Ein Freund ging nach Amerika – Wiedergabe der Betrachtungen eines in den USA lebenden Österreichers

Über Vote-Swapping, tote Wähler, den „FPÖ-Effekt“ in den USA und andere Dinge, von denen wir hier zu wenig wissen.

Einen sehr guten Bekannten aus Graz, der schon seit Jahrzehnten in den USA lebt und arbeitet, befrage ich immer wieder, wenn ich einen seriösen Überblick zu Themen in den USA haben will.

Zum Thema Präsidentenwahl entspann sich folgende Konversation, die ich mit ausdrücklichem Einverständnis meines Gesprächspartners hier wiedergebe, allerdings ohne identifizierende Merkmale und Namensnennung, da er nicht in die politische Diskussion hineingezogen werden möchte.

Den Beitrag bringe ich deshalb, weil ich glaube, dass er gut den Eindruck (genauer: einen, also streng subjektiv, ohne statistische Untersuchungen) wiedergibt, den Leute außerhalb des Journalismus oder der professionellen Beobachterwelt (auch) gewinnen können.

Dem Wunsch meines Bekannten, seine Aussagen ein wenig auf Tippfehler abzuklopfen und die ersten Anflüge von Schwarzenegger-Deutsch (meine Worte, sorry N.N.) zu beseitigen, komme ich gerne nach, auch wenn es aus Zeitgründen sicher kein perfektes Lektorat ist. Die Untermauerung seiner Aussagen mit Quellenangaben und Verlinkungen schaffe ich leider zeitlich nicht.

Ausgangspunkt war eine Unterhaltung von vor ein paar Wochen, in der er Trump sehr gute Chancen auf den Sieg eingeräumt hat – und eine entsprechende Nachfrage von mir am Montag nach der 2. TV-Konfrontation, aber lesen Sie bitte selbst:

Franz Strohmeier an N.N:

Hallo, bitte um deine Einschätzung nach den letzten Tagen: Glaubst du immer noch, dass Trump es schafft? Ich habe ja das Gefühl, dass die "Preiselastizität der Nachfrage" nach Trump ziemlich bei 0 liegt, sprich, die veröffentlichte Meinung von der in den Wahlzellen ziemlich abweicht?!

N.N. an Franz Strohmeier:

Hallo Franz, ja es wird hier spannend. Hier meine Einschätzung, du kannst sie gerne weitergeben, aber bitte ohne meinen Namen. Ich will in das politische Hickhack hier nicht hineingezogen werden:

1. Es spitzt sich immer mehr zu, mit den Trump Tapes und dem Bill-the-Rapist-Meme hat es einen neuen Tiefpunkt erreicht. Deshalb, und auf Grund vieler anderer Anzeichen, ist die Sache noch sehr offen (Warum sonst würden sich beide Seiten noch so anstrengen und so viele Risiken eingehen?). Meines Erachtens ist im Moment alles drinnen, von 53% für Hillary bis 53% für Trump.

2. Dieses Wochenende ging es darum, wer weniger geeignet als Präsident ist: Jemand, der in einem Privatgespräch nicht Gentleman-like gesprochen hat, oder ein Ehepaar, das Frauen nicht gerade nett behandelt hat. Logisch gesehen, wären beide unqualifiziert und man sollte Johnson die Wahl schenken, aber Logik hat noch nie eine Wahl entschieden. Da wir aber nicht den Papst wählen, und Trump sich nie als der Moralprediger gegeben hat, ist der Impact viel geringer als für die meisten anderen Politiker.

3. Hillary gewann die erste Debatte, die gestrige ging aber an Trump. Hier sind die Dinge, die mir einen Tag später in Erinnerung geblieben sind (es geht hier weniger um konkrete und korrekte Fakten sondern um das, was emotionell hängen bleibt):

(a) Trump redet über Frauen mit anderen Männern wie sehr viele Männer, während die Clintons Frauen zumindest sexuell belästigt und dann auch noch attackiert haben. Während Trump sich entschuldigt hat, hat Clinton das Thema überhaupt nicht angesprochen und ironischerweise Trump vorgehalten, dass er sich nie entschuldigt.

