Unsere Bildungspolitik fährt gegen die Wand, alle schauen zu.

In OE1 war heute eine interessante "Von Tag zu Tag" Sendung mit Paul Liessmann, Philosoph, Bildungsxperte und Kritiker der "kompetenzorientierten Unterrichtsmodelles" zu hören. Er mahnt zu mehr Besonnenheit in der Bildungspolitik.

Bildung ist mit Humboldt gesprochen "Die letzte Aufgabe unserer Daseins" und mit Konfuzius gesprochen "verschönert Bildung unser eigenes ICH".

Es geht auch um die Unterscheidung Bildung und Ausbildung (Bieri). Um einen Computer zu bedienen und meine Text ins Internet zu stellen, für diese Fähigkeiten benötige ich eine "Ausbildung". Damit der Text vom Inhalt her anspruchsvoll und kreativ ist, benötige ich üblicherweise auch "Wissen", "Bildung" und auch "Weisheit". Diese drei Fähigkeiten finden im "kompetenzorientierten Unterricht" keine Entsprechung mehr.

Auch "Persönlichkeitsbildung" gehört zur Bildung wie Taktgefühl, Kommunikationsfähigkeiten, Herzensbildung, etc...

Bildung ist die Frage, wie will ich als Mensch mit dieser Welt leben, die Selbstformung, wonach will ich Streben, meine Neugierde über die Welt etwas zu wissen, Zusammenhänge zu verstehen. Was sollte ich von den "großen Hervorbringungen der Menschheit" (Hegel) auf dem Gebiet der Wissenschaft, Kunst, Literatur und Weltreligionen wissen, der bürgerliche Bildungskanon. Wenn ich das alles herausstreiche und Bildung nur auf formale Kompetenzen reduziere, dann hab ich zwar kompetenztrainierte Wesen, aber keine gebildeten Menschen mehr, somit eine verarmte Kultur.

Wollen wir nur mehr den ungebildeten, wenn auch kompetenzorientieren, arbeitsmarktfähigen, ausgebildeten Menschen. Bildung darüber hinaus scheint momentan nicht gefragt zu sein. Ob sich unter der neuen Regierung was ändert, das können wir nur hoffen.

Bei Bewerbungen müssen immer alle als Kompetenz "teamfähig" hineinschreiben,man könnte das schon vordrucken. Warum nicht einmal einen Einzelgänger, der für sich alleine denkt und vielleicht andere Qualitäten hat.

Bildung i.S.Humboldts ist nicht elitär, aber trotzdem ein heißes Thema, weil Bildung auch als Elitekonzept missbraucht werden kann. Dies kritisierte auch Adorno. Bildung soll für alle gelten und gehört zur Selbstverständlichkeit unserer Kultur. Nicht bloß lesen lernen, sondern auch einen Goethe, etc... sich aneignen können zur eigenen Persönlichkeitsbildung.

Herzensbildung, Persönlichkeitsbildung, soziale Sensibilitäten entwickeln, auf unvorhergesehene Situationen angemessen reagieren lernen und nicht in Panik zu verfallen, nicht glauben dass die Welt wieder einmal unter geht, etc.. ..

Ich muss Wissen und Bildung auch tun, anwenden können. Wissen allein ist noch keine Bildung, sondern erst dessen kontextuale Anwendung in Beziehung zu meiner Persönlichkeit. Bildung soll nicht nur ein Problem lösen können, sondern auch mich als Person weiterentwickeln, wie verändert es meine Einstellung zur Welt. Ein gebildeter Mensch macht sich Gedanken darüber, ob im Interesse kapitalistischer Profitmaximierung die Umwelt zerstört werden darf (Beispiel Monsanto).

Bildung ist kein operationalisierbarer, messbarer sondern ein offener Prozess. Es sind Kulturtechniken, um am sozialen Leben angemessen partizipieren zu können.

Bolognaprozess und Wirtschaft wollen alles messbar machen und den Schwerpunkt auf Ausbildung legen. Es muss alles scaliert werden, der Messbarkeits-und Quantifizierungswahn nimmt immer schlimmere Formen an. Laufend ist von Bildungsnotstand die Rede. Besorgniserregend, wenn Rechnen und Schreiben nicht mehr beherrscht werden. Bildung wird an die Wand gedrängt. Schule soll nicht nur auf Ausbildung, sondern auch Persönlichkeitsbildung großen Wert legen im Interesse unserer Gesellschaft.

