Landesarchiv Baden-Württemberg https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/bild_explorer/index.php?bestand=5546&klassi=&klassis=&ausgangspunkt=

Erinnert sich noch jemand, was vor zwanzig Jahren war? Genau: Sonntag, der 27. September 1998. Es war Bundestagswahl. Es passierte etwas, das für unsere ganze Generation Kohlkinder als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene kaum vorstellbar war: Helmut Kohl wurde abgewählt. Für uns war der König von Deutschland nicht Rio Reiser, sondern Bundeskanzlerkohl. Ein Wort: Bundeskanzlerkohl. Doch an diesem Abend ist die Bundesbirne aus dem Palais Schaumburg ins Haus der Geschichte umgezogen.

Eine neue rot-grüne Bundesregierung sollte den ewigen Kanzler ablösen. Der Mann, der im Mittelpunkt der Witze auf den Schulhöfen der Bonner Republik stand, war weg. Und das war auch der zentrale Wahlkampfslogan von SPD und Grünen im Jahr 1998: Kohl muß weg. Mehr war da nicht. Es gab keine überzeugenden Gründe, wieso Gerhard Schröder als Bundeskanzler der richtige Mann sein sollte. Und warum der einstige Steineschmeißer Joschka Fischer – damals war Bullenklatschen noch verpönt – auf einmal Bundesaußenminister geworden ist, wußte wohl auch niemand. Aber Kohl mußte weg.

Heute sieht die Welt anders aus. Wer auf den Rathausplätzen der BRD die Ablösung der Bundeskanzlerin fordert, gehört schneller zu den geächteten der Gesellschaft, als man denkt. Die Hamburger Demo-Organisatorin Uta Ogilvie mußte sogar mit Angriffen auf ihren Wohnsitz und ihre Familie leben. Wer den Rücktritt der Bundeskanzlerin fordert, der kriegt es ruckzuck mit semistaatlichen Schlägertrupps zu tun, die man heute Antifa nennt.

Unter Kohl war die BRD weniger autoritär

Wer heute bei Facebook die gleichen Witze postet, die früher offen über die Bundesbirne erzählt worden sind, der hat Glück, wenn er nur von seinen Freunden zurecktgewiesen wird und braucht sich nicht zu wundern, wenn eine mehrtätige Accountsperrung folgt. In der DDR gab es den Begriff des politischen „Drei-Achtel-Witzes“: Drei Jahre für den, der den Witz über das SED-Regime erzählt und acht Monate für jeden, der lacht.

lachschon.de https://www.lachschon.de/item/165795-AllesBerechnung/

In der Kneipe fragte jemand einen Mann: „Was ist der Unterschied zwischen Erich Honecker und meinem Bier? Mein Bier ist flüssig, Erich Honecker ist überflüssig.“ Der andere antwortete in diesem klassischen DDR-Witz: „Und was ist der Unterschied zwischen Ihnen und Ihrem Bier? Ihr Bier bleibt hier, Sie kommen mit.“

Nein, es ist im Jahr 13 von Merkel längst nicht so kraß wie in der frühen DDR, wir wollen das auch gar nicht behaupten. Tatsache ist aber, daß die heutige BRD deutlich weniger freiheitlich ist als die rheinische Teilrepublik es einst war. Daß Politik kontrovers und emotional diskutiert wird, ist heute nicht mehr üblich. Zuletzt gab es 2002 große Debatten darüber, ob Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber der bessere Bundeskanzler ist. Doch auch das ist 16 Jahre her.

DDR-Staatsrecht und BRD-Narrativ

In der DDR gab es staatsrechtlich verankert einen alleinigen Regierungsanspruch der SED. Darüber hinaus gab es einen Parteienblock gegen den Faschismus, der diesen Regierungsanspruch akzeptiert und unterstützt hat. Das ist in der heutigen BRD de jure, aber nicht de facto anders. Was in Ost-Berlin Staatsrecht war, ist heute das politisch-mediale Narrativ.

rechtsvorlinks https://rechtsvorlinks.wordpress.com/tag/erich-honecker/

Niemand wagt es ernsthaft, den Kanzlerschaftsanspruch von Angela Merkel in Frage zu stellen. Auch die SPD hat ja keine realistischen Chancen, wie 1998, für eine demokratische Abwahl der Bundeskanzlerin zu sorgen. Und der #Schulzzug war ja auch eher eine Groteske am Rande. Es geht also allenfalls um die Frage, wer mit der CDU (und der CSU) in die Koalition geht: FDP und Grüne oder doch die SPD? Vielleicht sogar die Linkspartei?

Und was haben wir letzten Herbst nicht hören müssen, als die FDP es auf einmal abgelehnt hat, mit CDU, CSU und Grünen in eine Regierung einzutreten. „Die rechteste FDP seit 1968“ hieß es. Christian Lindner führe die FDP „nach rechts“. Das ist natürlich völlig absurd, im Gegenteil: Die FDP ist eine 08/15-Mainstream-Partei mit sich ständig ändernden politischen Positionen. Aber wer nicht mit Frau Merkel regieren will, der sieht sich unweigerlich diesem Vorwurf ausgesetzt.

Faschismus und Rechtspopulismus

Ja, die Begrifflichkeit hat sich leicht verschoben. In der DDR sprach man immer von „Faschismus“ als das vermeintliche Feindbild. Aus verständlichen Gründen vermied das Honecker-Regime den Begriff Nationalsozialismus. Heute sagt man stattdessen „rechtspopulistisch“, gemeint ist aber das gleiche. Wie in der DDR wird alles, was der (faktischen) Staatsräson widerspricht, in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt.

Der Spiegel / Screenshot http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13683714.html

Es ist das, was der französische Philosoph Renaud Camus die „zweite Karriere von Adolf Hitler“ nennt. Ein Buch, das leider (noch?) nicht auf deutsch verfügbar ist; vielleicht kann der Kopp-Verlag ein wenig nachhelfen? Wer die absurde Eurorettungspolitik für falsch hält, sich über die eskalierenden Targetsalden Gedanken macht oder die Einwanderungspolitik versucht, auch nur rational zu betrachten, der gilt als rechtspopulistisch. Aus Politik als kontroverses Diskussionsthema wird ein autoritärer Meinungsmainstream.

Für die real existierende Gesellschaft in der BRD heißt es zwanzig Jahre nach dem Ende von Bundeskanzlerkohl: Das Land ist autoritärer. Was früher ganz normal war, ist heute gesellschaftlich oft geächtet. Vom deutschen Volk, von Landsleuten oder dem deutschen Vaterland, Begrifflichkeiten, die bei Helmut Kohl üblich waren, spricht heute niemand mehr. Was regiert ist das geistige Erbe der 68er-Revolte in Form einer engen Gemeinschaft zwischen der Bundeskanzlerin und ihren semioffiziellen Verkündigungsorganen. Damit sich das ändert rufen wir hier frei heraus, wie die SPD vor über zwanzig Jahren: #MerkelMussWeg!

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