(b) Trump stand die 90 Minuten, Clinton saß die meiste Zeit - kann sie 90 Minuten „durchstehen“? Trump ist größer und kräftiger als sie, in vielen Bildern schwebt er hinter ihr im Hintergrund - das kann man sehen als Zeichen von Stärke oder Bullying, wenn es aber darum geht, wer mich beschützt, wählen die meisten Leute dann doch den Bully (es gibt auch die Cagefight Studie, die besagt, dass in den letzten 100 Jahren immer der Kandidat gewann, von dem die Wähler den Eindruck hatten, dass er einen Cagefight zwischen den Kandidaten gewinnen würde).

(c) Hillary hat 30.000 Emails gelöscht, NACHDEM sie eine Subpoena (eine Form der strafbewehrten rechtlichen Anordnung im Beweisaufnahmeverfahren nach amerikanischem Recht, Anmerkung fst) erhalten hat. Das ist ein Verbrechen, und sie bestreitet es auch nicht. Wichtig laut ihr ist, dass sie Präsidentin wird, weil sie sonst unter Trump für dieses Verbrechen im Gefängnis landet ("Hillary for Prison"-Tafeln habe ich schon während der Primaries in verschiedenen Orten im Land gesehen).

(d) Die Medien sind nicht unabhängig, sondern eindeutig auf der Seite von Hillary: Hillary bekam mehr Redezeit, wurde weniger offen unterbrochen, und die Moderatoren haben teilweise mit Trump debattiert. Trump hat das dann auch kritisiert. Bei der Pressekonferenz wurde Trump von der Presse auf sein Verhältnis zu Frauen angesprochen, worauf eines der Clinton-Opfer antwortete: "Warum fragen sie das nicht Bill Clinton?"

Amis lieben einen Underdog, der sich gegen alle durchkämpft (Rocky!)

(e) Supreme Court: Trump will Richter einsetzen, 'who will uphold the constitution'; Hillary will Richter einsetzen, die ihre Weltanschauung teilen.

(f) Hillary entschuldigt sich nicht dafür, Trumps Wähler als ‚deplorables‘ zu bezeichnen, und weigert sich weiterhin, von ‚radical islamic terrorism‘ zu sprechen.

Es sind auch viele andere Themen besprochen worden, aber davon ist nicht viel hängengeblieben.

Zusammengefasst: Wer vorher pro Hillary war, ist es weiterhin, wer pro Trump war, ist es jetzt noch überzeugter.

Und die Unentschiedenen? Es gab zwei untersuchte Gruppen, bei einer hat Hillary 29 von 30 vorher Unentschlossenen bekommen, bei der anderen stand es vorher 50 : 50, danach 30 : 70 (Mehrheit bei Trump). 90% aller Online-Umfragen waren 70 – 80 % pro Trump; die meisten Medien haben diesmal (im Gegensatz zur letzten Debatte) keine eignen Polls veröffentlicht; da wir wissen, dass die meisten Medien pro-Hillary sind, stellt sich die Frage, warum nicht?

4. Sehr, sehr viel wird von der Wahlbeteiligung abhängen - wer wirklich wählen geht, und was die Leute, auch im Gegensatz zu dem, was sie bei einer Umfrage sagen, wirklich ankreuzen.

(a) Mindestens 80% aller Amerikaner können Hillary nicht leiden. Das gilt für liberale Hochburgen wie NY und DC, in den Red States sind es noch mehr. Es kommt also darauf an, wie viele sich die Mühe machen werden, dann tatsächlich wählen zu gehen, und wie sehr sie wirklich Angst vor bzw. eine Abneigung gegenüber Trump haben. Und: es hängt auch vom Wetter ab.

(b) In vielen Staaten gibt es keine Ausweispflicht bei den Wahlen, (Demokraten finden das rassistisch, weshalb es wohl auch bei der Democratic Convention Ausweispflicht gab, aber ich lenke vom Thema ab), es kommt also in einigen Swing States darauf an, wie viele Tote und/oder Ausländer wählen werden (kein Witz; auch kein Witz, dass dort, wo die Wahlregistrierung von Toten aufgeflogen ist, es kein Wahlbetrug war, weil ja eh noch nicht gewählt worden ist).