Man kann weder Bildung noch Kreativität noch Weisheit messen und gerade für innovative Ideen auch in Wirtschaft und insbesondere Digitalökonomie wird man mit kompetenzorientierter Ausbildung alleine nicht weiterkommen. Auch Wissen allein schafft noch keine Bildung, erst die kontextuale Vernüpfung und Anwendbarkeit des lexikalen Wissens und Experimentierfreude.

Es trägt auch nicht zum Glück des Menschen bei, wenn er nur für den materiellen Konsum abgerichtet wird. Philosophie hat für Liessmann die Aufgabe, sich auch in der Öffentlichkeit zu artikulieren und einzubringen.

Aus eigener Wahrnehmung im Bekanntenkreis von Lehrern - selbst Nichtlehrer - habe ich nachstehenden Eindruck gewonnen:

Die Schulbürokratie und ihre Institutionen (Landesschulräte, Ministerien und ganz besonders das BiFie) haben einerseits ein komptenzorientiertes Bildungsprogramm entwickelt, das gegen die Wand fährt, alle schauen zu und andererseits haben sich die Schulinstitutionen mit den Eltern gegen die Lehrer solidarisiert. Das Ergebnis sind frustrierte Lehrer zum Schaden der Zukunft unserer Kinder. Gerade Wissen und Bildung sind der wertvollste Rohstoff für Europa im globalen Umfeld.

Der schweizer Lahrplan 21 hat für Grundschulen im Erstentwurf 4500 Kompetenzen aufgeschlüsselt, die abgearbeitet und abgeprüft werden sollten, völlig hypertroph erstellt von neurotischen Bildungsexperten.

Zur Evaluierung der Schüler müssen Lehrer (zB. Sprachlehrer) komplexe völlig hypertrophe Beurteilungsmatrixen ausfüllen, dass man den Eindruck gewinnt, es handelt sich beim Sprachlehrer um einen Mathematiklehrer. Der Lernstoff wird in hunderte Kompetenzen zergliedert , man unterscheidet Operatoren (analysiere, interpretiere, beschreibe, erkläer = Handlungsanweidungen), Deskriptoren (= , etc.. und muss nach einer komplizierten Beurteilungsmatrix mit 10 Hauptkategorien (Bands genannt), die jeweils wiederum bis zu 10 Unterkategorien (Deskriptoren) aufweisen und bei jeder einzelnen Prüfungsarbeit, Test, etc...zur Bewertung herangezogen werden. Es wird der sich ergebende Zahlenfriedhof aus allen Kategorien noch gewichtet und auf ein neues Beurteilungsblatt zur Berechnung des arithmetischen Mittels übertragen und differenziert nach rezeptiven und produktiven Kompetenzbereichen mit unterschiedlichen Punktevergaben, Scalierungen und Kallibierungen daraus Durchschnittswerte berechnen für die Note.

Auf mich als Nichtlehrer wirkt das alles völlig grotesk und frustriert völlig die Lehrerschaft. Methodenfreiheit wäre wieder gefragt, Mannigfaltigkeit, mehr Freiheit, raus aus diesem wahnsinnigen Korsett. Auf der UNI verzichtet man auf solchen Schwachsinn. Mit der Einführung des "kompetenzorientierten Unterrichtes" darf auch kein Wissen mehr abgefragt werden, sondern nur mehr "formale Kompetenzen" ohne Wissensinhalte.

Schüler werden dadurch mit völlig sinnentleertem Stoff (Kompetenzen statt Inhalte) konfrontiert und sowohl beim Schüler als auch beim Lehrer steigt massiv der Frustpegel.

Auf eine adäquate Weiterbildung der Lehrer, um die Schüler für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten, wird auch aus Kostengründen wenig wertgelegt und die Vortragenden leben überdies meist in ihrer eigenen Welt.

Zu Liessman:

Er bringt demnächst mit Köhlmeier gemeinsam ein neues Buch heraus: "Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist Adam", alle Fragen und Probleme, die Menschen beschäftigen, kommen hier zur Sprache.

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Livia

Livia bewertete diesen Eintrag 20.05.2016 21:17:12

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