Danke für den Hinweis.

Erfurt 1974

Das Ministerium für Staatssicherheit notiert:

„10. 08.: Tätlichkeiten zwischen algerischen, ungarischen (sic!) und Jugendlichen aus Erfurt auf dem Volksfest. In der Folge werden 25 algerische Bürger, die solidarisch (sic!) ihren verletzten Kollegen (2) folgen und sich selbst gegen tätliche Angriffe schützen wollen, von bis zu 300 aufgebrachten jungen Erfurter Bürgern bis in den Bereich des Hauptbahnhofs verfolgt und teilweise zu tätlichen Auseinandersetzungen provoziert.“

Bis zu 300 Jugendliche aus der DDR jagen Algerier und Ungarn durch die Straßen Erfurts. Und das ist erst der Anfang. Am nächsten Abend geht es weiter:

Die Stasi hält fest:

„11.08. In den Abendstunden werden Gruppen algerischer Bürger im Stadtzentrum, die korrekt auftraten, von negativen Erfurter Bürgern provoziert, ohne dass es zu Tätlichkeiten größeren Ausmaßes kommt. Gegen 23.15 Uhr stellte eine Gruppe von Erfurter Bürgern, vorwiegend Jugendliche, zwölf auf dem Weg ins Wohnheim befindliche Algerier vor der Hauptpost. Sicherheitsorgane geleiten die algerischen Bürger ins Hauptpostamt und veranlassen ihren gedeckten Abtransport (Hinterausgang) in Richtung Wohnheim.

Inzwischen ist die Gruppe auf 150 Personen angewachsen; es wird provokatorisch Herausgabe der Algerier verlangt, die man laut Zwischenrufen und Sprechchören ´totschlagen bzw. hängen` will. Ihre Zielsetzung kommt auch darin zum Ausdruck, dass solche Rufe erfolgten wie ´Schlagt die Bullen tot`.

39 weitere Vorfälle bis zum Ende der DDR.

Der Historiker Harry Waibel benennt das, was an diesem und den folgenden Tagen passiert: „Diese Pogrome, die in diesen Tagen im August 1975 stattgefunden haben, waren auch dadurch gekennzeichnet, dass zum ersten Mal in der DDR ein Wohnheim ausländischer Arbeiter gewalttätig angegriffen wurde. Diesen ersten Angriff folgten weitere 39 bis zum Ende der DDR.“

Auch damals wurde Facharbeiter (Vertragsarbeiter) gebraucht.

„Es gab bis zu diesen August 1975 in der DDR einen latenten und einen offenen Rassismus, der sich vorwiegend richtete gegen Arbeiter, die aus den benachbarten Staaten der DDR als Gastarbeiter, aber eben auch als Pendler, aus Polen zum Beispiel, in den Betrieben der DDR gebraucht wurden. Da gab es schon massive rassistische Angriffe in den 60er-Jahren gegenüber Polen, aber auch Ungarn und anderen Menschen, die aus anderen Ländern in die DDR gekommen waren“, sagt Waibel.

„Dieser latente und auch offene Rassismus, der bis dahin in der DDR schon existiert hat, brach in einer Weise aus, die damit zusammenhängt, dass zum ersten Mal eben außereuropäische Arbeiter in die DDR gekommen waren“, sagt Waibel.

Auch damals "Messer"

Im August 1975 kursierten einige Gerüchte in Erfurt

- „Die Algerier sind nicht so sauber. Die Algerier sind lockeren Frauen zugetan. Die Algerier sind nicht arbeitsam.“

- Wir müssen auf die jungen Mädchen achten, denn die Algerier...

- Es gibt Messerstechereien.

- Die Algerier haben jemandem vergewaltigt. Und umgebracht.“

Polizei und Staatssicherheit ermittelten. Keines der behaupteten Verbrechen hat stattgefunden. Doch die Gerüchte wirken.

Wie sehr sich alles gleicht!

„24 Uhr. Im Wohngebiet Nordhäuser Straße, in der Nähe des Wohnheims der algerischen Bürger werden etwa 20 junge Erfurter Bürger mit Stöcken ausgerüstet festgestellt, darunter drei Angehörige der NVA. Gruppe wird aufgelöst.“

Ein 20-jähriger Deutscher gibt bei der Polizei an, von drei Algeriern überfallen worden zu sein. An seinem Unterarm war eine vier Zentimeter lange Schnittwunde. Die Polizei konnte nachweisen, dass er sich die Wunde mittels einer Rasierklinge selbst zugefügt hat. Sein Motiv nach eigener Aussage: „Um gegen die Algerier vorzugehen“.

Wundert noch irgendwen sowas:

1988 führte das Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung im Auftrag der SED eine Untersuchung zum Rechtsradikalismus unter DDR-Jugendlichen durch. Ein Ergebnis: Der Aussage „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ stimmten zwölf Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren zu.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/rassismus-in-der-ddr-das-verdraengte-pogrom-in-erfurt-100.html

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