››Habe Mut ...‹‹ Eine Einmischung

Eine Rede von Jörg Bernig, Sep. 2016

››Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.‹‹ Das sagt Immanuel Kant im Jahr 1784 bei seiner Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Eifelphilosoph https://www.nachrichtenspiegel.de/2016/11/21/hurra-der-faschismus-ist-da-eine-antwort-an-rudolf-augstein/

Da stehen wir nun heute in einer Gegenwart und, sagt der Seismograph, müssen uns entscheiden, ob wir uns bei dem, was in unserem Land geschieht, den Wahlspruch der Aufklärung zu eigen machen oder nicht. Denn zumindest während der letzten zwei Jahre konnten wir beobachten, wie sich in Deutschland zwei Milieus miteinander verbanden, wovon das eine doch ein kontrollierendes Auge auf das andere hätten haben sollen. Das politische Milieu und das die veröffentlichte Meinung hervorbringende und – wie es in der Migrationskrise nur zu deutlich zutage tritt – steuernde journalistische Milieu sind in einer ideologischen Kernschmelze eine Verbindung eingegangen. Machtgeschützt wird dem Volk in einem fort gesagt, was richtig ist, was es zu denken hat bzw. was richtige Gedanken sind. Und dass das Volk sich nicht mehr als Volk, sondern besser als formbare Bevölkerung sehen soll.

Die Selbstherrlichkeit des politischen Milieus konnte sich nicht deutlicher äußern als in der Selbstherrlichkeit einer Bundeskanzlerin, die gleich einem Feudalherrscher agiert und regiert. Insofern unterscheidet sie sich vom Porträt Friedrichs II., das Immanuel Kant in seiner kleinen Schrift Was ist Aufklärung? (1784) entworfen hatte. Dort hieß es über den preußischen König: >Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: räsonnirt, soviel ihr wollt und worüber ihr wollt; aber gehorcht!< Die Stigmatisierung der Kritiker der Migrationspolitik als ›Islamophobe‹ und ›Fremdenfeinde‹ macht allen nur zu deutlich, dass in diesem Land eben nicht, ohne gemaßregelt zu werden, über alles räsoniert werden darf. Und der Befehlston, dass es sich bei allem um eine ›alternativlose‹ Politik handele, sagt nichts anderes als das alte Gehorcht! Am Anfang des 21. Jahrhunderts sieht sich das Volk in Deutschland mit voraufklärerischem Denken konfrontiert und mit Intoleranz gegenüber anderen Meinungen.

Das konzertierte Agieren von Politik und Produzenten der veröffentlichten Meinung im neu entstandenen politisch - medialen Komplex hat zur Folge, dass diese Akteure ein Klima geschaffen haben, in dem die Demokratie selbst angegriffen wird.

Ich sehe die – ja, auch aufklärerischen – Errungenschaften der Revolution von 1989 in Gefahr.

Die Freiheit des Denkens und der Meinung, die Pluralität der Ansichten, die Abwesenheit von Gängelung, die Würde des Einzelnen, die Abwesenheit von staatlich, politisch, medial erzeugter Angst – das waren Traum, Wunsch und Ziel jener Aufständischen (›friedlichen Revolutionäre‹) von 1989. Darin lag so viel verbindende Kraft, dass es gelang, aus dem oppressiven Raum herauszutreten und über die Schwelle ins Offene.

Moral und Hybris

››Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.‹‹ So lautet der vom Bundeskanzler zu leistende Amtseid.

Nicht erst nach den Überfällen auf Frauen zu Silvester in Köln, Düsseldorf, Hamburg und anderen Orten oder – in bitterer Ironie – auf dem Berliner Karneval der Kulturen im Mai 2016 oder den sexuellen Übergriffen auf Frauen, Mädchen und Kinder in Schwimmbädern (wie u.a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. Juli 2016 berichtet) ist zu fragen, ob die Kanzlerin zur Schadensabwehr fähig ist. Denn diese Attacken sind Angriffe auf unser Gemeinwesen. Und sie sind Kennzeichen des Zusammenpralls der Kulturen.

