"Tribalisierte" versus "offene Gesellschaft" (i.S.Poppers)

Der Grazer Migrantenpfarrer - ein Lichtblick in der katholischen Priesterszene - hat kürzlich in einem Vortrag den "Verlust der Lebensfreude" infolge der wiederum zunehmenden Tribalisierung unserer Gesellschaft angesprochen. Damit einhergehend den Verlust an Fehlertoleranz den Mitmenschen gegenüber, legistische Regulierungswut und die wachsende "Law&Order"-Mentalität auch bei uns, die unserer individuelle Freiheit immer stärker einengen.

Dabei will ich nicht das medial dzt. ohnedies überstrapazierte Flüchtlingsthema als Beispiel heranziehen, sondern tribalisiertes Verhalten hinuntergebrochen auf Nachbarn und Mitmenschen. Unsere Gesellschaft scheint sich von der "offenen Gesellschaft" im Popper'schen Sinn langsam wieder wegzubewegen.

Der Pendelschlag der 68-er Generation in eine u.a. von "Werterelativismus" und "gesellschaftlichen Pluralismus" geprägten Gesellschaft scheint sich wiederum in die Gegenrichtung zu bewegen. Unser archaisches Stammhirn mit seinem limbischen System der Emotionen und Triebe scheint wieder die Oberhand zu gewinnen. Tribalisierte Identitätsabgrenzungen haben Intoleranz dem anderen gegenüber zur Folge.

Populistische Medien, wie "KRONE" oder "ÖSTERREICH" heizen diesearchaischen Trieb-Emotionen bei den Lesern noch an und machen damit ein Geschäftsmodell. Tribalismus fördert das Vertraute, fördert den Populismus, fördert Rituale und Religionen als Identitätsstifter,grenzt fremde Eindringlinge aus.

Daszärtere Pflänzchen "Vernunft" (verortet im evolutionär jüngeren Neokortex unseres Gehirns) mit der Aufgabe,unser Triebverhalten (Futterneid, Agressionstrieb, Selbsterhaltungstrieb, Gier, etc...) in kultiviertere Bahnen zu lenken, scheint nicht immer so einfach und offensichtlich immer weniger zu funktionieren.

Das"neoliberale Wertesystem" hat einen neuen "Sozialdarwinismus" entfacht, auch eineabsolute Herrschaft der Wirtschaft über unsere Gesellschaft. Maximierung des eigenen Vorteils, Profitmaximierung um jeden Preis,was nicht quantifizierbar - also messbar - ist, hat keinen Wert um den Preis der Solidarität und Verantwortung für das Gemeinwohl.

Die "Stoische Philosophie" (griech.Zenon; röm.Seneca, röm. Kaiser "Marc Aurel"Selbstbetrachtungen" - Lieblingsbuch des verstorbenen ExBk. Harald Schmidt stellt die Vernunft in den Vordergrund. Die gebildeten Römer hielten davon mehr und hatten eine größere Affinität zu den Stoikern.

Die stoische Philosophie auf den Punkt gebracht heißt für mich: "Vernunft und Logik sei wichtig für ein gelungenes Leben, schützen vor falschen Urteilen. Emotionales Handeln müsse daher durch die Vernunft kontrolliert werden. Wäge deine Worte und zeige eine großzügige Denkweise, heißt es bei Seneca und "nicht den Tod sollten wir fürchten, sondern nie richtig zu leben begonnen zu haben, zuviel Lebenszeit vergeudet zu haben.

Der Grazer Migrantenpfarrer warnte in seine Botschaft vor den bösen Folgen des Tribalismus in unserer Gesellschaft, das damit verbundene intolerante Verhalten  gegenüber jedem Anderen, nicht nur Migranten.

Man beschwert sich bei jeder kleinsten Abweichung des Anderen, bei jedem kleinsten Fehler trotz vieler eigener Fehler. Man klagt sofort und ist zu keiner Fehlertoleranz anderen gegenüber bereit. Dies führt zu einer Verhärtung und Erkaltung unserer Gesellschaft und raubt eines unserer wertvollsten Güter, unsere "Lebensfreude".

Popper selbst kämpfte für eine "plurale, offene Gesellschaft" Sehr vernünftig hört sich auch seine "Falsibilitätsthese" an, wonach es keine absoluten Wahrheiten und Dogmen gibt. Wir wissen zwar viel, aber nichts sicher und alles kann irgendwann wieder einmal widerlegt werden.

Andre Gide meinte : "Glaube nicht dem, der behauptet im Besitz der Wahrheit zu sein, sondern immer nur dem, der ein Suchender der Wahrheit ist"

Deshalb lehnt Popper auchPlatons Ideen, seinen wahnwitzigen durch die Neuroscience längst widerlegten Dualismus aber auch Hegel und Karl Marx ab, weil sie in der Dialektik als durchaus vernünftiges Denkprinzip jedoch eine vorherbestimmte Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen (dialektischer Materialismus) Abläufe zu erblicken glaubtem.

Deswegen auch Poppers "Positivismusstreit" mit der linken "Frankfurter Schule" (Adorno, Habermas, etc..) , wobei Marx an das gesetzmäßige Ende der Geschichte in der"klassenlosen Gesellschaft" glaubte. Hegel glaubte, der Weltgeist unterliege einer deterministisch gesetzmäßigen Entwicklung. Marx hat Hegel nur "vom Kopf auf die Füße" gestellt.

Popper warnt insb. vor "dogmatischen Erkenntnisquellen", wie sie den Religionen (Heilslehren) meist zu eigen sind. Auch der "homo oeconomicus" oder das "invisible hand - Dogma" der neoklassischen Ökonomie oder der Glaube an die"alles vorherberechenbare, hypertrophe Wirtschaftmathematik", ebenfalls Nonsense. Aus ideologischen Gründen wird jedoch vielfach weiterhin daran festgehalten.

Auf eine wesentliche These Poppers möchte ich noch verweisen, das"Ungewissheitsphänomen" oder "Offenstehungsprinzip der Zukunft". Wir können und müssen dazu beitragen, die Zukunft zu gestalten, können sie jedoch nicht voraussagen - Zukunft ist nicht determiniert.

Als Exbanker hat mich deswegen in der Wertpapierberatung der "Chartismus" immer belustigt, also der Glaube, man könne aus "Chart-Formationen" künftige Aktienkursentwicklungen voraussagen, Esoterik im Bankgeschäft. Nein, die Zukunft bleibt offen und Propheten sind i.d.R. Scharlatane.

Als Exbanker kann ich jedem Anlage-Suchenden nur den Spruch Casanovas empfehlen: "Die beste Kapitalanlage ist das, was man erlebt"

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dohle

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fischundfleisch

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Silvia Jelincic

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