"Das hatten wir schon einmal und da ist nichts Gutes dabei herausgekommen!", "Das erinnert mich an düstere Zeiten" "Wie vor siebzig Jahren", "Nazis", all dies sind heutzutage Standardfloskeln, wenn eine politische Diskussion ansteht. Von Linken wie Rechten wird dieser bequeme Meinungsverstärker mit Freuden genutzt, stellt er doch den Gegner in die Nähe mit dem Musterknaben unter den totalitären Diktaturen. Da wird jedes Beharren auf nationalstaatlicher Souveränität als "faschistischer Nationalismus" von links abgestempelt und jeder, der keinen Todesstreifen am Brenner möchte, mit dem Prädikat "Linksfaschisten" von rechts versehen. Immer wieder, und wieder, und wieder, und wieder wird die Phrase gedroschen, bis sie vollkommen abgenutzt ist.

Historische Psychose

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Den Gegner mit den Nazis zu vergleichen ist das größte Kaliber im Arsenal einer jeden Seite des politischen Grabenkrieges, der derzeit stattfindet. Es ist eine Allzweckwaffe, vor der niemand sicher ist, unabhängig davon, wo er sich auf dem politischen Spektrum angesiedelt hat. Und doch ist es gleichzeitig jene, die am häufigsten zum Einsatz kommt. Das ist für die Diskussionskultur der größte anzunehmende Unfall; wer jeden Tag mit Maßanzug auf der Straße unterwegs ist, hat bei wirklich angemessenen Anlässen keine Steigerung mehr zur Verfügung.

Die Deutschen und auch die Österreicher leiden unter Hitler und seinen Schergen auch heute, 71 Jahre nach Ende der NS-Herrschaft, wie andere unter einer chronischen Migräne. Die historische Psychose der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der die Zeitzeugen nichts von den zwölf oder sieben Jahren wissen wollten, "nur Befehle ausführten" und "nur Mitläufer waren", hat sich mit dem Umschlagen der Meinungshoheit vom bürgerlich-konservativen auf das links-liberale Milieu in eine nicht minder schlimme Form verwandelt - die der nationalen Selbstgeißelung, dem Verleugnen des eigenen Staates, erwachsen aus einer Wohlstandsgeneration, deren eigene Moral nie im Angesicht eines allumfassenden totalitären Unrechtsstaates geprüft wurde.

Interessant wird es dann, wenn die "Nazi-Keule" auf den Ex-Ostblock angewandt wird - in diesen Staaten ist die Erinnerung an die Diktatur noch deutlich lebhafter, denn mehr als vierzig Jahre sozialistische Fremdherrschaft haben nicht nur wirtschaftlich ihre Spuren hinterlassen. Politische Bewegungen, welche jenseits des ehemaligen eisernen Vorhangs unmöglich wären, haben hier Hochkonjunktur. Es drängt sich die Frage auf, ob wir vom hohen Ross der reichen westlich geprägten Demokratien so hart über jene Staaten, allen voran die Visegrad-Mitglieder, urteilen sollten, denn eine Mentalität, die den Nettoempfängerstatus jener Länder innerhalb der EU mit der Verpflichtung gleichsetzt, jedes Dekret aus Brüssel ohne einen Mucks sklavisch umzusetzen, schadet letztendlich ebenfalls nur, und zementiert "die Mauer in den Köpfen. Wer westeuropäische Denkschablonen ohne Änderung auf den Osten überträgt, macht es falsch.

Und das Pendel schwingt weiter....

Es jährt sich die bedingunglose Kapitulation der deutschen Wehrmacht zum 71. Mal. Anlass zum Freudenfest auf dem Heldenplatz in Wien, denn da war das demokratische Österreich wiedergeboren. Dass die vier Siegermächte dies nicht aus Menschenfreundlichkeit taten, bleibt auf der Strecke, denn beide Machthemisphären hatten primär Interesse daran, ihren Machtblock zu festigen, Stalins UdSSR natürlich ein wenig mehr als der Westen. Erst nach dem Tod des Genannten und geschickten Verhandlungen schaffte Österreich unter dem Vorbehalt der Neutralität, dem Schicksal des geteilten Deutschlands zu entgehen, wobei auch hier beiden Blöcken eher daran gelegen war, Österreich als Faktor an der Frontlinie des kalten Krieges im wahrsten Wortsinn zu "neutralisieren". Wirklich befreit wurde Österreich dann mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages - der bis heute als Feiertag gilt und an dem ich auch gerne ein Seiterl trinke.

Bis das Pendel seinen Ruhezustand findet und ein differenziertes Geschichtsbild, das weder nach dem "Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts"-Prinzip noch von chronischem Selbsthass lebt, aufkommt, wird es wohl noch eine Weile dauern. Allerdings kann man selbst seinen Teil dazu beitragen - und dem Diskussionspartner gegenüber, so unliebsam er auch ist, den Hitlervergleich einfach sein lassen.

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baur peter

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