Wer in kulturellen Dimensionen denkt, hat sie vorausgesehen. Der seit 1962 in Deutschland lebende Syrer Bassam Tibi erläutert die von vielen seiner deutschen Gesprächspartner nicht verstandene Gewalt, die Teil der orientalisch - patriarchalischen Kultur ist:

››Im Orient gilt die Frau nicht als Subjekt, sondern als Gegenstand der Ehre des Mannes. Die Schändung einer Frau wird nicht nur als Sexhandlung und Verbrechen an der Frau selbst betrachtet, sondern eher als ein Akt der Demütigung des Mannes, dem sie gehört.‹‹ Tibi fährt fort: ››Die Silvesternacht ist [...] kein Einzelfall, wie uns die Politiker weismachen wollen, um die Bedeutung der Angelegenheit herunterzuspielen.‹‹ In der Tat erfolgte sogleich der Griff nach der terminologischen und inhaltlichen Deutungshoheit. Nachdem die Verheimlichungsversuche der Medien ans Tageslicht gezogen worden waren, beeilte man sich, von einer ›neuen Form der organisierten Kriminalität‹ zu sprechen. Damit schien das, was geschehen war, ex post beherrschbar zu sein. Aber die Überfälle von Köln sollten neben dem, was Bassam Tibi erklärte, nicht zuletzt Angst und Schrecken und Unsicherheit verbreiten. Angst und Schrecken, auch das sind, neben Mord und Zerstörung, Ziele jedweden Terrors. Wenn sich 1.000 arabische Männer organisieren – militärisch gesprochen ist das Bataillonsstärke – und einen derartigen Angriff ausführen, dann ist das nicht mehr mit der Sprachregelung von einer neuen Form der ›organisierten Kriminalität‹ zu fassen, dann macht die Sprachregelung vielmehr deutlich, auf welche Weise die Wahrnehmung von Realitäten verweigert wird. Dass der Angriff in Köln auf den Stufen des Domes erfolgte, ist angesichts des zunehmenden Rückgangs der Bindekraft der christlichen Religion hierzulande für manchen eine Petitesse, aber aus islamistischer Sicht wurde der Angriff in Köln an eine heilige Stätte des Christentums getragen.

Die Angreifer von Köln (und all den anderen Orten) haben die von der Bundeskanzlerin verordnete Grenzöffnung samt dem sie begleitenden Kontrollverlust genutzt und sind ungehindert an ihr Angriffsziel gekommen. Und auch unter den Mördern von Paris, die im November 2015 mit ihrem Terrorakt 130 Menschen töteten, waren einige, die jene Grenzöffnung nutzten, nach Europa einreisten und ungehindert an ihr Angriffsziel gelangten.

Mit ihrer Handlungsweise hatte die deutsche Bundeskanzlerin zudem andere europäische Staaten von Griechenland über Serbien, Kroatien, Slowenien, Ungarn und Österreich gleichsam in Geiselhaft genommen, bzw. sie hat es, den Selbstbehauptungswillen der anderen unterschätzend, versucht. Das massenhafte Hereinwinken von Menschen, die bei weitem nicht alle aus Kriegsgebieten flohen und von denen die wenigsten Frauen und Kinder, sondern in der Mehrheit Männer im wehrfähigen Alter waren, erfolgte mit großer, alles beiseite schiebender moralisierender Gebärde und Hybris. Ideologisiertes Moralisieren stellte sich über vernünftiges Denken. Weite Teile der Medienwelt begrüßten und begrüßen noch immer dieses Vorgehen und haben, was das schöne Bild oder das Bild von den guten, den besseren Deutschen stören könnte, umgebogen, heruntergespielt, verschwiegen. Das Volk, das manches eher wittert als analytisch herleitet und das eben wie das Volk, der ›große Lümmel‹ (Heine), spricht, zuweilen zärtlich, zuweilen grob, prägte angesichts solcher medialer Realität den Terminus von der ›Lügenpresse‹. Der Philosoph Peter Sloterdijk korrigiert das in einem Gespräch mit der Zeitschrift Cicero (Februarausgabe 2016), und sagt: ››Das Wort ›Lügenpresse‹ setzt mehr Harmlosigkeit voraus, als es in diesem Metier gibt.‹‹ Er spricht davon, dass der ››Lügenäther‹‹ so dicht sei ››wie seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr.‹‹ Und die Politik nennt er gar die ››wahrheitslose Sphäre‹‹.

