Vom Glanz zur Verkommenheit: Wie unsere Schriftsprache unsere Gesellschaft entlarvt

Tatsächlich passt es nur allzu gut – betrachtet man unser heutiges Alphabet als abgespecktes Relikt einer einst blühenden Schriftkultur, kann man einem spöttischen Lächeln kaum entgehen. Was einst in den kunstvollen Hieroglyphen der Pharaonen seinen Ausdruck fand, eine Schrift, die voller Magie, Bedeutung und Schönheit strahlte, ist heute zu einer Ansammlung von lahmen Kringeln und Strichen verkommen. Wo früher jede Linie, jeder Schwung und jedes Zeichen eine tiefere Ebene zu offenbaren wusste, findet man in unseren Buchstaben nur noch nüchterne Zweckmäßigkeit und seelenlose Vereinfachung. Unsere sogenannte "Bildung" klammert sich an diese kümmerliche Form – ein Paradebeispiel dafür, wie Schönheit und Tiefe aus Liebe zur Bequemlichkeit weichgespült werden.

Offensichtlich ist diese Degeneration kein Zufall, sondern spiegelt einen kulturellen Trend, der längst auch in unsere Gesellschaft selbst hineingefressen hat. Während die alten Ägypter eine Elite – ja, eine Aristokratie – an der Spitze duldeten, so tat diese nach damaligen Maßstäben zumindest das, was dem Gemeinwohl am dienlichsten erschien. Die Herrschenden empfanden sich als Mittler zwischen Welt und Kosmos, als Träger göttlichen Willens und Garant von Ordnung. Der Pharao wurde nicht für seine Skandale gewählt, sondern weil er – nach Überzeugung seines Volkes – eine höhere Ordnung verkörperte.

Und nun? In unserer degenerierten Gegenwart wählen wir Staatsoberhäupter, die ihre eigenen dunklen Triebe nicht im Zaum halten können, und Politiker, bei denen Korruption eher als unausgesprochene Voraussetzung für ihren Aufstieg gilt denn als Makel. Es scheint fast, als würde das seelenlose, simple Alphabet die Defizite der modernen Zivilisation piktografisch vorwegnehmen: Wo die Zeichen nurmehr Platzhalter für einen dürftigen Sinn sind, werden aus Bürgern Worthülsenproduzenten und aus den Mächtigen bloße Schoßhunde ihrer eigenen Interessen. Selbst schlimmste Vergehen werden verwässert und verharmlost, solange sie an der „richtigen“ Stelle passieren. Die Degeneration der Schrift spiegelt das moralische Niveau der Gesellschaft – geraubt ist nicht nur die künstlerische Tiefe, sondern auch der ethische Anspruch.

Wie beneidenswert mutet da der Glanz alter Hochkulturen an! Wo einst Schönheit, Symbol und Ordnung herrschten, ist heute Oberflächlichkeit, Beliebigkeit und moralische Insolvenz an der Tagesordnung. Aber was will man auch erwarten, wenn man seine Geschichte, seine Kunst und sein Alphabet der Bequemlichkeit opfert? Sind wir nicht einfach ein Produkt der Schrumpfung – kulturgeschichtlich wie gesellschaftlich? Es bleibt – nicht ohne Bitterkeit – die Erkenntnis: Wer seine Schrift verblassen lässt, der verblasst oft auch selbst.

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