(c) Auch wenn es seltsam klingt: Es gibt verhältnismäßig viele männliche Wähler, die sich in ihrem Wahlverhalten nach ihrer Ehefrau richten; Paare, bei denen die Frau normalerweise demokratisch wählt, der Mann republikanisch, aber sie auf ihn Druck macht, diesmal nicht zu wählen. Es kann aber auch sein, dass diese Männer angeben, Hillary zu wählen, aber heimlich dann doch ihr Kreuzchen bei Trump machen - 'jetzt erst recht'.

(d) Die republikanische Partei zerstört sich gerade selber – man denke an all die Politiker, die Trump letztes Wochenende in den Rücken gefallen sind, und es gibt auch viele Berichte, dass die Partei den Wahlhelfern verbietet, Trump zu unterstützen. Es gibt auch Gerüchte, dass die Trump Tapes von den Republikanern als Rache wegen Jeb Bush in Koordination mit Hillarys Team herausgegeben wurden. Jedenfalls gibt es seit den letzten zwei Wochen eine Grass-Roots-Bewegung, um einen Voter-Drive für Trump (und gegen die anderen Republikaner, die zur Wahl stehen!) auf die Beine zu stellen. Alles über Social Media, Google, MEGA3X.

(e) Die Medien haben irrsinnig viel zu verlieren, falls Trump gewinnt (er hat die Medien dank Facebook und Twitter großteils umgangen). Viele autoritäre Staatsoberhäupter wären stolz, wie die US Medien brav auf Hillary-Linie arbeiten und mit Hillarys Campaign zusammenarbeiten. Wikileaks hat da sehr viel an Beweismaterialen veröffentlicht, und Citizen Reporting (danke iPhones, Periscope, Twitter etc) hat mitgeholfen, aufzuzeigen, wie viel Propaganda im Spiel ist. Viele, die für Hillary sind, halten dieses Fehlen an objektiver Berichterstattung für etwas sehr Positives, viele andere aber sehen es als Vertrauensbruch.

(f) Nicht zu unterschätzen ist der "FPÖ-Effekt", wie ich ihn nenne, den es auch beim Brexit gegeben hat. Öffentlich "für" Trump zu sein, trägt das Risiko, dass man von Twitter gesperrt wird, dass die Karriere in der Firma oder Branche beendet ist (vor allem in gewissen Bereichen in Finance und Medien, aber auch Technologiebranchen), dass man in der Öffentlichkeit zusammengeschlagen wird.

Unfriending auf Facebook oder auf Parties nicht mehr eingeladen zu werden sind da noch die geringsten Probleme.

Alles zusammen also zu viele Variablen, um etwas seriös vorherzusagen. Noch dazu, wo ja in jedem Staat die Stimmen an die jeweilige Mehrheit vergeben werden. Es würde mich aber nicht wundern, wenn die letzten 30 Tage noch dreckiger werden.

Im Grunde ist es ein „Alle gegen Trump“ - Hillary, die Elite der Republikanischen Partei, die Medien.

Im Vergleich dazu sind wir mit den österreichischen Präsidentschaftswahlen wirklich auf einer Insel der Seligen, und wir sollten uns glücklich schätzen....

P.S. Weißt du, was Vote-Swapping ist? Dadurch, dass eine Stimme in einem 'swing state' viel mehr wert ist als einem Staat, der zu 90 % für einen Kandidaten stimmt, suchen Hillary-Unterstützer aus z. B. New York Johnson Wähler in swing states, um per Gentleman Agreement die Stimme zu tauschen.

Das heißt, der Hillary-Wähler in NY wählt Johnson (Hillary wird trotzdem NY gewinnen), dafür wählt der Johnson Supporter in Pennsylvania dann Hillary, weil in dem Staat jede Stimme zählt. Das wird ganz öffentlich auf Facebook usw. gemacht. Und viele Wähler werden auch mittels Bussen in andere Staaten zum Wählen verfrachtet...

PPS: Das ist keine professionelle Analyse. Mir geht es hier nicht um ein politisches Statement - sondern auf der einen Seite den Wahlkampf so neutral wie möglich zu beobachten und meine eigene, nicht vorgekaute Meinung zu bilden, auf der anderen Seite zu testen, wie weit ich den Ausgang dann korrekt vorhersagen kann. Meine persönliche Meinung ist, dass jeder der drei Kandidaten gewisse, wenige Vorteile hat, aber sehr viele Risiken. Die Frage an die Wähler ist, welche Risiken sie bereit sind, einzugehen.

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