Wer sich den von Politik und Medien kollektiv produzierten Bildern, Sprachregelungen und Meinungen nicht anschloss und anschließt, dem schlagen, um noch einmal Sloterdijk heranzuziehen, ››Abweichungshass und Denunziationsbereitschaft‹‹ entgegen, dem wird mangelnde Moral, wenn nicht gar Fremdenfeindlichkeit und ›rechtes Denken‹ unterstellt, was in Deutschland sofort zur gesellschaftlichen Exkommunizierung führt. Betrifft das auch den Dalai Lama, der sagte, dass Deutschland kein arabisches Land werden könne und dass die Flüchtlinge nur vorübergehend aufgenommen werden sollten? Ist er ein islamophober Fremdenfeind, wenn er sagt, dass es ››das Ziel sein [sollte], dass sie zurückkehren und beim Wiederaufbau ihrer eigenen Länder mithelfen‹‹?

Ist es nicht unmoralisch, wenn die Bundesregierung in entfernten Weltgegenden vorgaukelte, Deutschland sei das Paradies, das jeden Beladenen versorgen könne, wenn er es denn bis Deutschland schaffen sollte? Ist es nicht unmoralisch, dass die Bundesregierung Waffenlieferungen nach Saudi Arabien befördert, anstatt die größte arabische Macht dazu zu drängen, sich um die Krise und um die Migranten in der arabischen Welt zu kümmern, was auch heißt, sie im eigenen Kulturkreis aufzunehmen und sie nicht für einen Export des Islam nach Europa zu verwenden?

Und welcher Moral folgt die Bundesregierung, wenn sie die europäischen Partner unter Druck setzt und maßregelt? Kroaten, Mazedonier, Österreicher und Ungarn haben aber eine Grenzsicherung etabliert, von der vor allem Deutschland profitiert. Für diese Grenzsicherung wurden sie jedoch wie Verräter behandelt.

Die Bundesregierung entlarvt sich als Akteurin der alten EU oder ›des Westens‹ und stößt ›den Osten‹ vor den Kopf und spaltet damit Europa. Die Systemverantwortlichen der Bundesrepublik agierten stets auf der Basis einer von ihnen selbst verkündeten Moral. Sie begegneten dem Migrationsproblem nicht mit der bitter notwendigen Vernunft. Erregtes Moralisieren stand und steht gegen Ratio; das ist ein Rückschritt hinter aufklärerisches Denken. Die Moralisierenden müssen zu jeder Erkenntnis und zu jeder Fehlerkorrektur gedrängt werden. Es geht hier und heute um eine Verteidigung der Aufklärung.

Aber die bundesdeutsche Hybris erlebte lange nicht mehr so viel Auftrieb wie jetzt. Längst vergangen und überwunden Geglaubtes hat in den Reihen der momentanen Berliner Regierung wieder Fuß gefasst.

Und ein Teil der Gesellschaft gefällt sich überdies darin, moralisch endlich über den anderen Europäern zu stehen und, mit einiger Militanz, den guten Deutschen zu mimen. Aber damit wird kein einziges deutsches Verbrechen der Vergangenheit gesühnt.

Abweichungshass und Denunziationsbereitschaft sind – wenn überhaupt – nur unter einer sehr dünnen schützenden Schicht von Zivilisation verborgen. Dennoch oder gerade deswegen sei unsere Liturgie: ››Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. [...] Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‹‹

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