wie journalistische Berichterstattung jenseits traditioneller Plattformen bestehen kann. Verlage können den Kontrollverlust in der Plattformfrage akzeptieren, solange sie zugleich darauf "achten, dass Werbung und Inhalt nicht entbündelt werde", bzw. "entbündelter Content nur kostenpflichtig" abgegeben wird.

Nicht ohne Grund können Verleger mittels "Instant Articles" ihre Nachrichten nicht nur direkt auf Facebook hochladen, sondern sie kontrollieren dabei auch selbst, welche Werbung beigepackt werden soll. Nachrichten müssen plattformunabhängig gedacht werden, und so auch plattformunabhängig konsumierbar und monetarisierbar sein...................

3) Die Wiederentdeckung des Lokaljournalismus:

Einsparungen führen dazu, dass Redaktionen ausgedünnt werden, Overhead-Redaktionen plötzlich für mehrere Lokalblätter die nationale Berichterstattung übernehmen, und agenturgetriebener Journalismus zur Homogenisierung der Medienlandschaft und zu einer Verflachung des Informationsangebots beiträgt. In digitalem Lokaljournalismus liegt Mehrwert für spezifische, klar umrissene Zielgruppen – und Medienunternehmen können ihre lokale Expertise unter Beweis stellen...................

4) Read the comments!

Dem Nutzer auf Augenhöhe zu begegnen heißt, sinnvolle Umgangsformen zwischen Journalisten und Nachrichtenkonsumenten zu entwickeln. Hier ist Journalismus in der Verantwortung, seiner gesellschaftlichen Aufgabe im Sinne von audiatur et altera pars (auch den Leser anzuhören) nachzukommen, also einen ausgewogenen Dialog zu schaffen, der, auch bezogen auf Nachrichtenkommentare, beide Seiten der Medaille darstellt. Das journalistische Mantra „Don’t read the comments“, oder gar das generelle Abschalten der Kommentarfunktion, vielfach Hasspostings in Kommentarforen geschuldet, kann langfristig nicht die Frage lösen, wie zivilgesellschaftlicher Austausch im Internet funktionieren soll. Journalisten werden eine maßgebliche Rolle dabei spielen müssen, diesen Diskurs mitzugestalten....................

5)Partizipative Formate für alle Anspruchsgruppen entwickeln: Kommentare dürfen nicht das Ende der Angebotspalette journalistischen Austauschs mit und zwischen Nutzern sein. Nicht jeder, der seine Meinung zu einem Artikel kundtun will, will auch einen Kommentar verfassen. Eine wesentliche journalistische Aufgabe wird es deshalb sein, partizipative Formate der Nutzerbeteiligung zu entwickeln, die unterschiedliche Grade des Involvements bedienen. Neben Kommentaren muss es dabei auch Platz für niederschwelligere Formen der Beteiligung geben – beispielsweise Abstimmungen, Themenvorschläge durch Nutzer, verschiedene Arten der Artikelbewertung, oder gar one-to-one Individualkommunikation zwischen Nachrichtenanbietern und Nutzern................

6)Ein professioneller Journalismus des Zuhörens:

Es werden wohl weiterhin professionelle journalistische Akteure sein, die den Großteil journalistischer Angebote herstellen. Jedoch ist anzunehmen, dass im Journalismus der Zukunft vor allem diejenigen reüssieren, die inmitten traditioneller Berufsroutinen und –normen ein neues Selbstverständnis entwickeln: zuallererst den Lesern verpflichtet zu sein, und diesen nicht nur zuzuhören, sondern sie mit ihren Wünschen, Ängsten und Hoffnungen auch kennenzulernen. Ein Journalismus des Zuhörens und Moderierens hat gute Chancen, inmitten der Vielzahl an Stimmen im digitalen Raum Klarheit, Aufklärung und Orientierung zu schaffen.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.04.2016 08:14:42

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