Stehen wir bald vor einer neuen ökonomischen Zeitenwende?

Stehen wir bald vor einer neuen Zeitenwende? Es wird kein ewiges Wachstum mehr geben können und menschliche Verhaltensänderungen bleiben unausweichlich. Unausweichlich bleiben auch neue faire Regelungen bei der unvermeidlichen Umverteilung nach unten bzw. einem Wachstums-Downsizing. Nicht nur die materielle Armut in der Welt und auch bei uns, sondern auch die immaterielle Armut der Einsamkeit alter Menschen wächst. Viele Jugendliche in prekären Arbeitsverhältnissen verspüren große Zukunftsangst. Sprechen Sie mit ihnen. Kooperatives Verhalten statt Egoismus muss einer der neuen Lösungswege sein. Neben der hohen Jugendarbeitslosigkeit in einigen EU-Ländern wird auch die digitale Revolution wesentlich mehr Jobs vernichten, als neue “Data Scientistic” – Jobs schaffen.

Die „Soziale Marktwirtschaft“ in Zeiten des Erhard’schen Wirtschaftwunders (60er-Jahre) wurde spätestens in den 70er-Jahren krisenanfällig und die Liberalisierung und Deregulierung der Märkte brachte wiederum eine Wirtschaftsbelebung (Reagan, Thatcher).

Reagan und Thatcher haben auf Basis der Chicagoer Schule (Mieses, Hajek, etc… auch „The Austrians“ genannt) eine angebotsorientierte, neoliberale Wirtschaftpolitik ökonomisch erfolgreich in den 80er-Jahren eingeführt. Den Spitzensteuersatz der ESt von 70% senkte Reagan auf 33% mit natürlich negativen Auswirkungen auf Steueraufkommen und Sozialpolitik. "Freihandel" und "Deregulierung" haben den Welthandel sehr belebt und zum Wohlstand beigetragen.

Die Finanzmarktderegulierung wurde jedoch im neuen Jahrtausend zu weit getrieben. Folge war die Finanzkrise 2008 und sie demaskierte auch das wahre Gesicht des Kapitalismus (Bilanzfälschungsskandale, Steuerparadiese, unverschämt hohe Boni, Finanzmarktkriminalität, Liborskandal, Devisenkursmanipulationen, Geldwäscheskandale, Wildwuchs narzisstischer Managerpersönlichkeiten, etc..) .

Bezeichnungen wie Casinokapitalismus, Heuschreckenkapitalismus, Turbokapitalismus, etc… tauchten auf und waren nicht unberechtigt. Finanzgeschäfte (insb. Derivate) dienten überwiegend nicht mehr der Realwirtschaft, sondern 1:10 nur mehr der Spekulation.

Man hat gesehen, dass ein Markt ohne Regulierung die Finanzkriminalität fördert. Aus ethischer Sicht kann ein Markt „per se“ nie gerecht sein, es bedarf daher politischer Korrektive/INterventionen, um zu einem „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ zu gelangen.

Empirische Untersuchungen haben überdies gezeigt, dass die massiv sich öffnende Einkommensschere zu starken Wachstumsverlusten wegen der damit verbundenen Nachfrageausfälle geführt hat.

Piketty:

Die Ursache dieser Einkommensungleichheit hat Piketty in seinem Bestseller „Kapital“ nachgewiesen und seine Thesen blieben sogar von der Financial Times weitgehend unwidersprochen. Demnach wachsen die Rendite der Kapital- und Vermögenseinkommen dreimal so schnell im Vergleich zu den Lohn/Leistungseinkommen. 10% der Bevölkerung besitzen beinahe 70% des Volksvermögens und der politisch stabilisierende Mittelstand beginnt massiv abzubröseln, insgesamt also nur wenige Gewinner, jedoch viel mehr Verlierer. Die strukturelle Ungleichheit der Einkommens- oder Vermögensverteilung nimmt im Kapitalismus besorgniserregend zu. Schauen Sie sich die oft prekären Verhältnisse junger Menschen an, soferne sie nicht zu jener Minderheit gehören, die vom Beruf „Erbe“ sind.

Wirtschaftstheorien verändern die Wirtschaftsrealität, schrankenlose Deregulierung und auch der Glaube an die sich „selbst regulierenden Marktkräfte“ (A.Smith) hat sich für falsch erwiesen, denn massive Interventionen des Staates und der Notenbanken waren erforderlich zur Vermeidung eines Crash.

Es gibt also keine „invisible hands“ und das „homo oeconomicus" – Dogma des immer rational agierenden Menschen/Marktteilnehmers ist infolge der Erkenntnisse der Verhaltensökonomie (behaviourial economy) längst überholt . Die Realität hat alles widerlegt. Zum Marktversagen haben zB. auch die verrückten Casino-Formeln von "Black-Scholes" mitbeigetragen, wofür er sogar einen Nobelpreis erhielt.

Der Zeitgeist beginnt sich langsam, leider nur viel zu langsam zu verändern. Die Verteilungspolitik muss völlig neu gestaltet werden. Die “Freie Marktwirtschaft” hat das Wort „sozial“ verloren. Wir müssen auch das rechte Maß wiederum finden, denn es kann nicht eine Minderheit unermesslichen Reichtum auftürmen und die große Zahl der Verlierer darf sich dafür noch als Neidgesellschaft beschimpfen lassen.

Die Politik der OECD oder des IWF beginnt nur sehr langsam zu begreifen, dass eine stärkere Umverteilung zu ärmeren Bevölkerungsschichten höchst an der Zeit ist und auch das Deutsche Verfassungsgericht hat in einem Erkenntnis zu einer umverteilungsgerechteren Erbschaftssteuer aufgerufen.

Die Ökonomie und ihre Professorenschaft scheint auf der Suche nach neuen, wirtschaftspolitischen Paradigmen völlig!!! überfordert zu sein und sie haben schrecklich Angst um ihre Besitzstände und auch, dass man ihre realitätsfremde Wirtschaftsmathematik bloßstellt .

Zur Finanzkrise meinte die englische Queen zu den Professoren anläßlich eines Besuches bei der „London School of Economics“ (LSE) sich über sie lustig machend:

„Why didn’t anybody foresee this“. Sofort fiel den Professoren keine Antwort ein, die sie nach langem Nachgdenken später in einem Brief an die Königin nachholten:

"Es habe sich um Versagen der kollektiven Vorstellungskraft vieler kluger Menschen im Land und weltweit gehandelt” :).

Die universitären Institutionen haben sich die ganze Finanzkrise hindurch durch vornehmes Schweigen ausgezeichnet, weil sie keine Ideen und Rezepte anbieten konnten.

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dohle

dohle bewertete diesen Eintrag 01.03.2016 10:51:52

Erkrath

Erkrath bewertete diesen Eintrag 01.03.2016 09:23:13

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