Winters Weg: Von der „Schwuchtel“ zum Anti-Rainbow-Warrior

Laidak, Gerhard Richter, Georg Baselitz, Rembrandt, Modulor, Jack Wolfskin, North Face, Christoph Amend, Wolfgang M. Schmitt, Barbour-Jacke, Fred-Perry-Polo, New Balance, Harrington, Magnus Klaue, Der Erreger – bis Seite 20 (dort endet die Leseprobe des XS-Verlags) sind das schon einige der vielen Namen, die in Jens Winters Debütroman „Im langen Sommer geboren“ gedroppt werden, einem Text, in dem „eine Topographie der deutschen Linken im Stadium fortgeschrittenen Zerfalls“, so der Waschzettel, „mit scheinbarer Naivität“ erzählt wird, wobei ich nicht weiß, ob diese Naivität scheinbar oder nicht doch ein Ausdruck von Unvermögen ist. Man liest Sätze (Der Typ, also der Barkeeper, ist so ein mitdreißiger (sic!TS) schlechtrasierter Linker), die von nichts anderem erzählen als von einem Blick auf die Welt, der für alles eine normierende Erklärung parat hält: Der Erzähler kauft ein sehr anständiges Notizbuch, jemand sieht aus wie ein furchtbar anstrengender Kunstmensch und der Platz vor dem „Laidak“ ist übrigens ein ganz schlimmer Platz. 20 Seiten genügten, um mir jegliches Interesse an dem Roman und seiner lustlosen Sprache auszutreiben.

Ob es einen weiteren Roman von Winter geben wird, weiß ich nicht, der Autor hat aber seinen eigenen Weg aus der von fortgeschrittenem Zerfall befallenen Linken gefunden und schreibt nun nicht mehr, wie zuvor, für die jungle World oder die taz, sondern ist bei „nius“ gelandet und berichtet dort über eine niedersächsische Landtagsabgeordnete (AfD), die in der Regenbogenfahne „Machenschaften pädophiler Lobbygruppen“ symbolisiert und Kinder „durch LGBTQ-Propaganda“ gefährdet sieht. Das hat ihr eine Anzeige wegen Volksverhetzung eingebracht – wobei man fragen kann, ob bei jemandem, der von einem „Regenbogenregime“ faselt, nicht eher eine ärztliche Behandlung angebracht wäre. Jens Winter aber nimmt das Urteil vorweg und sieht „wohl (…) zulässige Meinungsäußerung“ vorliegen und konstatiert, die AfDlerin habe zurecht darauf hingewiesen, „dass die Queer-Ideologie durch ihr Heranpirschen an Kinder (…) ein Einfallstor und eine Spielwiese für Pädophile bietet.“ Da Winter keine Indianerromane schreibt, sind es nur Ideologien, die sich heranpirschen, sein Romanheld aber, um auf den zurückzukommen, beklagt im ersten Absatz des Romans, er sei von einer Grupppe Jungen auf der neuköllner Sonnenallee dahingehend beleidigt worden, er sehe aus wie eine Schwuchtel. Queerfeindlichkeit, wenn sie aus einem mutmaßlich migrantischen Milieu herrührt, wird verdientermaßen kritisiert, während die Verschwörungserzählung einer rechtsextremen Politikerin als „zulässige Meinungsäußerung“ verbucht wird.

Wer als Romancier alles gesagt hat, dem wird auf der Rechten ein Plätzchen freigehalten, um seinen Ressentiments Ausdruck zu verleihen. Gestern Klonovsky (nach „Land der Wunder“ kam nichts mehr), heute Winter, von Goebbels („Michael“ ) und Mussolini („Die Mätresse des Kardinals“ ) ganz zu schweigen. Scheitert der Geltungsdrang auf literarischem Gebiet, wird der gegen die Sprache verlorene Kampf anderswo fortgesetzt, sei es gegen die „Queer-Ideologie“ (Winter), sei es gegen „Globalisten“ (Klonovsky), von Mussolini und Goebbels ganz zu schweigen.

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